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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Fülle der tausend Namen eben jene herausgewählt, die in irgend einer Weise
für ein größeres Gebiet charakteristisch sind.

Der Typus des behäbigen und stattlichen Lothringer Dorfes ist Remilly,
auf dem Wege von Saarbrücken nach Metz gelegen und berühmt durch die
Schmuckheit seiner Häuser und Straßen. Es liegt am Ufer der Nied, die der
Saar entgegeneile, und ohne großartigen Charakter bietet es wenigstens viele
anmuthige Züge. Auch hier führt uns die Ortsgeschichte zurück in die Römer-
zeit, wo nur eine einsame Villa auf dieser Stelle stand, deren Eigenthum
schon durch die Karolinger in geistliche Hand gerieth. In dem Streite, der
darüber entstand, behielten die Bischöfe von Metz die Oberhand und bald
ward Remilly die Sommerresidenz des alten Adalbero, der zur Zeit Kaiser
Otto III. lebte. Hundert Jahre später finden wir die Abtei von Se. Arnould
im Besitz und die Spuren der kirchlichen Hand, die so lange Zeit hier die
Herrschaft führte, gaben natürlich auch dem Orte selbst ein so bestimmendes
Gepräge. Später aber traten moderne Formen an die Stelle und das was
jetzt die Charakteristik Remilly's bestimmt, ist die breite Behäbigkeit der Gegen¬
wart. Die Landschaft gewinnt durch die nicht ferne liegenden Wälder, auch
einige Mühlen sieht man in der Nähe, indeß aus grünen Gärten die Dächer
der Villen lugen. Die bedeutendste unter ihnen ist der Familie Roland zu
eigen, ihr einstiger Besitzer wohnte als berühmter Landschaftsmaler in Metz
und seinen feinen Künstlersinn fühlt man denn auch aus der Anlage des
Ganzen heraus. Reizend vor Allem ist der Park mit seinen schönen Bäumen
und seinen duftigen Blumen.

Während des Krieges war Remilly ein wichtiger Stützpunkt für den
Verkehr, den die Cernirung von Metz auf andere Linien herübergeleitet, um
ihn vor den Kanonen der bedrohten Beste zu schützen. Wie bekannt wurde
in vierzig Tagen eine improvistrte Bahn erbaut, die von Remilly ausging.

Viel tiefer übrigens ist mit diesen schweren Erinnerungen ein anderes
Lothringer Dorf verknüpft, auf das wir nun unsere Blicke wenden, weil es
gleichsam der Gegenpol zu jenem ersten ist. Wir meinen: dort in Remilly
sahen wir die blühende von allem Schmuck des Lebens erfüllte Idylle und
hier auf steilen Höhen das einsame Dorf, das die Hand des Todes in das
Buch der Weltgeschichte geschrieben.

Auch bei Spichern ist die Landschaft nicht ohne Reiz durch das interessante
Terrain; über den langgezogenen Höhen, die stark bewaldet sind, peitscht der
Wind die Wolken; eine einsame Schweige liegt oben an der Straße, wo es
hinab nach Saarbrücken geht, und der Staub, der über diese Straße wirbelt,
weckt uns den Gedanken, als hätte ihn der Schritt der stürmenden Colonnen
zurückgelassen! So tief ist die Erinnerung an jene Zeit mit dieser Scholle
verwachsen, daß sie sich fast mit visionärer Gewalt vor unsere Seele drängt.


Fülle der tausend Namen eben jene herausgewählt, die in irgend einer Weise
für ein größeres Gebiet charakteristisch sind.

Der Typus des behäbigen und stattlichen Lothringer Dorfes ist Remilly,
auf dem Wege von Saarbrücken nach Metz gelegen und berühmt durch die
Schmuckheit seiner Häuser und Straßen. Es liegt am Ufer der Nied, die der
Saar entgegeneile, und ohne großartigen Charakter bietet es wenigstens viele
anmuthige Züge. Auch hier führt uns die Ortsgeschichte zurück in die Römer-
zeit, wo nur eine einsame Villa auf dieser Stelle stand, deren Eigenthum
schon durch die Karolinger in geistliche Hand gerieth. In dem Streite, der
darüber entstand, behielten die Bischöfe von Metz die Oberhand und bald
ward Remilly die Sommerresidenz des alten Adalbero, der zur Zeit Kaiser
Otto III. lebte. Hundert Jahre später finden wir die Abtei von Se. Arnould
im Besitz und die Spuren der kirchlichen Hand, die so lange Zeit hier die
Herrschaft führte, gaben natürlich auch dem Orte selbst ein so bestimmendes
Gepräge. Später aber traten moderne Formen an die Stelle und das was
jetzt die Charakteristik Remilly's bestimmt, ist die breite Behäbigkeit der Gegen¬
wart. Die Landschaft gewinnt durch die nicht ferne liegenden Wälder, auch
einige Mühlen sieht man in der Nähe, indeß aus grünen Gärten die Dächer
der Villen lugen. Die bedeutendste unter ihnen ist der Familie Roland zu
eigen, ihr einstiger Besitzer wohnte als berühmter Landschaftsmaler in Metz
und seinen feinen Künstlersinn fühlt man denn auch aus der Anlage des
Ganzen heraus. Reizend vor Allem ist der Park mit seinen schönen Bäumen
und seinen duftigen Blumen.

