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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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dem Engelberg, der etwa vier Kilometer vom Dorfe Dagsburg entfernt ist,
sah man noch vor hundert Jahren etliche fünfzig Gräber von Galliern und
Tribokern; räthselhafte Gestalten gehörnt und mit Schlangenfüßen schmückten
die vermoderten Steine, die man aus feuchter Erde emporhob.

Auch der Felsen, auf dem das stolze Dagsburger Schloß erbaut ward,
war ehedem einer heidnischen Gottheit gewidmet; man fand dort Münzen,
die derselben geopfert waren und mannigfache Spuren des alten Kultus, bis
endlich das Christenthum die alten Erinnerungen verschleierte oder zertrat.
Es hatte im Anfange nur zögernd und mühevoll seinen Weg in diese Wild-
niß gefunden, in der ihm nach tausend Jahren ein glänzender Sieg erblühen
sollte; denn in Wäldern von Dagsburg inmitten in der waldumrauschten
Schatzkammer des alten Heidenthums erblickte der große Papst Leo der Heilige
das Licht. So meldet wenigstens die Sage und der Chronist erzählt ihr nach:
"Das schlosz zu Dageszburg ist gewesen die wonnung des Heilgen Grapen
Hugen und der Heilgen Grevin Hedwig, die in elichen Stande gebebt haben
durch gottes grad den heiligen Sun Leo." Bevor er Papst war, trug er den
Namen Brun und den Titel der Grafen von Dachsburg und Egisheim; schon
seine Jugend hat die Sage mit allerlei Mythen umkleidet. Im ahnenden Traume
sah seine Mutter die künftige Größe voraus, die das Kind, das unter ihrem
Herzen lag, erlangen sollte und als er geboren ward, zeigte sich sein Leib mit
feinen Kreuzen bezeichnet. In der Klosterschule zu Toul, wo sie ihn erzogen,
überragte er bald an Schönheit und Wissen alle Gefährten, aber auch der
Böse war nicht säumig, um "zu Hindernuß der Christenheit" sein Leben zu
vernichten. Man erzählt, daß ihm, als er vorübergehend im elterlichen Schlosse
weilte, ein giftiges Gewürm genaht sei, dessen Biß er rettungslos erlegen
wäre, hätte ihn nicht die Erscheinung des h. Benedikt befreit.

So kettet sich Wunder um Wunder an Leo's Jugend und, wie es scheint,
noch während seiner eigenen Lebenszeit, denn all die Züge, die wir hier be¬
richten, meldet schon Wibert von Toul, sein Freund und Zeitgenosse, der die
Geschichte Papst Leo's schrieb. Selbst die abenteuerlichsten Erfindungen die man auf
seine hohe Bestimmung erdichtet, fanden gläubiges Gehör. In allen Dörfern
und Städten durch die er zog. krähten die Hähne I^o papg. und zwar "in der
betreffenden Landessprache"; der König von Dänemark übersandte ihm einen
Papagei und auch dieser rief unterwegs aus freien Stücken "ad papam vaäo,
g.6 MMin vaäo". Merkwürdiger als diese seltsamen Glossen ist es jedenfalls,
daß auch die allbekannte Sage von jenem Grafen, der sein neugeborenes Kind
zu ermorden befiehlt, und dem der Jäger statt dessen Herz das eines Rehes
bringt, auf Bruno von Egisheim Anwendung fand. Man hatte dem Vater
geweissagt, er werde einst den Staub von seines Sohnes Füßen küssen und
das hatte ihn zu dem entsetzlichen Entschluß bewogen; das Kind wuchs in der


dem Engelberg, der etwa vier Kilometer vom Dorfe Dagsburg entfernt ist,
sah man noch vor hundert Jahren etliche fünfzig Gräber von Galliern und
Tribokern; räthselhafte Gestalten gehörnt und mit Schlangenfüßen schmückten
die vermoderten Steine, die man aus feuchter Erde emporhob.

Auch der Felsen, auf dem das stolze Dagsburger Schloß erbaut ward,
war ehedem einer heidnischen Gottheit gewidmet; man fand dort Münzen,
die derselben geopfert waren und mannigfache Spuren des alten Kultus, bis
endlich das Christenthum die alten Erinnerungen verschleierte oder zertrat.
Es hatte im Anfange nur zögernd und mühevoll seinen Weg in diese Wild-
niß gefunden, in der ihm nach tausend Jahren ein glänzender Sieg erblühen
sollte; denn in Wäldern von Dagsburg inmitten in der waldumrauschten
Schatzkammer des alten Heidenthums erblickte der große Papst Leo der Heilige
das Licht. So meldet wenigstens die Sage und der Chronist erzählt ihr nach:
„Das schlosz zu Dageszburg ist gewesen die wonnung des Heilgen Grapen
Hugen und der Heilgen Grevin Hedwig, die in elichen Stande gebebt haben
durch gottes grad den heiligen Sun Leo." Bevor er Papst war, trug er den
Namen Brun und den Titel der Grafen von Dachsburg und Egisheim; schon
seine Jugend hat die Sage mit allerlei Mythen umkleidet. Im ahnenden Traume
sah seine Mutter die künftige Größe voraus, die das Kind, das unter ihrem
Herzen lag, erlangen sollte und als er geboren ward, zeigte sich sein Leib mit
feinen Kreuzen bezeichnet. In der Klosterschule zu Toul, wo sie ihn erzogen,
überragte er bald an Schönheit und Wissen alle Gefährten, aber auch der
Böse war nicht säumig, um „zu Hindernuß der Christenheit" sein Leben zu
vernichten. Man erzählt, daß ihm, als er vorübergehend im elterlichen Schlosse
weilte, ein giftiges Gewürm genaht sei, dessen Biß er rettungslos erlegen
wäre, hätte ihn nicht die Erscheinung des h. Benedikt befreit.

So kettet sich Wunder um Wunder an Leo's Jugend und, wie es scheint,
noch während seiner eigenen Lebenszeit, denn all die Züge, die wir hier be¬
richten, meldet schon Wibert von Toul, sein Freund und Zeitgenosse, der die
Geschichte Papst Leo's schrieb. Selbst die abenteuerlichsten Erfindungen die man auf
seine hohe Bestimmung erdichtet, fanden gläubiges Gehör. In allen Dörfern
und Städten durch die er zog. krähten die Hähne I^o papg. und zwar „in der
betreffenden Landessprache"; der König von Dänemark übersandte ihm einen
Papagei und auch dieser rief unterwegs aus freien Stücken „ad papam vaäo,
g.6 MMin vaäo". Merkwürdiger als diese seltsamen Glossen ist es jedenfalls,
daß auch die allbekannte Sage von jenem Grafen, der sein neugeborenes Kind
zu ermorden befiehlt, und dem der Jäger statt dessen Herz das eines Rehes
bringt, auf Bruno von Egisheim Anwendung fand. Man hatte dem Vater
geweissagt, er werde einst den Staub von seines Sohnes Füßen küssen und
das hatte ihn zu dem entsetzlichen Entschluß bewogen; das Kind wuchs in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/432>, abgerufen am 23.07.2024.