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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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auch nach anderer Seite hin, ist das kleine Bieses, denn noch entschiedener tritt
jener herbe rauhe Zug des Bodens hier zu Tage. Schon ist die Rebe, dies
Symbol blühender Lebenslust fast völlig verschwunden und mächtige Wälder,
die ein rauheres Geschlecht erziehen, beherrschen das Land. Von den 30,000
Hectaren die der Kanton umfaßt, sind 21,000 mit Forsten bedeckt und den
Mittelpunkt derselben bildet in freier Runde jener trotzige Fels, auf welchem
die Festung Bieses steht. Zu ihren Füßen hingestreckt entwickelt sich die kleine
Stadt; wir sind bereits "im unteren Theile der Vogesen".

Wer jetzt den Namen Bieses auf die Lippen nimmt, der hört ihn nur
aus dem Lärm des Kanonendonners heraus, der steht nur ein Bild, das von
Pulverwolken verschleiert ist. Wer kannte Bieses vor 1870? Aber nicht dies
Bild ist es, das wir hier verfolgen möchten, wir möchten zurückschauen bis
in jene Zeit, da hier im hohen Wald noch eine Grafenburg gestanden, die
mächtige Herren ihr Eigen nannten. Erst am Schlüsse des XIII. Jahrhun¬
derts gelangte das Haus Zweibrücken in den Besitz, bis 1606 die Lothringer
kamen.

Nun war freilich das stille Schloß, das so kühn und traut im Walde
lag, in die große Fehde der Zeit hineingezogen und so ward unvermerkt die
Burg zur Festung. Natürlich waren es auch hier die Franzosen, die diese
Umgestaltung am entschlossensten vertraten, nachdem sie dauernd in den Besitz
des Platzes gelangt. Schon Vauvan hatte die erste Anlage der Forts ent¬
worfen und Graf Bombelles ward nun beauftragt, sie in seinem Sinn weiter¬
zuführen; mit zündenden Mienen und eisernem Hammer ward dem wilden
Fels das Obdach abgerungen, das er künftighin den Soldaten des großen
Königs und den Soldaten des großen Kaisers gab. Die Casematten waren
vollendet, die Magazine gefüllt, viele hundert Fuß stiegen die Brunnen hinab
durch das Gestein -- Bieses war uneinnehmbar geworden. Das war der
Ruf, der vor seinem Namen einherging, und es hat diesen Ruf gewahrt, durch
alle Zeiten der Gefahr, selbst die Sieger von 1870 lagen vergeblich vor dem
kleinen Fort.

Und dieser zähe Widerstand, den der Kleine dem Großen bot, hat in der
That etwas seltsam Fesselndes, die Unbezwinglichkeit ist das Geheimniß für
jenen Reiz, den diese abgelegene Stätte, den dieser Name übt.

Es war ein blauer duftiger Sonntag, als ich die Mauern der kleinen
Stadt betrat, wo man alsbald mitten drinnen im orginellsten Kleinleben
steht. Das bescheidene Wirthshaus, in dem ich abgestiegen, trug natürlich den
vollen Titel eines großen Hotels, aber das ganze Thun und Treiben trug
doch das Gepräge der schlichten Idylle. Im gesonderten Zimmer saßen die
Honoratioren, wie sie bei uns in Deutschland sitzen, und im Schenkzimmer
daneben sah man die Fuhrleute und Blousenmänner, indeß die emsige Näherin

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auch nach anderer Seite hin, ist das kleine Bieses, denn noch entschiedener tritt
jener herbe rauhe Zug des Bodens hier zu Tage. Schon ist die Rebe, dies
Symbol blühender Lebenslust fast völlig verschwunden und mächtige Wälder,
die ein rauheres Geschlecht erziehen, beherrschen das Land. Von den 30,000
Hectaren die der Kanton umfaßt, sind 21,000 mit Forsten bedeckt und den
Mittelpunkt derselben bildet in freier Runde jener trotzige Fels, auf welchem
die Festung Bieses steht. Zu ihren Füßen hingestreckt entwickelt sich die kleine
Stadt; wir sind bereits „im unteren Theile der Vogesen".

Wer jetzt den Namen Bieses auf die Lippen nimmt, der hört ihn nur
aus dem Lärm des Kanonendonners heraus, der steht nur ein Bild, das von
Pulverwolken verschleiert ist. Wer kannte Bieses vor 1870? Aber nicht dies
Bild ist es, das wir hier verfolgen möchten, wir möchten zurückschauen bis
in jene Zeit, da hier im hohen Wald noch eine Grafenburg gestanden, die
mächtige Herren ihr Eigen nannten. Erst am Schlüsse des XIII. Jahrhun¬
derts gelangte das Haus Zweibrücken in den Besitz, bis 1606 die Lothringer
kamen.

