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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Uebertragung bisher durch die Staatsverwaltung wahrgenommener Rechte auf
die neuen Organe des Kirchenregiments -- im Namen der Staatsregierung,
daß dieselbe nicht die Hand bieten werde zur Veränderung des eben geschaf¬
fenen kirchlichen Organismus durch den Landtag. Nehmen wir also an, der
Landtag verweigert das Gesetz zur Genehmigung der evangelischen Kirchen¬
verfassung oder der verlangten Veränderungen in dieser Verfassung selbst, z. B.
eine andere Bildung der Synoden, so würde die neue Kirchenverfassung nichts
destoweniger in Wirksamkeit treten und innerhalb des Kreises ihrer rein kirch¬
lichen Aufgabe zu Recht bestehen. Die Synoden würden nur nicht im Stande
sein, das vom Staat bisher geübte Recht der kirchlichen Vermögensverwaltung
zu übernehmen und das Recht der kirchlichen Besteuerung mit Gesetzeskraft
auszuüben. Die kirchliche Vermögensverwaltung und bezw. die Aufsicht
über dieselbe würde nach wie vor durch Staatsbehörden geübt werden. Die
kirchliche Besteuerung könnte nur in Form freiwilliger Beiträge nach erfolgter
Aufforderung der kirchlichen Organe sich vollziehen. Es ist aber sehr die Frage,
ob aus einer solchen Stellung für die evangelische Kirche nicht großer Segen
erwachsen würde. Die Kirche darf diese Stellung nicht suchen, aber sie kann
dieselbe unseres Erachtens ohne Furcht annehmen, wenn der Landtag sie ihr
bereiten wollte. Diese letztere Gefahr erscheint übrigens nach den Eindrücken der
ersten Lesung des Gesetzes über die evangelische Kirchenverfassung minder groß.

Als am 26. Februar der Kultusminister seine Rede beendet hatte, folgte
ihm unter erklärlicher Unruhe des Hauses der Abg. Miquel. Derselbe sprach
im Ganzen für die Vorlage und wendete sich in einigen Punkten mit Glück
gegen den Abg. Virchow. Sehr zutreffend war namentlich die Frage Miquel's,
ob denn der Abg. Virchow glaube, durch die Opposition gegen die jetzt zu
genehmigende Kirchenverfassung seinem Ideal der souveränen Jndependenten-
gemeinden im geringsten näherzukommen; die Folge solcher Opposition könne
doch nur die Fortdauer des büreaukratischen Kirchenregiments sein. Außer¬
dem unterließ Miquel natürlich nicht, auf sein Steckenpferd unabhängiger
Provinzialkirchen zurückzukommen, wie er sich ja auch das deutsche Reich am
liebsten denkt als Föderation souveräner, wenigstens in den innern Angelegen¬
heiten souveräner Provinzen. So endete der erste Tag der ersten Lesung des
wichtigen Gesetzentwurfes.

Am 28. Februar wurde die erste Lesung fortgesetzt und beendigt. Man
konnte an beiden Tagen der Generaldiscussion -- die erste Lesung ist die
Generaldiscussion -- die Beobachtung machen, daß es oft zufällig war, ob
die Redner sich für die Vorlage oder dagegen hatten einschreiben lassen. Der
erste Redner des ersten Tages, Abg. Techow, nahm das Wort gegen die Vor¬
lage, sprach aber in der Ausführung dafür, zwar nur aus dem formalen
Grunde, weil der Landtag nicht befugt sei, die Kirchenverfassung zu machen.


Uebertragung bisher durch die Staatsverwaltung wahrgenommener Rechte auf
die neuen Organe des Kirchenregiments — im Namen der Staatsregierung,
daß dieselbe nicht die Hand bieten werde zur Veränderung des eben geschaf¬
fenen kirchlichen Organismus durch den Landtag. Nehmen wir also an, der
Landtag verweigert das Gesetz zur Genehmigung der evangelischen Kirchen¬
verfassung oder der verlangten Veränderungen in dieser Verfassung selbst, z. B.
eine andere Bildung der Synoden, so würde die neue Kirchenverfassung nichts
destoweniger in Wirksamkeit treten und innerhalb des Kreises ihrer rein kirch¬
lichen Aufgabe zu Recht bestehen. Die Synoden würden nur nicht im Stande
sein, das vom Staat bisher geübte Recht der kirchlichen Vermögensverwaltung
zu übernehmen und das Recht der kirchlichen Besteuerung mit Gesetzeskraft
auszuüben. Die kirchliche Vermögensverwaltung und bezw. die Aufsicht
über dieselbe würde nach wie vor durch Staatsbehörden geübt werden. Die
kirchliche Besteuerung könnte nur in Form freiwilliger Beiträge nach erfolgter
Aufforderung der kirchlichen Organe sich vollziehen. Es ist aber sehr die Frage,
ob aus einer solchen Stellung für die evangelische Kirche nicht großer Segen
erwachsen würde. Die Kirche darf diese Stellung nicht suchen, aber sie kann
dieselbe unseres Erachtens ohne Furcht annehmen, wenn der Landtag sie ihr
bereiten wollte. Diese letztere Gefahr erscheint übrigens nach den Eindrücken der
ersten Lesung des Gesetzes über die evangelische Kirchenverfassung minder groß.