Während des Krieges war Remilly ein wichtiger Stützpunkt für den
Verkehr, den die Cernirung von Metz auf andere Linien herübergeleitet, um
ihn vor den Kanonen der bedrohten Beste zu schützen. Wie bekannt wurde
in vierzig Tagen eine improvistrte Bahn erbaut, die von Remilly ausging.

Viel tiefer übrigens ist mit diesen schweren Erinnerungen ein anderes
Lothringer Dorf verknüpft, auf das wir nun unsere Blicke wenden, weil es
gleichsam der Gegenpol zu jenem ersten ist. Wir meinen: dort in Remilly
sahen wir die blühende von allem Schmuck des Lebens erfüllte Idylle und
hier auf steilen Höhen das einsame Dorf, das die Hand des Todes in das
Buch der Weltgeschichte geschrieben.

Auch bei Spichern ist die Landschaft nicht ohne Reiz durch das interessante
Terrain; über den langgezogenen Höhen, die stark bewaldet sind, peitscht der
Wind die Wolken; eine einsame Schweige liegt oben an der Straße, wo es
hinab nach Saarbrücken geht, und der Staub, der über diese Straße wirbelt,
weckt uns den Gedanken, als hätte ihn der Schritt der stürmenden Colonnen
zurückgelassen! So tief ist die Erinnerung an jene Zeit mit dieser Scholle
verwachsen, daß sie sich fast mit visionärer Gewalt vor unsere Seele drängt.


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[0429] Fülle der tausend Namen eben jene herausgewählt, die in irgend einer Weise für ein größeres Gebiet charakteristisch sind. Der Typus des behäbigen und stattlichen Lothringer Dorfes ist Remilly, auf dem Wege von Saarbrücken nach Metz gelegen und berühmt durch die Schmuckheit seiner Häuser und Straßen. Es liegt am Ufer der Nied, die der Saar entgegeneile, und ohne großartigen Charakter bietet es wenigstens viele anmuthige Züge. Auch hier führt uns die Ortsgeschichte zurück in die Römer- zeit, wo nur eine einsame Villa auf dieser Stelle stand, deren Eigenthum schon durch die Karolinger in geistliche Hand gerieth. In dem Streite, der darüber entstand, behielten die Bischöfe von Metz die Oberhand und bald ward Remilly die Sommerresidenz des alten Adalbero, der zur Zeit Kaiser Otto III. lebte. Hundert Jahre später finden wir die Abtei von Se. Arnould im Besitz und die Spuren der kirchlichen Hand, die so lange Zeit hier die Herrschaft führte, gaben natürlich auch dem Orte selbst ein so bestimmendes Gepräge. Später aber traten moderne Formen an die Stelle und das was jetzt die Charakteristik Remilly's bestimmt, ist die breite Behäbigkeit der Gegen¬ wart. Die Landschaft gewinnt durch die nicht ferne liegenden Wälder, auch einige Mühlen sieht man in der Nähe, indeß aus grünen Gärten die Dächer der Villen lugen. Die bedeutendste unter ihnen ist der Familie Roland zu eigen, ihr einstiger Besitzer wohnte als berühmter Landschaftsmaler in Metz und seinen feinen Künstlersinn fühlt man denn auch aus der Anlage des Ganzen heraus. Reizend vor Allem ist der Park mit seinen schönen Bäumen und seinen duftigen Blumen. Während des Krieges war Remilly ein wichtiger Stützpunkt für den Verkehr, den die Cernirung von Metz auf andere Linien herübergeleitet, um ihn vor den Kanonen der bedrohten Beste zu schützen. Wie bekannt wurde in vierzig Tagen eine improvistrte Bahn erbaut, die von Remilly ausging. Viel tiefer übrigens ist mit diesen schweren Erinnerungen ein anderes Lothringer Dorf verknüpft, auf das wir nun unsere Blicke wenden, weil es gleichsam der Gegenpol zu jenem ersten ist. Wir meinen: dort in Remilly sahen wir die blühende von allem Schmuck des Lebens erfüllte Idylle und hier auf steilen Höhen das einsame Dorf, das die Hand des Todes in das Buch der Weltgeschichte geschrieben. Auch bei Spichern ist die Landschaft nicht ohne Reiz durch das interessante Terrain; über den langgezogenen Höhen, die stark bewaldet sind, peitscht der Wind die Wolken; eine einsame Schweige liegt oben an der Straße, wo es hinab nach Saarbrücken geht, und der Staub, der über diese Straße wirbelt, weckt uns den Gedanken, als hätte ihn der Schritt der stürmenden Colonnen zurückgelassen! So tief ist die Erinnerung an jene Zeit mit dieser Scholle verwachsen, daß sie sich fast mit visionärer Gewalt vor unsere Seele drängt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/429>, abgerufen am 23.07.2024.