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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Taverne angestellte Berechnung hatte betrogen. Wo war Hohe und Korsa-
kow, welche die gefüllten Magazine zur Disposition stellen sollten? Von dem
Proviant, der mitgeführt, war außerdem sehr viel auf dem Marsche zu Grunde
gegangen. Die Maulthiere, welche noch übrig geblieben, langten erst am
29/September Nachts nach und nach im Muottathale an.

Nachdem der Feldmarschall die erlittenen Niederlagen Korsakow's, Hohe's
und Jellachich's bestätigt erhalten, sah er die große Gefahr, in der er sich
befand, klar vor sich. Nur auf sich allein angewiesen, auf keine Hülfe rechnen
kommend, blieb ihm jetzt nichts mehr übrig, als auf die Rettung seiner kleinen
Armee bedacht zu sein.

Wo war eine solche aber zu suchen? Sollte er in das Schächenthal wieder
zurückkehren, -- sollte er den Marsch gegen Schwyz fortsetzen oder sich über
den Präget-Paß gegen Glarus und das Linththal wenden? Von allen Seiten
waren die Ausgänge aus dem Muottathale vom Feinde besetzt! --

Am 29. September versammelte Suworow einen Kriegsrath, zu dem der
Großfürst Constantin und sämmtliche russische Generale und einige Stabs-
officiere herangezogen wurden; nur der östreichische General Auffenberg wurde
nicht zugelassen. Die Details dieses Kriegsraths sind zu interessant, um
übergangen zu werden. Aus den Memoiren des Fürsten Bagration entnom¬
men, hierüber im Auszuge Folgendes. Fürst Bagration traf, nachdem er die
Einladung zum Kriegsrath erhalten, früher als die übrigen Officiere bet
Suworow ein und fand denselben in einer heftigen Aufregung; in voller
Marschallsuniform, mit allen Orden geschmückt, ging er mit großen Schritten
im Zimmer auf und ab und sprach, ohne das Eintreten Bagratton's zu mer¬
ken, folgende unzusammenhängende Worte vor sich hin:

"Paradewesen! ....

"Gamaschendienst! ....

"Welche Selbstüberschätzung! ....

"Erscheint ein solcher ....

"Herab mit den Hüten! ....

"Du gütiger Gott! nun ja, mag wohl bisweilen auch dieß am Platze
sein.....

"Hauptsache bleibt, Krieg zu führen wissen, Terrainkenntniß, mit Be¬
rechnung zu Werke gehen! sich nicht täuschen lassen, zu siegen verstehen!

"Geschlagen werden ist keine Kunst!

"So viele Tausende von Leuten zu Grunde richten an einem Tage! und
was für Leute.....Grundgütiger Himmel! --

Bagration entfernte sich wiederum still, da ihn Suworow nicht bemerken
zu wollen schien. --

Nach Verlauf einiger Zeit begannen sich die zum Kriegsrath befohlenen


Taverne angestellte Berechnung hatte betrogen. Wo war Hohe und Korsa-
kow, welche die gefüllten Magazine zur Disposition stellen sollten? Von dem
Proviant, der mitgeführt, war außerdem sehr viel auf dem Marsche zu Grunde
gegangen. Die Maulthiere, welche noch übrig geblieben, langten erst am
29/September Nachts nach und nach im Muottathale an.

Nachdem der Feldmarschall die erlittenen Niederlagen Korsakow's, Hohe's
und Jellachich's bestätigt erhalten, sah er die große Gefahr, in der er sich
befand, klar vor sich. Nur auf sich allein angewiesen, auf keine Hülfe rechnen
kommend, blieb ihm jetzt nichts mehr übrig, als auf die Rettung seiner kleinen
Armee bedacht zu sein.

