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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Mittel dazu versagt, nicht ansteht, seine Braut darum anzugehen. Wir sehen,
ihm ist wirklich nicht zu helfen, und wir sind beinahe froh, daß ein veus
ex maedinÄ in Gestalt eines furchtbaren Gewitters ihn eines Tages bei
einer seiner einsamen Wanderungen in eine Kluft stürzen und den Tod fin¬
den läßt.

Ob sich nun Mallet und die verlassene Braut heirathen, werden unsere
Leserinnen fragen. Bis jetzt ist das noch nicht geschehen, und der Schluß des
Buches giebt nicht viel Hoffnung darauf, aber Rowland Mallet ist die Ge¬
duld in Menschengestalt. Auch ist es uns ziemlich gleichgültig, da beide uns
nicht sehr stark interessirt haben. Dagegen ist Roderick namentlich während
seines ersten Auftretens in Rom und seiner Schöpferperiode eine Erscheinung,
die uns die höchste Theilnahme einflößt. Noch über ihm aber steht an dich¬
terischem Werthe die Gestalt Christina Light's, die wir für eine der brillan¬
testen Schöpfungen der modernen Romandichtung halten, und bei deren Dar¬
stellung der Verfasser eben so viel Seelenkunde als realistische Gestaltungskraft
entfaltet. Es ist wahr, sie ist durch und durch auf das Gefallen bedacht,
aber sie gefällt auch wirklich und keineswegs blos durch ihre überraschende
körperliche Schönheit. Wir bemitleiden sie eher, als daß wir sie verurtheilen,
und größer als unser Mitleid ist die Bewunderung, die wir vor ihren liebens¬
würdigen Eigenschaften, ihrem Witz, ihrem Scharfblick, ihrem vornehmen Sinn
empfinden. Kurz wir haben uns zu hüten, daß wir nicht in die Täuschung
des guten Mallet verfallen, der an ihre moralischen Regungen glaubt, und
obwohl wir davor sicher sind, können wir doch nicht umhin, dem schönen
stolzen Dämon gut zu sein. Allerliebst ist die Scene auf dem Balle, wo der
arme Maler den Fürsten bei ihr aussticht. Nicht weniger hübsch die in
Frascati, wo der Fürst sehen muß, wie Christina gegen allen Brauch des
Landes vor den Augen ihres vornehmen Anbeters mit Roderick sich in ein Wäld¬
chen verliert, erst nach einer Stunde wiederkommt und dann mit allerlei Spott
und Ironie die Eifersucht Casamassima's geißelt. Zu den besten Partien
des Buches ferner, so weit es sich um Christina handelt, gehört das Gespräch
zwischen ihr und Mallet in der Kirche der heiligen Cäcilia. Köstlich ist das
Auftreten der schönen Zauberin mit ihrem klugen weißen Pudel bei der
Abendgesellschaft im Hause der Madame Grandoni geschildert, sehr gut end¬
lich auch ihr letztes Zusammentreffen mit Mallet in Rom.

Auch die Nebenfiguren des Romans erfreuen oder interessiren wenigstens
durch ihre Physiognomie und ihr Thun und Lassen. So der kleine Maler
Singleton. der mit seinem bescheidnen Fleiß bei mäßiger Anlage und mit seiner
Ausdauer der Gegensatz zu Roderick mit seinem stolzen, aber bald ermattenden,
weil nicht von pflichttreuen Wollen getragenen Genie ist. So serner der skep¬
tische künstlerische Geschäftsmann Gloriani. der an Roderick in gewissem Maße


Mittel dazu versagt, nicht ansteht, seine Braut darum anzugehen. Wir sehen,
ihm ist wirklich nicht zu helfen, und wir sind beinahe froh, daß ein veus
ex maedinÄ in Gestalt eines furchtbaren Gewitters ihn eines Tages bei
einer seiner einsamen Wanderungen in eine Kluft stürzen und den Tod fin¬
den läßt.

Ob sich nun Mallet und die verlassene Braut heirathen, werden unsere
Leserinnen fragen. Bis jetzt ist das noch nicht geschehen, und der Schluß des
Buches giebt nicht viel Hoffnung darauf, aber Rowland Mallet ist die Ge¬
duld in Menschengestalt. Auch ist es uns ziemlich gleichgültig, da beide uns
nicht sehr stark interessirt haben. Dagegen ist Roderick namentlich während
seines ersten Auftretens in Rom und seiner Schöpferperiode eine Erscheinung,
die uns die höchste Theilnahme einflößt. Noch über ihm aber steht an dich¬
terischem Werthe die Gestalt Christina Light's, die wir für eine der brillan¬
testen Schöpfungen der modernen Romandichtung halten, und bei deren Dar¬
stellung der Verfasser eben so viel Seelenkunde als realistische Gestaltungskraft
entfaltet. Es ist wahr, sie ist durch und durch auf das Gefallen bedacht,
aber sie gefällt auch wirklich und keineswegs blos durch ihre überraschende
körperliche Schönheit. Wir bemitleiden sie eher, als daß wir sie verurtheilen,
und größer als unser Mitleid ist die Bewunderung, die wir vor ihren liebens¬
würdigen Eigenschaften, ihrem Witz, ihrem Scharfblick, ihrem vornehmen Sinn
empfinden. Kurz wir haben uns zu hüten, daß wir nicht in die Täuschung
des guten Mallet verfallen, der an ihre moralischen Regungen glaubt, und
obwohl wir davor sicher sind, können wir doch nicht umhin, dem schönen
stolzen Dämon gut zu sein. Allerliebst ist die Scene auf dem Balle, wo der
arme Maler den Fürsten bei ihr aussticht. Nicht weniger hübsch die in
Frascati, wo der Fürst sehen muß, wie Christina gegen allen Brauch des
Landes vor den Augen ihres vornehmen Anbeters mit Roderick sich in ein Wäld¬
chen verliert, erst nach einer Stunde wiederkommt und dann mit allerlei Spott
und Ironie die Eifersucht Casamassima's geißelt. Zu den besten Partien
des Buches ferner, so weit es sich um Christina handelt, gehört das Gespräch
zwischen ihr und Mallet in der Kirche der heiligen Cäcilia. Köstlich ist das
Auftreten der schönen Zauberin mit ihrem klugen weißen Pudel bei der
Abendgesellschaft im Hause der Madame Grandoni geschildert, sehr gut end¬
lich auch ihr letztes Zusammentreffen mit Mallet in Rom.