Als am 26. Februar der Kultusminister seine Rede beendet hatte, folgte
ihm unter erklärlicher Unruhe des Hauses der Abg. Miquel. Derselbe sprach
im Ganzen für die Vorlage und wendete sich in einigen Punkten mit Glück
gegen den Abg. Virchow. Sehr zutreffend war namentlich die Frage Miquel's,
ob denn der Abg. Virchow glaube, durch die Opposition gegen die jetzt zu
genehmigende Kirchenverfassung seinem Ideal der souveränen Jndependenten-
gemeinden im geringsten näherzukommen; die Folge solcher Opposition könne
doch nur die Fortdauer des büreaukratischen Kirchenregiments sein. Außer¬
dem unterließ Miquel natürlich nicht, auf sein Steckenpferd unabhängiger
Provinzialkirchen zurückzukommen, wie er sich ja auch das deutsche Reich am
liebsten denkt als Föderation souveräner, wenigstens in den innern Angelegen¬
heiten souveräner Provinzen. So endete der erste Tag der ersten Lesung des
wichtigen Gesetzentwurfes.

Am 28. Februar wurde die erste Lesung fortgesetzt und beendigt. Man
konnte an beiden Tagen der Generaldiscussion — die erste Lesung ist die
Generaldiscussion — die Beobachtung machen, daß es oft zufällig war, ob
die Redner sich für die Vorlage oder dagegen hatten einschreiben lassen. Der
erste Redner des ersten Tages, Abg. Techow, nahm das Wort gegen die Vor¬
lage, sprach aber in der Ausführung dafür, zwar nur aus dem formalen
Grunde, weil der Landtag nicht befugt sei, die Kirchenverfassung zu machen.


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[0434] Uebertragung bisher durch die Staatsverwaltung wahrgenommener Rechte auf die neuen Organe des Kirchenregiments — im Namen der Staatsregierung, daß dieselbe nicht die Hand bieten werde zur Veränderung des eben geschaf¬ fenen kirchlichen Organismus durch den Landtag. Nehmen wir also an, der Landtag verweigert das Gesetz zur Genehmigung der evangelischen Kirchen¬ verfassung oder der verlangten Veränderungen in dieser Verfassung selbst, z. B. eine andere Bildung der Synoden, so würde die neue Kirchenverfassung nichts destoweniger in Wirksamkeit treten und innerhalb des Kreises ihrer rein kirch¬ lichen Aufgabe zu Recht bestehen. Die Synoden würden nur nicht im Stande sein, das vom Staat bisher geübte Recht der kirchlichen Vermögensverwaltung zu übernehmen und das Recht der kirchlichen Besteuerung mit Gesetzeskraft auszuüben. Die kirchliche Vermögensverwaltung und bezw. die Aufsicht über dieselbe würde nach wie vor durch Staatsbehörden geübt werden. Die kirchliche Besteuerung könnte nur in Form freiwilliger Beiträge nach erfolgter Aufforderung der kirchlichen Organe sich vollziehen. Es ist aber sehr die Frage, ob aus einer solchen Stellung für die evangelische Kirche nicht großer Segen erwachsen würde. Die Kirche darf diese Stellung nicht suchen, aber sie kann dieselbe unseres Erachtens ohne Furcht annehmen, wenn der Landtag sie ihr bereiten wollte. Diese letztere Gefahr erscheint übrigens nach den Eindrücken der ersten Lesung des Gesetzes über die evangelische Kirchenverfassung minder groß. Als am 26. Februar der Kultusminister seine Rede beendet hatte, folgte ihm unter erklärlicher Unruhe des Hauses der Abg. Miquel. Derselbe sprach im Ganzen für die Vorlage und wendete sich in einigen Punkten mit Glück gegen den Abg. Virchow. Sehr zutreffend war namentlich die Frage Miquel's, ob denn der Abg. Virchow glaube, durch die Opposition gegen die jetzt zu genehmigende Kirchenverfassung seinem Ideal der souveränen Jndependenten- gemeinden im geringsten näherzukommen; die Folge solcher Opposition könne doch nur die Fortdauer des büreaukratischen Kirchenregiments sein. Außer¬ dem unterließ Miquel natürlich nicht, auf sein Steckenpferd unabhängiger Provinzialkirchen zurückzukommen, wie er sich ja auch das deutsche Reich am liebsten denkt als Föderation souveräner, wenigstens in den innern Angelegen¬ heiten souveräner Provinzen. So endete der erste Tag der ersten Lesung des wichtigen Gesetzentwurfes. Am 28. Februar wurde die erste Lesung fortgesetzt und beendigt. Man konnte an beiden Tagen der Generaldiscussion — die erste Lesung ist die Generaldiscussion — die Beobachtung machen, daß es oft zufällig war, ob die Redner sich für die Vorlage oder dagegen hatten einschreiben lassen. Der erste Redner des ersten Tages, Abg. Techow, nahm das Wort gegen die Vor¬ lage, sprach aber in der Ausführung dafür, zwar nur aus dem formalen Grunde, weil der Landtag nicht befugt sei, die Kirchenverfassung zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/434>, abgerufen am 22.07.2024.