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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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treten keinem andern Kunstinstitut zu nahe, aber wir können doch behaupten,
daß einzelne der hervorragenden Meister der hiesigen Oper und des Schauspiels
wenige neben, keinen über sich finden. So wird Vogt's wunderbar schöner
Tenor und reiche, tiefbegründete musikalische Bildung schwerlich übertroffen
werden, wie seine Gattin keine Nebenbuhlerin für ihre Ortrud, Sigelinde und
Isolde zu fürchten hat. Neben Vogt steht als primo uomo Herr Nachbauer,
aber trotz der großen natürlichen Stimmbegabung und einnehmenden äußern
Erscheinung dieses Künstlers ist, nach dem Maßstab wahrhaft künstlerischer
Leistung gemessen, ein merklicher Abstand zwischen den genannten beiden
Herren. Die Damen der Oper, Frl. Radecke, Frl. Meysenheim und Scheffsky
haben mit dem Schatten zweier Sängerinnen zu kämpfen, welche den Münch¬
nern -- und man kann das ihnen nicht verdenken -- unvergessen sind --
der Mallinger und Sophie stehle, der jetzigen Frau Baronin Knigge. Mit
diesen beiden Lieblingen der Muse ist freilich viel verloren gegangen. Eine
noch unerschütterte Säule der Oper ist der immer noch jugendfnsche, gestaltungs-
reiche Kindermann, der einem, wenn er sein WolframSlied vom "Abendstern"
oder als Waffenschmied von Worms sein: "Auch ich war ein Jüngling mit
lockigem Haar" singt, noch heut die Thränen in die Augen treiben kann.
Kleinere Opern werden auch im Residenztheater gegeben; hauptsächlich aber
dient dieses dem Schau- und Lustspiel. Das Residenztheater ist das reizendste
Schmuckkästchen unter den deutschen Theatern, das gedacht werden kann.
Seine überreiche, ja überschwängliche Rococo-Ausstattung hat ihres Gleichen
nicht. Man glaubt sich, wenn man eingetreten ist, inmitten eines Märchens
zu befinden. Nicht leicht kann man sich vor einer Bühne behaglicher fühlen,
als hier: man meint gar nicht in einem Theater, sondern mehr in einem
großen eleganten Gesellschaftssalon zu sein. Selbst den Zuschauern kommt man
sich bekannter, weniger fremd vor, und den Darstellern sitzt man ohnehin
näher. Man kann leichter seinen Platz verlassen, in dem Mittelgange mit
Bekannten plaudern, als in dem großen Hause u. s. w. Erstlingsvorstellungen
im Restdenztheater namentlich haben ihren besondern Reiz: man sieht da immer,
was München an hervorragenden, für Kunst und Bühne sich interessirenden
Männern hat, in Gruppen zusammenstehen, kann die bedeutendsten Persön¬
lichkeiten rasch herausfinden, manch geistreiches Wort auffangen. Uns speciell
sind solche Abende unvergeßlich. Unvergeßlich aber auch, was man auf diesen
"Brettern" sehen kann. Hat schon die Münchner Oper mit Recht den guten
Namen, den sie führt, so verdient fast noch mehr das Schauspiel seinen Ruf.
der es vielleicht dermalen an die erste Stelle in Deutschland setzt. Das
Ensemble desselben wenigstens in einzelnen Stücken, namentlich dem feinern
Lustspiel und Conversationsstück, ist mustergültig und unübertrefflich. Aller¬
dings war das vor zwei Jahren noch besser. Seitdem sind die Perlen


treten keinem andern Kunstinstitut zu nahe, aber wir können doch behaupten,
daß einzelne der hervorragenden Meister der hiesigen Oper und des Schauspiels
wenige neben, keinen über sich finden. So wird Vogt's wunderbar schöner
Tenor und reiche, tiefbegründete musikalische Bildung schwerlich übertroffen
werden, wie seine Gattin keine Nebenbuhlerin für ihre Ortrud, Sigelinde und
Isolde zu fürchten hat. Neben Vogt steht als primo uomo Herr Nachbauer,
aber trotz der großen natürlichen Stimmbegabung und einnehmenden äußern
Erscheinung dieses Künstlers ist, nach dem Maßstab wahrhaft künstlerischer
Leistung gemessen, ein merklicher Abstand zwischen den genannten beiden
Herren. Die Damen der Oper, Frl. Radecke, Frl. Meysenheim und Scheffsky
haben mit dem Schatten zweier Sängerinnen zu kämpfen, welche den Münch¬
nern — und man kann das ihnen nicht verdenken — unvergessen sind —
der Mallinger und Sophie stehle, der jetzigen Frau Baronin Knigge. Mit
diesen beiden Lieblingen der Muse ist freilich viel verloren gegangen. Eine
noch unerschütterte Säule der Oper ist der immer noch jugendfnsche, gestaltungs-
reiche Kindermann, der einem, wenn er sein WolframSlied vom „Abendstern"
oder als Waffenschmied von Worms sein: „Auch ich war ein Jüngling mit
lockigem Haar" singt, noch heut die Thränen in die Augen treiben kann.
Kleinere Opern werden auch im Residenztheater gegeben; hauptsächlich aber
dient dieses dem Schau- und Lustspiel. Das Residenztheater ist das reizendste
Schmuckkästchen unter den deutschen Theatern, das gedacht werden kann.
Seine überreiche, ja überschwängliche Rococo-Ausstattung hat ihres Gleichen
nicht. Man glaubt sich, wenn man eingetreten ist, inmitten eines Märchens
zu befinden. Nicht leicht kann man sich vor einer Bühne behaglicher fühlen,
als hier: man meint gar nicht in einem Theater, sondern mehr in einem
großen eleganten Gesellschaftssalon zu sein. Selbst den Zuschauern kommt man
sich bekannter, weniger fremd vor, und den Darstellern sitzt man ohnehin
näher. Man kann leichter seinen Platz verlassen, in dem Mittelgange mit
Bekannten plaudern, als in dem großen Hause u. s. w. Erstlingsvorstellungen
im Restdenztheater namentlich haben ihren besondern Reiz: man sieht da immer,
was München an hervorragenden, für Kunst und Bühne sich interessirenden
Männern hat, in Gruppen zusammenstehen, kann die bedeutendsten Persön¬
lichkeiten rasch herausfinden, manch geistreiches Wort auffangen. Uns speciell
sind solche Abende unvergeßlich. Unvergeßlich aber auch, was man auf diesen
„Brettern" sehen kann. Hat schon die Münchner Oper mit Recht den guten
Namen, den sie führt, so verdient fast noch mehr das Schauspiel seinen Ruf.
der es vielleicht dermalen an die erste Stelle in Deutschland setzt. Das
Ensemble desselben wenigstens in einzelnen Stücken, namentlich dem feinern
Lustspiel und Conversationsstück, ist mustergültig und unübertrefflich. Aller¬
dings war das vor zwei Jahren noch besser. Seitdem sind die Perlen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/43>, abgerufen am 26.09.2024.