Auch die Nebenfiguren des Romans erfreuen oder interessiren wenigstens
durch ihre Physiognomie und ihr Thun und Lassen. So der kleine Maler
Singleton. der mit seinem bescheidnen Fleiß bei mäßiger Anlage und mit seiner
Ausdauer der Gegensatz zu Roderick mit seinem stolzen, aber bald ermattenden,
weil nicht von pflichttreuen Wollen getragenen Genie ist. So serner der skep¬
tische künstlerische Geschäftsmann Gloriani. der an Roderick in gewissem Maße


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[0427] Mittel dazu versagt, nicht ansteht, seine Braut darum anzugehen. Wir sehen, ihm ist wirklich nicht zu helfen, und wir sind beinahe froh, daß ein veus ex maedinÄ in Gestalt eines furchtbaren Gewitters ihn eines Tages bei einer seiner einsamen Wanderungen in eine Kluft stürzen und den Tod fin¬ den läßt. Ob sich nun Mallet und die verlassene Braut heirathen, werden unsere Leserinnen fragen. Bis jetzt ist das noch nicht geschehen, und der Schluß des Buches giebt nicht viel Hoffnung darauf, aber Rowland Mallet ist die Ge¬ duld in Menschengestalt. Auch ist es uns ziemlich gleichgültig, da beide uns nicht sehr stark interessirt haben. Dagegen ist Roderick namentlich während seines ersten Auftretens in Rom und seiner Schöpferperiode eine Erscheinung, die uns die höchste Theilnahme einflößt. Noch über ihm aber steht an dich¬ terischem Werthe die Gestalt Christina Light's, die wir für eine der brillan¬ testen Schöpfungen der modernen Romandichtung halten, und bei deren Dar¬ stellung der Verfasser eben so viel Seelenkunde als realistische Gestaltungskraft entfaltet. Es ist wahr, sie ist durch und durch auf das Gefallen bedacht, aber sie gefällt auch wirklich und keineswegs blos durch ihre überraschende körperliche Schönheit. Wir bemitleiden sie eher, als daß wir sie verurtheilen, und größer als unser Mitleid ist die Bewunderung, die wir vor ihren liebens¬ würdigen Eigenschaften, ihrem Witz, ihrem Scharfblick, ihrem vornehmen Sinn empfinden. Kurz wir haben uns zu hüten, daß wir nicht in die Täuschung des guten Mallet verfallen, der an ihre moralischen Regungen glaubt, und obwohl wir davor sicher sind, können wir doch nicht umhin, dem schönen stolzen Dämon gut zu sein. Allerliebst ist die Scene auf dem Balle, wo der arme Maler den Fürsten bei ihr aussticht. Nicht weniger hübsch die in Frascati, wo der Fürst sehen muß, wie Christina gegen allen Brauch des Landes vor den Augen ihres vornehmen Anbeters mit Roderick sich in ein Wäld¬ chen verliert, erst nach einer Stunde wiederkommt und dann mit allerlei Spott und Ironie die Eifersucht Casamassima's geißelt. Zu den besten Partien des Buches ferner, so weit es sich um Christina handelt, gehört das Gespräch zwischen ihr und Mallet in der Kirche der heiligen Cäcilia. Köstlich ist das Auftreten der schönen Zauberin mit ihrem klugen weißen Pudel bei der Abendgesellschaft im Hause der Madame Grandoni geschildert, sehr gut end¬ lich auch ihr letztes Zusammentreffen mit Mallet in Rom. Auch die Nebenfiguren des Romans erfreuen oder interessiren wenigstens durch ihre Physiognomie und ihr Thun und Lassen. So der kleine Maler Singleton. der mit seinem bescheidnen Fleiß bei mäßiger Anlage und mit seiner Ausdauer der Gegensatz zu Roderick mit seinem stolzen, aber bald ermattenden, weil nicht von pflichttreuen Wollen getragenen Genie ist. So serner der skep¬ tische künstlerische Geschäftsmann Gloriani. der an Roderick in gewissem Maße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/427>, abgerufen am 23.07.2024.