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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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rend der sehr dunklen Nacht, ohne daß es die Russen merkten, den 7800 Fuß
hoben Rücken des Betzberges zu überschreiten. -- Die französischen Truppen
machten es möglich, mit Steigeisen versehen, über diese Höhen zu klettern,
die bis dahin wohl selten ein menschlicher Fuß betreten. Gegen Morgen
debouschirte Lecourbe bei dem Dorfe Göschenen und verwehrte Suworow von
Neuem den Weitermarsch; als der 23. September zu tagen begann, befand
sich auch kein einziger Franzose mehr im Urserenthal.--

Der Feldmarschall brach früh 6 Uhr von Hospenthal auf und vereinigte
sich bei Andermatt mit Rosenberg. In der Entfernung einer guten Viertel¬
stunde nördlich von letzterem Ort, wird der sich längs des rechten Ufers der
Reuß hinziehende Weg plötzlich durch einen gewaltigen Felseoloß versperrt,
der fast senkrecht in das Flußbett abfällt. Durch diese von der Natur gebil¬
dete Mauer ist ein schmaler niedriger Durchgang, das sogenannte Urner Loch,
künstlich gearbeitet. Dasselbe ist 200 Fuß lang und war damals nur
4 Schritt breit und 6 Fuß hoch. Sobald die Straße aus diesem
Tunnel tritt, zieht sie sich an einer fast senkrechten, mehrere hundert
Fuß hohen Felswand hin und fällt dann ziemlich steil gegen die berühmte
Teufelsbrücke ab. Die Entfernung vom Ausgange des Urner Lochs bis zur
Brücke beträgt ungefähr 500 Schritt. Hier bricht die Reuß durch eine enge
Felsspalte zwischen sehr hohen und steilen Felsen hervor. Sich in mehreren
Wasserfällen von einer Höhe über 300 Fuß hinabstürzend, wirft sich der Berg¬
strom, wild schäumend, von Fels zu Fels, schon von weither seine Anwesen¬
heit durch starkes Brausen anzeigend. Die Felsmassen, welche sich auf beiden
Seiten des großartigen Katarakts erheben, nähern sich einander so, daß die
erwähnte Brücke nur in einem einzigen kühnen Bogen, 90 --100 Fuß über
dem Wasserspiegel, von einem Ufer zum andern, gespannt ist. Trotz dieser
Höhe wirft die tobende Reuß den Gischt ihrer Wellen bis auf die Brücke.

Unmittelbar hinter der Brücke führt der Weg hart an steilen Felsen
des linken Ufers weiter, wendet sich dann rechts und fällt zu einer zweiten
Brücke ab. Erst beim Dorfe Göschenen wird das Thal etwas breiter und
verläßt das dunkle Defilee. Die ganze Entfernung vom Urner Loch bis dort¬
hin beträgt ^ Stunden.

Das Terrain erscheint hier so, daß eine Hand voll Leute eine Armee
aufzuhalten im Stande wäre. Die jetzige Brücke über die Reuß wurde im
Jahr 1830 erbaut und befindet sich 30 Fuß über der alten Brücke, die übet-
gens noch erhalten ist.

Die Franzosen hatten den Bogen der Teufelsbrücke nicht gesprengt, sie
hofften auch so Suworow ein: Hierher und nicht weiter zurufen zu können;
eine schwache Abtheilung ihrer Avantgarde vertheidigte das Urner Loch; seinem
Ausgange gegenüber hatte man ein Geschütz aufgestellt, während zwei Batail-


rend der sehr dunklen Nacht, ohne daß es die Russen merkten, den 7800 Fuß
hoben Rücken des Betzberges zu überschreiten. — Die französischen Truppen
machten es möglich, mit Steigeisen versehen, über diese Höhen zu klettern,
die bis dahin wohl selten ein menschlicher Fuß betreten. Gegen Morgen
debouschirte Lecourbe bei dem Dorfe Göschenen und verwehrte Suworow von
Neuem den Weitermarsch; als der 23. September zu tagen begann, befand
sich auch kein einziger Franzose mehr im Urserenthal.--

Der Feldmarschall brach früh 6 Uhr von Hospenthal auf und vereinigte
sich bei Andermatt mit Rosenberg. In der Entfernung einer guten Viertel¬
stunde nördlich von letzterem Ort, wird der sich längs des rechten Ufers der
Reuß hinziehende Weg plötzlich durch einen gewaltigen Felseoloß versperrt,
der fast senkrecht in das Flußbett abfällt. Durch diese von der Natur gebil¬
dete Mauer ist ein schmaler niedriger Durchgang, das sogenannte Urner Loch,
künstlich gearbeitet. Dasselbe ist 200 Fuß lang und war damals nur
4 Schritt breit und 6 Fuß hoch. Sobald die Straße aus diesem
Tunnel tritt, zieht sie sich an einer fast senkrechten, mehrere hundert
Fuß hohen Felswand hin und fällt dann ziemlich steil gegen die berühmte
Teufelsbrücke ab. Die Entfernung vom Ausgange des Urner Lochs bis zur
Brücke beträgt ungefähr 500 Schritt. Hier bricht die Reuß durch eine enge
Felsspalte zwischen sehr hohen und steilen Felsen hervor. Sich in mehreren
Wasserfällen von einer Höhe über 300 Fuß hinabstürzend, wirft sich der Berg¬
strom, wild schäumend, von Fels zu Fels, schon von weither seine Anwesen¬
heit durch starkes Brausen anzeigend. Die Felsmassen, welche sich auf beiden
Seiten des großartigen Katarakts erheben, nähern sich einander so, daß die
erwähnte Brücke nur in einem einzigen kühnen Bogen, 90 —100 Fuß über
dem Wasserspiegel, von einem Ufer zum andern, gespannt ist. Trotz dieser
Höhe wirft die tobende Reuß den Gischt ihrer Wellen bis auf die Brücke.