Nun war freilich das stille Schloß, das so kühn und traut im Walde
lag, in die große Fehde der Zeit hineingezogen und so ward unvermerkt die
Burg zur Festung. Natürlich waren es auch hier die Franzosen, die diese
Umgestaltung am entschlossensten vertraten, nachdem sie dauernd in den Besitz
des Platzes gelangt. Schon Vauvan hatte die erste Anlage der Forts ent¬
worfen und Graf Bombelles ward nun beauftragt, sie in seinem Sinn weiter¬
zuführen; mit zündenden Mienen und eisernem Hammer ward dem wilden
Fels das Obdach abgerungen, das er künftighin den Soldaten des großen
Königs und den Soldaten des großen Kaisers gab. Die Casematten waren
vollendet, die Magazine gefüllt, viele hundert Fuß stiegen die Brunnen hinab
durch das Gestein — Bieses war uneinnehmbar geworden. Das war der
Ruf, der vor seinem Namen einherging, und es hat diesen Ruf gewahrt, durch
alle Zeiten der Gefahr, selbst die Sieger von 1870 lagen vergeblich vor dem
kleinen Fort.

Und dieser zähe Widerstand, den der Kleine dem Großen bot, hat in der
That etwas seltsam Fesselndes, die Unbezwinglichkeit ist das Geheimniß für
jenen Reiz, den diese abgelegene Stätte, den dieser Name übt.

Es war ein blauer duftiger Sonntag, als ich die Mauern der kleinen
Stadt betrat, wo man alsbald mitten drinnen im orginellsten Kleinleben
steht. Das bescheidene Wirthshaus, in dem ich abgestiegen, trug natürlich den
vollen Titel eines großen Hotels, aber das ganze Thun und Treiben trug
doch das Gepräge der schlichten Idylle. Im gesonderten Zimmer saßen die
Honoratioren, wie sie bei uns in Deutschland sitzen, und im Schenkzimmer
daneben sah man die Fuhrleute und Blousenmänner, indeß die emsige Näherin

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[0394] auch nach anderer Seite hin, ist das kleine Bieses, denn noch entschiedener tritt jener herbe rauhe Zug des Bodens hier zu Tage. Schon ist die Rebe, dies Symbol blühender Lebenslust fast völlig verschwunden und mächtige Wälder, die ein rauheres Geschlecht erziehen, beherrschen das Land. Von den 30,000 Hectaren die der Kanton umfaßt, sind 21,000 mit Forsten bedeckt und den Mittelpunkt derselben bildet in freier Runde jener trotzige Fels, auf welchem die Festung Bieses steht. Zu ihren Füßen hingestreckt entwickelt sich die kleine Stadt; wir sind bereits „im unteren Theile der Vogesen". Wer jetzt den Namen Bieses auf die Lippen nimmt, der hört ihn nur aus dem Lärm des Kanonendonners heraus, der steht nur ein Bild, das von Pulverwolken verschleiert ist. Wer kannte Bieses vor 1870? Aber nicht dies Bild ist es, das wir hier verfolgen möchten, wir möchten zurückschauen bis in jene Zeit, da hier im hohen Wald noch eine Grafenburg gestanden, die mächtige Herren ihr Eigen nannten. Erst am Schlüsse des XIII. Jahrhun¬ derts gelangte das Haus Zweibrücken in den Besitz, bis 1606 die Lothringer kamen. Nun war freilich das stille Schloß, das so kühn und traut im Walde lag, in die große Fehde der Zeit hineingezogen und so ward unvermerkt die Burg zur Festung. Natürlich waren es auch hier die Franzosen, die diese Umgestaltung am entschlossensten vertraten, nachdem sie dauernd in den Besitz des Platzes gelangt. Schon Vauvan hatte die erste Anlage der Forts ent¬ worfen und Graf Bombelles ward nun beauftragt, sie in seinem Sinn weiter¬ zuführen; mit zündenden Mienen und eisernem Hammer ward dem wilden Fels das Obdach abgerungen, das er künftighin den Soldaten des großen Königs und den Soldaten des großen Kaisers gab. Die Casematten waren vollendet, die Magazine gefüllt, viele hundert Fuß stiegen die Brunnen hinab durch das Gestein — Bieses war uneinnehmbar geworden. Das war der Ruf, der vor seinem Namen einherging, und es hat diesen Ruf gewahrt, durch alle Zeiten der Gefahr, selbst die Sieger von 1870 lagen vergeblich vor dem kleinen Fort. Und dieser zähe Widerstand, den der Kleine dem Großen bot, hat in der That etwas seltsam Fesselndes, die Unbezwinglichkeit ist das Geheimniß für jenen Reiz, den diese abgelegene Stätte, den dieser Name übt. Es war ein blauer duftiger Sonntag, als ich die Mauern der kleinen Stadt betrat, wo man alsbald mitten drinnen im orginellsten Kleinleben steht. Das bescheidene Wirthshaus, in dem ich abgestiegen, trug natürlich den vollen Titel eines großen Hotels, aber das ganze Thun und Treiben trug doch das Gepräge der schlichten Idylle. Im gesonderten Zimmer saßen die Honoratioren, wie sie bei uns in Deutschland sitzen, und im Schenkzimmer daneben sah man die Fuhrleute und Blousenmänner, indeß die emsige Näherin ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/394>, abgerufen am 22.07.2024.