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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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zum Propheten wird, indem er ihm zwar nicht seinen tiefen Sturz und
Untergang, aber doch sein Herabfallen vom Ideal auf niedrigeres voraussagt-
Eine sehr vergnügliche Persönlichkeit begegnet uns in jener Madame Grandoni,
die ihre Leute kennt und gern Heirathen stiften möchte, obwohl sie ihre Klug¬
heit nicht vor der Wahl eines nichtsnutzigen Gatten bewahrt hat. Gut per-
sonificirt ist in der Malerin Augusta Blanchard die tugendsam zimperliche
Heirathslust und in Mr. Leavenworth der geschmacklose, eingebildete und
pathetische Kunstmäcen. Selbst die durchaus ordinäre Mutter Christinens ist
in ihrer Art ein Charakter, der uns durch die Leidenschaft, mit der er seinen
Zweck verfolgt, die Tochter nach seiner Auffassung gut unterzubringen, in
gewissem Maße fesselt und in seiner tragikomischen Verzweiflung, als ihre
Absicht scheitern zu wollen scheint, rührt und zugleich ergötzt.

Im Ganzen erinnert der Roman an die Schöpfungen Thackeray's. Die
letzten Kapitel von der Zeit an, wo Roderick Schiffvruch gelitten hat, sind
unserm Gefühl nach zu weit ausgesponnen und, da kein Lichtblick die düstre
Färbung und Stimmung unterbricht, monoton und peinlich. Im Allgemeinen
aber reiht sich dieses Werk des jetzt in Amerika und England vielgefeierten
Autors dem Besten an, was die englische Literatur auf dem Gebiete der
Romandichtung in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Zum Schlüsse noch ein Wort von der Uebersetzung. Ein bekannter
Kritiker hat dieselbe nicht nach seinem Geschmacke gefunden. Wir aber ver¬
mögen, ein paar Härten ausgenommen, die in dem Bemühen, den oft tief¬
liegenden und dunkeln Sinn des Originals gewissenhaft und getreu wieder¬
zugeben, ihren Grund zu haben scheinen, zum Theil wohl auch nur Druckver¬
sehen sind, nichts darin zu entdecken, was gutem Geschmacke verdrießlich
sein könnte.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
3. Lothringische Dörfer.

Die Orte alle, die wir bisher gesehen -- waren Städte, freilich zum
Theil beschränkt in räumlicher Beziehung und nur von localer culturgeschicht-
ltcher Bedeutung, aber doch immerhin dem flachen Lande und seinen Dörfern
noch weit überlegen.

In diese Dörfer führt uns jetzt unser Weg und zwar haben wir aus der


zum Propheten wird, indem er ihm zwar nicht seinen tiefen Sturz und
Untergang, aber doch sein Herabfallen vom Ideal auf niedrigeres voraussagt-
Eine sehr vergnügliche Persönlichkeit begegnet uns in jener Madame Grandoni,
die ihre Leute kennt und gern Heirathen stiften möchte, obwohl sie ihre Klug¬
heit nicht vor der Wahl eines nichtsnutzigen Gatten bewahrt hat. Gut per-
sonificirt ist in der Malerin Augusta Blanchard die tugendsam zimperliche
Heirathslust und in Mr. Leavenworth der geschmacklose, eingebildete und
pathetische Kunstmäcen. Selbst die durchaus ordinäre Mutter Christinens ist
in ihrer Art ein Charakter, der uns durch die Leidenschaft, mit der er seinen
Zweck verfolgt, die Tochter nach seiner Auffassung gut unterzubringen, in
gewissem Maße fesselt und in seiner tragikomischen Verzweiflung, als ihre
Absicht scheitern zu wollen scheint, rührt und zugleich ergötzt.

