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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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am Fenster saß und beim schwirrenden Fädlein horchte, was jene erzählten.
Zu ihrer Seite stand in der Nische ein Blumenstrauß, auf der Straße kletter¬
ten ein paar Zicklein und der herrische stattliche Truthahn lärmte im Hof
und verstieg sich mitunter auf die Flur.

Die Lage der Stadt, die durch die Festung bestimmt ist, macht jede Aus¬
dehnung ins Weite unmöglich, sie stellt sich fast nur als eine einzige Straße
dar, die wie zum Schutze sich hinter den Felsen zusammenkauert. Auch hier
haben die Geschosse von 1870 schwere Wunden geschlagen, aber auch hier sind
gottlob, die Wunden vernarbt und nicht wenige Häuser tragen jetzt ein so
stattlich blankes Gepräge, daß man die Neuheit schon von weitem merkt.
Vor den Läden, die im Erdgeschoß liegen, sieht man große Spiegelscheiben und
hinter einer derselben guckt mit glänzenden Augen eine Mohrin hervor, die
wohl in französischen Zeiten aus Algier dem Gatten folgte. Nun mehrt sie
die schwarzen Unterthanen des Reiches.

Ueberhaupt ist der französische Zug. der sich im Thun und Treiben des
Volkes, in seiner Lebensweise und seinen Manieren zeigt, entschieden fühlbar,
ein gewisser Hang zur Hyperbel, ein gewisses decoratives Bedürfniß macht sich
selbst in diesen engsten Grenzen, selbst bei diesen bescheidenen Mitteln geltend.
In einer Trödlerbude, wo ich eingetreten, saß eine Hekuba im tiefsten negliges,
ich frug nach dem und jenem, doch ihre erste Antwort war, ich möge es nur
um Himmelswillen entschuldigen, daß sie noch nicht "in Toilette" sei! Es
sei eben auch erst elf Uhr Morgens und fo frühe (!) sei es für "Damen" fast
unmöglich sich anzukleiden. So sprach die Gestalt, die aussah, als führe sie
seit hundert Jahren zum Brocken -- man meint, wir wären unter dem Nord
Valerien, statt unter dem einsamen Felsen von Bieses.

Hoch über die Häuser der Stadt hinweg ragt die mächtige Kirche, die
von der nahen Abtei Stürzelbronn erbaut ward. Das röthliche Gestein ist
jetzt von der Zeit geschwärzt und auch im Innern herrscht jenes gedämpfte
Licht, das den geheimnißvollen Formen des katholischen Cultes so günstig ist.
Die riesigen Fenster zeigen farbiges Glas, eine gewaltige Orgel erhebt sich im
Hintergrund, ein stummes Denkmal blickt uns steinern an. Es ist dem Grafen
Bombelles gewidmet, der die Befestigungen der Stadt erneuert hatte. In
den eichenen braunen Bänken aber ist es stille und leer und wir lesen mit
Muße die Namen ab, die dort stehen, sorgsam mit Ur. verziert; manch über¬
müthige Kritzelei daneben, die wohl einer verübt hat, dem die Predigt zu
lange ward. Da lispelt es auf einmal hinter der Säule, man hört
jenes eigenthümlich Zischen und Flüstern, das stillen Betern so eigen ist, da¬
zwischen tiefere Athemzüge und in einem Winkel der Kirche sehen wir zwei
Nonnen in Andacht. Lautlos und unbemerkt ziehen wir an ihnen vorüber


am Fenster saß und beim schwirrenden Fädlein horchte, was jene erzählten.
Zu ihrer Seite stand in der Nische ein Blumenstrauß, auf der Straße kletter¬
ten ein paar Zicklein und der herrische stattliche Truthahn lärmte im Hof
und verstieg sich mitunter auf die Flur.

Die Lage der Stadt, die durch die Festung bestimmt ist, macht jede Aus¬
dehnung ins Weite unmöglich, sie stellt sich fast nur als eine einzige Straße
dar, die wie zum Schutze sich hinter den Felsen zusammenkauert. Auch hier
haben die Geschosse von 1870 schwere Wunden geschlagen, aber auch hier sind
gottlob, die Wunden vernarbt und nicht wenige Häuser tragen jetzt ein so
stattlich blankes Gepräge, daß man die Neuheit schon von weitem merkt.
Vor den Läden, die im Erdgeschoß liegen, sieht man große Spiegelscheiben und
hinter einer derselben guckt mit glänzenden Augen eine Mohrin hervor, die
wohl in französischen Zeiten aus Algier dem Gatten folgte. Nun mehrt sie
die schwarzen Unterthanen des Reiches.

Ueberhaupt ist der französische Zug. der sich im Thun und Treiben des
Volkes, in seiner Lebensweise und seinen Manieren zeigt, entschieden fühlbar,
ein gewisser Hang zur Hyperbel, ein gewisses decoratives Bedürfniß macht sich
selbst in diesen engsten Grenzen, selbst bei diesen bescheidenen Mitteln geltend.
In einer Trödlerbude, wo ich eingetreten, saß eine Hekuba im tiefsten negliges,
ich frug nach dem und jenem, doch ihre erste Antwort war, ich möge es nur
um Himmelswillen entschuldigen, daß sie noch nicht „in Toilette" sei! Es
sei eben auch erst elf Uhr Morgens und fo frühe (!) sei es für „Damen" fast
unmöglich sich anzukleiden. So sprach die Gestalt, die aussah, als führe sie
seit hundert Jahren zum Brocken — man meint, wir wären unter dem Nord
Valerien, statt unter dem einsamen Felsen von Bieses.

