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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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der Jugend gab; den wahren Hergang kannte man nicht und niemand ließ
sich herbei, die Vertheidigung zu übernehmen. Wir überlassen es dem Leser,
ob er Lust hat ein gleiches Urtheil zu fällen und fügen nur hinzu, daß den
Referenten, dem die Einführung des Buches natürlich zugeschoben wurde, auch
nicht der Schatten eines Vorwurfs treffen kann, da das Buch zur Zeit seines
Vorgängers eingeführt wurde.

Die zweite Neuerung betrifft eine in Deutschland unbekannte Einrichtung:
nach französischer Weise ist nämlich der ganze Donnerstag bisher frei gewesen.
Dies aufrecht zu erhalten, war mit Aufnahme der Turnstunden in den nor¬
malen Lehrplan diesen Herbst unmöglich geworden, außerdem sprachen die ge¬
wichtigsten pädagogischen Bedenken gegen Beibehaltung eines ganzen freien
Tages in der Woche. Man belegte also den Vormittag mit einigen Stunden
und das Stift genehmigte den Vorschlag. Daß die alten Straßburger sich
eine solche Einrichtung nicht rauben ließen ohne Protest, war vorauszusehen.
Es entstand denn auch eine Agitation, als ob es sich um die wichtigste po¬
litische Frage handelte und derselben gelang es schließlich das Stift zu dem
Beschlusse zu bewegen, den Donnerstag wieder frei zu geben. Wie sich das
mit den Interessen der Schule verträgt, danach wird wenig gefragt. Dem
Referenten aber ward natürlich allein das zur Last gelegt, was das Stift an¬
fänglich beschlossen hatte. Interessant war hierbei nur, daß man erfuhr, wie
die französische Partei doch herzlich wenig Boden in dem Kern der Stra߬
burger Bevölkerung hat: die Petition, die für Freigebung des Donnerstags
colportirt wurde, fand nur 80 Unterschriften; das hindert indeß das "Elf.
Journ." nicht, immer wieder zu behaupten, hinter ihm stände die ganze Stadt,
das ganze Land.

Dieselben Vorwürfe werden dem Res. in dem dritten der erwähnten
Punkte gemacht; indeß nicht der Referent war es, der die Ersetzung eines
Elsässers in der Leitung des Internats durch einen Deutschen verlangte,
sondern der Oberpräsident selbst. Die Wahrheit zu erforschen, darauf kam
es aber jener Patriotenpartei weit weniger an, als aus unbegründeten An¬
klagen eine gute Waffe zu schmieden zur Herabsetzung des abgefallenen
Elsässers, der im Gegensatz zu ihnen nicht hohle Phrasen im Munde
führt, sondern dem Wohle seines Heimathlandes seine Zeit und seine
Kräfte opfert.

In dem langen Streite, den man nach kurzer Pause auch in der hiesigen
Presse wieder aufgenommen hat, ist noch eine Menge anderer Sachen vor¬
gebracht worden; es sind verschiedene Leute selbst mit Namensunterschrift in
die Arena eingetreten, ja sogar die Aussage eines Regierungsmitgliedes, das
mit Namen genannt wird, ist angeführt worden, zuletzt von dem Corre-
spondenten des "Im neuen Reich", um die Behauptung zu begründen, die


der Jugend gab; den wahren Hergang kannte man nicht und niemand ließ
sich herbei, die Vertheidigung zu übernehmen. Wir überlassen es dem Leser,
ob er Lust hat ein gleiches Urtheil zu fällen und fügen nur hinzu, daß den
Referenten, dem die Einführung des Buches natürlich zugeschoben wurde, auch
nicht der Schatten eines Vorwurfs treffen kann, da das Buch zur Zeit seines
Vorgängers eingeführt wurde.

Die zweite Neuerung betrifft eine in Deutschland unbekannte Einrichtung:
nach französischer Weise ist nämlich der ganze Donnerstag bisher frei gewesen.
Dies aufrecht zu erhalten, war mit Aufnahme der Turnstunden in den nor¬
malen Lehrplan diesen Herbst unmöglich geworden, außerdem sprachen die ge¬
wichtigsten pädagogischen Bedenken gegen Beibehaltung eines ganzen freien
Tages in der Woche. Man belegte also den Vormittag mit einigen Stunden
und das Stift genehmigte den Vorschlag. Daß die alten Straßburger sich
eine solche Einrichtung nicht rauben ließen ohne Protest, war vorauszusehen.
Es entstand denn auch eine Agitation, als ob es sich um die wichtigste po¬
litische Frage handelte und derselben gelang es schließlich das Stift zu dem
Beschlusse zu bewegen, den Donnerstag wieder frei zu geben. Wie sich das
mit den Interessen der Schule verträgt, danach wird wenig gefragt. Dem
Referenten aber ward natürlich allein das zur Last gelegt, was das Stift an¬
fänglich beschlossen hatte. Interessant war hierbei nur, daß man erfuhr, wie
die französische Partei doch herzlich wenig Boden in dem Kern der Stra߬
burger Bevölkerung hat: die Petition, die für Freigebung des Donnerstags
colportirt wurde, fand nur 80 Unterschriften; das hindert indeß das „Elf.
Journ." nicht, immer wieder zu behaupten, hinter ihm stände die ganze Stadt,
das ganze Land.

Dieselben Vorwürfe werden dem Res. in dem dritten der erwähnten
Punkte gemacht; indeß nicht der Referent war es, der die Ersetzung eines
Elsässers in der Leitung des Internats durch einen Deutschen verlangte,
sondern der Oberpräsident selbst. Die Wahrheit zu erforschen, darauf kam
es aber jener Patriotenpartei weit weniger an, als aus unbegründeten An¬
klagen eine gute Waffe zu schmieden zur Herabsetzung des abgefallenen
Elsässers, der im Gegensatz zu ihnen nicht hohle Phrasen im Munde
führt, sondern dem Wohle seines Heimathlandes seine Zeit und seine
Kräfte opfert.

In dem langen Streite, den man nach kurzer Pause auch in der hiesigen
Presse wieder aufgenommen hat, ist noch eine Menge anderer Sachen vor¬
gebracht worden; es sind verschiedene Leute selbst mit Namensunterschrift in
die Arena eingetreten, ja sogar die Aussage eines Regierungsmitgliedes, das
mit Namen genannt wird, ist angeführt worden, zuletzt von dem Corre-
spondenten des „Im neuen Reich", um die Behauptung zu begründen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/40>, abgerufen am 26.09.2024.