Im Ganzen erinnert der Roman an die Schöpfungen Thackeray's. Die
letzten Kapitel von der Zeit an, wo Roderick Schiffvruch gelitten hat, sind
unserm Gefühl nach zu weit ausgesponnen und, da kein Lichtblick die düstre
Färbung und Stimmung unterbricht, monoton und peinlich. Im Allgemeinen
aber reiht sich dieses Werk des jetzt in Amerika und England vielgefeierten
Autors dem Besten an, was die englische Literatur auf dem Gebiete der
Romandichtung in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

Zum Schlüsse noch ein Wort von der Uebersetzung. Ein bekannter
Kritiker hat dieselbe nicht nach seinem Geschmacke gefunden. Wir aber ver¬
mögen, ein paar Härten ausgenommen, die in dem Bemühen, den oft tief¬
liegenden und dunkeln Sinn des Originals gewissenhaft und getreu wieder¬
zugeben, ihren Grund zu haben scheinen, zum Theil wohl auch nur Druckver¬
sehen sind, nichts darin zu entdecken, was gutem Geschmacke verdrießlich
sein könnte.




Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen.
3. Lothringische Dörfer.

Die Orte alle, die wir bisher gesehen — waren Städte, freilich zum
Theil beschränkt in räumlicher Beziehung und nur von localer culturgeschicht-
ltcher Bedeutung, aber doch immerhin dem flachen Lande und seinen Dörfern
noch weit überlegen.

In diese Dörfer führt uns jetzt unser Weg und zwar haben wir aus der


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[0428] zum Propheten wird, indem er ihm zwar nicht seinen tiefen Sturz und Untergang, aber doch sein Herabfallen vom Ideal auf niedrigeres voraussagt- Eine sehr vergnügliche Persönlichkeit begegnet uns in jener Madame Grandoni, die ihre Leute kennt und gern Heirathen stiften möchte, obwohl sie ihre Klug¬ heit nicht vor der Wahl eines nichtsnutzigen Gatten bewahrt hat. Gut per- sonificirt ist in der Malerin Augusta Blanchard die tugendsam zimperliche Heirathslust und in Mr. Leavenworth der geschmacklose, eingebildete und pathetische Kunstmäcen. Selbst die durchaus ordinäre Mutter Christinens ist in ihrer Art ein Charakter, der uns durch die Leidenschaft, mit der er seinen Zweck verfolgt, die Tochter nach seiner Auffassung gut unterzubringen, in gewissem Maße fesselt und in seiner tragikomischen Verzweiflung, als ihre Absicht scheitern zu wollen scheint, rührt und zugleich ergötzt. Im Ganzen erinnert der Roman an die Schöpfungen Thackeray's. Die letzten Kapitel von der Zeit an, wo Roderick Schiffvruch gelitten hat, sind unserm Gefühl nach zu weit ausgesponnen und, da kein Lichtblick die düstre Färbung und Stimmung unterbricht, monoton und peinlich. Im Allgemeinen aber reiht sich dieses Werk des jetzt in Amerika und England vielgefeierten Autors dem Besten an, was die englische Literatur auf dem Gebiete der Romandichtung in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Zum Schlüsse noch ein Wort von der Uebersetzung. Ein bekannter Kritiker hat dieselbe nicht nach seinem Geschmacke gefunden. Wir aber ver¬ mögen, ein paar Härten ausgenommen, die in dem Bemühen, den oft tief¬ liegenden und dunkeln Sinn des Originals gewissenhaft und getreu wieder¬ zugeben, ihren Grund zu haben scheinen, zum Theil wohl auch nur Druckver¬ sehen sind, nichts darin zu entdecken, was gutem Geschmacke verdrießlich sein könnte. Städte und Dörfer, Land und Leute in Lothringen. 3. Lothringische Dörfer. Die Orte alle, die wir bisher gesehen — waren Städte, freilich zum Theil beschränkt in räumlicher Beziehung und nur von localer culturgeschicht- ltcher Bedeutung, aber doch immerhin dem flachen Lande und seinen Dörfern noch weit überlegen. In diese Dörfer führt uns jetzt unser Weg und zwar haben wir aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/428>, abgerufen am 23.07.2024.