Hoch über die Häuser der Stadt hinweg ragt die mächtige Kirche, die
von der nahen Abtei Stürzelbronn erbaut ward. Das röthliche Gestein ist
jetzt von der Zeit geschwärzt und auch im Innern herrscht jenes gedämpfte
Licht, das den geheimnißvollen Formen des katholischen Cultes so günstig ist.
Die riesigen Fenster zeigen farbiges Glas, eine gewaltige Orgel erhebt sich im
Hintergrund, ein stummes Denkmal blickt uns steinern an. Es ist dem Grafen
Bombelles gewidmet, der die Befestigungen der Stadt erneuert hatte. In
den eichenen braunen Bänken aber ist es stille und leer und wir lesen mit
Muße die Namen ab, die dort stehen, sorgsam mit Ur. verziert; manch über¬
müthige Kritzelei daneben, die wohl einer verübt hat, dem die Predigt zu
lange ward. Da lispelt es auf einmal hinter der Säule, man hört
jenes eigenthümlich Zischen und Flüstern, das stillen Betern so eigen ist, da¬
zwischen tiefere Athemzüge und in einem Winkel der Kirche sehen wir zwei
Nonnen in Andacht. Lautlos und unbemerkt ziehen wir an ihnen vorüber


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[0395] am Fenster saß und beim schwirrenden Fädlein horchte, was jene erzählten. Zu ihrer Seite stand in der Nische ein Blumenstrauß, auf der Straße kletter¬ ten ein paar Zicklein und der herrische stattliche Truthahn lärmte im Hof und verstieg sich mitunter auf die Flur. Die Lage der Stadt, die durch die Festung bestimmt ist, macht jede Aus¬ dehnung ins Weite unmöglich, sie stellt sich fast nur als eine einzige Straße dar, die wie zum Schutze sich hinter den Felsen zusammenkauert. Auch hier haben die Geschosse von 1870 schwere Wunden geschlagen, aber auch hier sind gottlob, die Wunden vernarbt und nicht wenige Häuser tragen jetzt ein so stattlich blankes Gepräge, daß man die Neuheit schon von weitem merkt. Vor den Läden, die im Erdgeschoß liegen, sieht man große Spiegelscheiben und hinter einer derselben guckt mit glänzenden Augen eine Mohrin hervor, die wohl in französischen Zeiten aus Algier dem Gatten folgte. Nun mehrt sie die schwarzen Unterthanen des Reiches. Ueberhaupt ist der französische Zug. der sich im Thun und Treiben des Volkes, in seiner Lebensweise und seinen Manieren zeigt, entschieden fühlbar, ein gewisser Hang zur Hyperbel, ein gewisses decoratives Bedürfniß macht sich selbst in diesen engsten Grenzen, selbst bei diesen bescheidenen Mitteln geltend. In einer Trödlerbude, wo ich eingetreten, saß eine Hekuba im tiefsten negliges, ich frug nach dem und jenem, doch ihre erste Antwort war, ich möge es nur um Himmelswillen entschuldigen, daß sie noch nicht „in Toilette" sei! Es sei eben auch erst elf Uhr Morgens und fo frühe (!) sei es für „Damen" fast unmöglich sich anzukleiden. So sprach die Gestalt, die aussah, als führe sie seit hundert Jahren zum Brocken — man meint, wir wären unter dem Nord Valerien, statt unter dem einsamen Felsen von Bieses. Hoch über die Häuser der Stadt hinweg ragt die mächtige Kirche, die von der nahen Abtei Stürzelbronn erbaut ward. Das röthliche Gestein ist jetzt von der Zeit geschwärzt und auch im Innern herrscht jenes gedämpfte Licht, das den geheimnißvollen Formen des katholischen Cultes so günstig ist. Die riesigen Fenster zeigen farbiges Glas, eine gewaltige Orgel erhebt sich im Hintergrund, ein stummes Denkmal blickt uns steinern an. Es ist dem Grafen Bombelles gewidmet, der die Befestigungen der Stadt erneuert hatte. In den eichenen braunen Bänken aber ist es stille und leer und wir lesen mit Muße die Namen ab, die dort stehen, sorgsam mit Ur. verziert; manch über¬ müthige Kritzelei daneben, die wohl einer verübt hat, dem die Predigt zu lange ward. Da lispelt es auf einmal hinter der Säule, man hört jenes eigenthümlich Zischen und Flüstern, das stillen Betern so eigen ist, da¬ zwischen tiefere Athemzüge und in einem Winkel der Kirche sehen wir zwei Nonnen in Andacht. Lautlos und unbemerkt ziehen wir an ihnen vorüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/395>, abgerufen am 24.08.2024.