Wo war eine solche aber zu suchen? Sollte er in das Schächenthal wieder
zurückkehren, — sollte er den Marsch gegen Schwyz fortsetzen oder sich über
den Präget-Paß gegen Glarus und das Linththal wenden? Von allen Seiten
waren die Ausgänge aus dem Muottathale vom Feinde besetzt! —

Am 29. September versammelte Suworow einen Kriegsrath, zu dem der
Großfürst Constantin und sämmtliche russische Generale und einige Stabs-
officiere herangezogen wurden; nur der östreichische General Auffenberg wurde
nicht zugelassen. Die Details dieses Kriegsraths sind zu interessant, um
übergangen zu werden. Aus den Memoiren des Fürsten Bagration entnom¬
men, hierüber im Auszuge Folgendes. Fürst Bagration traf, nachdem er die
Einladung zum Kriegsrath erhalten, früher als die übrigen Officiere bet
Suworow ein und fand denselben in einer heftigen Aufregung; in voller
Marschallsuniform, mit allen Orden geschmückt, ging er mit großen Schritten
im Zimmer auf und ab und sprach, ohne das Eintreten Bagratton's zu mer¬
ken, folgende unzusammenhängende Worte vor sich hin:

„Paradewesen! ....

„Gamaschendienst! ....

„Welche Selbstüberschätzung! ....

„Erscheint ein solcher ....

„Herab mit den Hüten! ....

„Du gütiger Gott! nun ja, mag wohl bisweilen auch dieß am Platze
sein.....

„Hauptsache bleibt, Krieg zu führen wissen, Terrainkenntniß, mit Be¬
rechnung zu Werke gehen! sich nicht täuschen lassen, zu siegen verstehen!

„Geschlagen werden ist keine Kunst!

„So viele Tausende von Leuten zu Grunde richten an einem Tage! und
was für Leute.....Grundgütiger Himmel! —

Bagration entfernte sich wiederum still, da ihn Suworow nicht bemerken
zu wollen schien. —

Nach Verlauf einiger Zeit begannen sich die zum Kriegsrath befohlenen


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[0415] Taverne angestellte Berechnung hatte betrogen. Wo war Hohe und Korsa- kow, welche die gefüllten Magazine zur Disposition stellen sollten? Von dem Proviant, der mitgeführt, war außerdem sehr viel auf dem Marsche zu Grunde gegangen. Die Maulthiere, welche noch übrig geblieben, langten erst am 29/September Nachts nach und nach im Muottathale an. Nachdem der Feldmarschall die erlittenen Niederlagen Korsakow's, Hohe's und Jellachich's bestätigt erhalten, sah er die große Gefahr, in der er sich befand, klar vor sich. Nur auf sich allein angewiesen, auf keine Hülfe rechnen kommend, blieb ihm jetzt nichts mehr übrig, als auf die Rettung seiner kleinen Armee bedacht zu sein. Wo war eine solche aber zu suchen? Sollte er in das Schächenthal wieder zurückkehren, — sollte er den Marsch gegen Schwyz fortsetzen oder sich über den Präget-Paß gegen Glarus und das Linththal wenden? Von allen Seiten waren die Ausgänge aus dem Muottathale vom Feinde besetzt! — Am 29. September versammelte Suworow einen Kriegsrath, zu dem der Großfürst Constantin und sämmtliche russische Generale und einige Stabs- officiere herangezogen wurden; nur der östreichische General Auffenberg wurde nicht zugelassen. Die Details dieses Kriegsraths sind zu interessant, um übergangen zu werden. Aus den Memoiren des Fürsten Bagration entnom¬ men, hierüber im Auszuge Folgendes. Fürst Bagration traf, nachdem er die Einladung zum Kriegsrath erhalten, früher als die übrigen Officiere bet Suworow ein und fand denselben in einer heftigen Aufregung; in voller Marschallsuniform, mit allen Orden geschmückt, ging er mit großen Schritten im Zimmer auf und ab und sprach, ohne das Eintreten Bagratton's zu mer¬ ken, folgende unzusammenhängende Worte vor sich hin: „Paradewesen! .... „Gamaschendienst! .... „Welche Selbstüberschätzung! .... „Erscheint ein solcher .... „Herab mit den Hüten! .... „Du gütiger Gott! nun ja, mag wohl bisweilen auch dieß am Platze sein..... „Hauptsache bleibt, Krieg zu führen wissen, Terrainkenntniß, mit Be¬ rechnung zu Werke gehen! sich nicht täuschen lassen, zu siegen verstehen! „Geschlagen werden ist keine Kunst! „So viele Tausende von Leuten zu Grunde richten an einem Tage! und was für Leute.....Grundgütiger Himmel! — Bagration entfernte sich wiederum still, da ihn Suworow nicht bemerken zu wollen schien. — Nach Verlauf einiger Zeit begannen sich die zum Kriegsrath befohlenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/415>, abgerufen am 19.10.2024.