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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Regierung mißbillige jene übereilte Reorganisation. Ist diese Aussage wahr,
und wir haben keinen Grund daran zu zweifeln, da sie bis jetzt nicht wider¬
legt wurde, so ist sie ein bedauerliches Zeichen für den Mangel an Einheit
innerhalb der Regierung selbst. Der Oberpräsident wenigstens konnte und
kann die Reorganisation der für das Elsaß wichtigsten Anstalt nicht mi߬
billigen, die sich noch immer in den Grenzen der bescheidensten Forderungen
bewegt und nur dem Gesetze Folge zu leisten versucht. Der Oberpräsident
aber, durch seine milde und nachgiebige Haltung den Wünschen der Bevöl¬
kerung gegenüber längst bekannt und gerühmt, hat seine volle Billigung mit
der Reorganisation ausgesprochen und ist nicht gewillt, sie wieder zurückgehen
zu lassen.

Manche treffende Beobachtung über den Charakter der alten Bewohner
konnte der stille Zuschauer während dieses langen Kampfes machen, eines aber
ist wie zuvor so auch jetzt wiederholt klar zu Tage getreten, daß leider
manchen Deutschen noch immer der wahre Patriotismus abgeht und sie häusig
aus krankhafter Humanität sich veranlaßt fühlen, mit dem principiellen Gegner,
da er dem unterdrückten (sie!) Volke angehört, zu sympathisirenohne die
realen Verhältnisse ins Auge zu fassen. Möchte denn wenigstens die Presse
sich hüten, wie sie es mit wenigen Ausnahmen bisher gethan, die mißliche
Lage durch gefärbte, ganz in französischem, nicht elsässischem Sinne geschriebene
Artikel noch mehr zu erschweren oder gar den hiesigen Deutschen die moralische
Unterstützung des großen Vaterlandes, die ihnen so durchaus nothwendig ist,
zu untergraben.




Münchner Briefe.

Wir sprechen heut vom Theater. Bis vor noch nicht lange Zeit hatte
das Hof. und Nationaltheater und in diesem die königliche Bühne das Theater¬
monopol in der bayrischen Residenz. Von mehreren Bühnen, wie deren alle
andern größern Hauptstädte haben, wußte man nichts. Denn das alte, ur¬
wüchsige Lipperttheater, die unvergessene Volksbühne Altmünchens in der An,
war längst eingegangen. Dann tauchte das Aktientheater auf, eine großartig
angelegte mit weit über die vorhandenen Mittel hinausgehenden Luxus be¬
triebene, und endlich zusammenkrachende Unternehmung. Jahre lang stand
das große, schöne Haus leer und verwaist, der Stadttheil, welcher sich um dasselbe
und den "Gärtnerplatz", an dem es steht, herum angebaut hatte, drohte auch


Grenzboten I. 1876. S

Regierung mißbillige jene übereilte Reorganisation. Ist diese Aussage wahr,
und wir haben keinen Grund daran zu zweifeln, da sie bis jetzt nicht wider¬
legt wurde, so ist sie ein bedauerliches Zeichen für den Mangel an Einheit
innerhalb der Regierung selbst. Der Oberpräsident wenigstens konnte und
kann die Reorganisation der für das Elsaß wichtigsten Anstalt nicht mi߬
billigen, die sich noch immer in den Grenzen der bescheidensten Forderungen
bewegt und nur dem Gesetze Folge zu leisten versucht. Der Oberpräsident
aber, durch seine milde und nachgiebige Haltung den Wünschen der Bevöl¬
kerung gegenüber längst bekannt und gerühmt, hat seine volle Billigung mit
der Reorganisation ausgesprochen und ist nicht gewillt, sie wieder zurückgehen
zu lassen.

Manche treffende Beobachtung über den Charakter der alten Bewohner
konnte der stille Zuschauer während dieses langen Kampfes machen, eines aber
ist wie zuvor so auch jetzt wiederholt klar zu Tage getreten, daß leider
manchen Deutschen noch immer der wahre Patriotismus abgeht und sie häusig
aus krankhafter Humanität sich veranlaßt fühlen, mit dem principiellen Gegner,
da er dem unterdrückten (sie!) Volke angehört, zu sympathisirenohne die
realen Verhältnisse ins Auge zu fassen. Möchte denn wenigstens die Presse
sich hüten, wie sie es mit wenigen Ausnahmen bisher gethan, die mißliche
Lage durch gefärbte, ganz in französischem, nicht elsässischem Sinne geschriebene
Artikel noch mehr zu erschweren oder gar den hiesigen Deutschen die moralische
Unterstützung des großen Vaterlandes, die ihnen so durchaus nothwendig ist,
zu untergraben.




Münchner Briefe.

Wir sprechen heut vom Theater. Bis vor noch nicht lange Zeit hatte
das Hof. und Nationaltheater und in diesem die königliche Bühne das Theater¬
monopol in der bayrischen Residenz. Von mehreren Bühnen, wie deren alle
andern größern Hauptstädte haben, wußte man nichts. Denn das alte, ur¬
wüchsige Lipperttheater, die unvergessene Volksbühne Altmünchens in der An,
war längst eingegangen. Dann tauchte das Aktientheater auf, eine großartig
angelegte mit weit über die vorhandenen Mittel hinausgehenden Luxus be¬
triebene, und endlich zusammenkrachende Unternehmung. Jahre lang stand
das große, schöne Haus leer und verwaist, der Stadttheil, welcher sich um dasselbe
und den „Gärtnerplatz", an dem es steht, herum angebaut hatte, drohte auch


Grenzboten I. 1876. S
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[0041] Regierung mißbillige jene übereilte Reorganisation. Ist diese Aussage wahr, und wir haben keinen Grund daran zu zweifeln, da sie bis jetzt nicht wider¬ legt wurde, so ist sie ein bedauerliches Zeichen für den Mangel an Einheit innerhalb der Regierung selbst. Der Oberpräsident wenigstens konnte und kann die Reorganisation der für das Elsaß wichtigsten Anstalt nicht mi߬ billigen, die sich noch immer in den Grenzen der bescheidensten Forderungen bewegt und nur dem Gesetze Folge zu leisten versucht. Der Oberpräsident aber, durch seine milde und nachgiebige Haltung den Wünschen der Bevöl¬ kerung gegenüber längst bekannt und gerühmt, hat seine volle Billigung mit der Reorganisation ausgesprochen und ist nicht gewillt, sie wieder zurückgehen zu lassen. Manche treffende Beobachtung über den Charakter der alten Bewohner konnte der stille Zuschauer während dieses langen Kampfes machen, eines aber ist wie zuvor so auch jetzt wiederholt klar zu Tage getreten, daß leider manchen Deutschen noch immer der wahre Patriotismus abgeht und sie häusig aus krankhafter Humanität sich veranlaßt fühlen, mit dem principiellen Gegner, da er dem unterdrückten (sie!) Volke angehört, zu sympathisirenohne die realen Verhältnisse ins Auge zu fassen. Möchte denn wenigstens die Presse sich hüten, wie sie es mit wenigen Ausnahmen bisher gethan, die mißliche Lage durch gefärbte, ganz in französischem, nicht elsässischem Sinne geschriebene Artikel noch mehr zu erschweren oder gar den hiesigen Deutschen die moralische Unterstützung des großen Vaterlandes, die ihnen so durchaus nothwendig ist, zu untergraben. Münchner Briefe. Wir sprechen heut vom Theater. Bis vor noch nicht lange Zeit hatte das Hof. und Nationaltheater und in diesem die königliche Bühne das Theater¬ monopol in der bayrischen Residenz. Von mehreren Bühnen, wie deren alle andern größern Hauptstädte haben, wußte man nichts. Denn das alte, ur¬ wüchsige Lipperttheater, die unvergessene Volksbühne Altmünchens in der An, war längst eingegangen. Dann tauchte das Aktientheater auf, eine großartig angelegte mit weit über die vorhandenen Mittel hinausgehenden Luxus be¬ triebene, und endlich zusammenkrachende Unternehmung. Jahre lang stand das große, schöne Haus leer und verwaist, der Stadttheil, welcher sich um dasselbe und den „Gärtnerplatz", an dem es steht, herum angebaut hatte, drohte auch Grenzboten I. 1876. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/41>, abgerufen am 26.09.2024.