Unmittelbar hinter der Brücke führt der Weg hart an steilen Felsen
des linken Ufers weiter, wendet sich dann rechts und fällt zu einer zweiten
Brücke ab. Erst beim Dorfe Göschenen wird das Thal etwas breiter und
verläßt das dunkle Defilee. Die ganze Entfernung vom Urner Loch bis dort¬
hin beträgt ^ Stunden.

Das Terrain erscheint hier so, daß eine Hand voll Leute eine Armee
aufzuhalten im Stande wäre. Die jetzige Brücke über die Reuß wurde im
Jahr 1830 erbaut und befindet sich 30 Fuß über der alten Brücke, die übet-
gens noch erhalten ist.

Die Franzosen hatten den Bogen der Teufelsbrücke nicht gesprengt, sie
hofften auch so Suworow ein: Hierher und nicht weiter zurufen zu können;
eine schwache Abtheilung ihrer Avantgarde vertheidigte das Urner Loch; seinem
Ausgange gegenüber hatte man ein Geschütz aufgestellt, während zwei Batail-


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[0384] rend der sehr dunklen Nacht, ohne daß es die Russen merkten, den 7800 Fuß hoben Rücken des Betzberges zu überschreiten. — Die französischen Truppen machten es möglich, mit Steigeisen versehen, über diese Höhen zu klettern, die bis dahin wohl selten ein menschlicher Fuß betreten. Gegen Morgen debouschirte Lecourbe bei dem Dorfe Göschenen und verwehrte Suworow von Neuem den Weitermarsch; als der 23. September zu tagen begann, befand sich auch kein einziger Franzose mehr im Urserenthal.-- Der Feldmarschall brach früh 6 Uhr von Hospenthal auf und vereinigte sich bei Andermatt mit Rosenberg. In der Entfernung einer guten Viertel¬ stunde nördlich von letzterem Ort, wird der sich längs des rechten Ufers der Reuß hinziehende Weg plötzlich durch einen gewaltigen Felseoloß versperrt, der fast senkrecht in das Flußbett abfällt. Durch diese von der Natur gebil¬ dete Mauer ist ein schmaler niedriger Durchgang, das sogenannte Urner Loch, künstlich gearbeitet. Dasselbe ist 200 Fuß lang und war damals nur 4 Schritt breit und 6 Fuß hoch. Sobald die Straße aus diesem Tunnel tritt, zieht sie sich an einer fast senkrechten, mehrere hundert Fuß hohen Felswand hin und fällt dann ziemlich steil gegen die berühmte Teufelsbrücke ab. Die Entfernung vom Ausgange des Urner Lochs bis zur Brücke beträgt ungefähr 500 Schritt. Hier bricht die Reuß durch eine enge Felsspalte zwischen sehr hohen und steilen Felsen hervor. Sich in mehreren Wasserfällen von einer Höhe über 300 Fuß hinabstürzend, wirft sich der Berg¬ strom, wild schäumend, von Fels zu Fels, schon von weither seine Anwesen¬ heit durch starkes Brausen anzeigend. Die Felsmassen, welche sich auf beiden Seiten des großartigen Katarakts erheben, nähern sich einander so, daß die erwähnte Brücke nur in einem einzigen kühnen Bogen, 90 —100 Fuß über dem Wasserspiegel, von einem Ufer zum andern, gespannt ist. Trotz dieser Höhe wirft die tobende Reuß den Gischt ihrer Wellen bis auf die Brücke. Unmittelbar hinter der Brücke führt der Weg hart an steilen Felsen des linken Ufers weiter, wendet sich dann rechts und fällt zu einer zweiten Brücke ab. Erst beim Dorfe Göschenen wird das Thal etwas breiter und verläßt das dunkle Defilee. Die ganze Entfernung vom Urner Loch bis dort¬ hin beträgt ^ Stunden. Das Terrain erscheint hier so, daß eine Hand voll Leute eine Armee aufzuhalten im Stande wäre. Die jetzige Brücke über die Reuß wurde im Jahr 1830 erbaut und befindet sich 30 Fuß über der alten Brücke, die übet- gens noch erhalten ist. Die Franzosen hatten den Bogen der Teufelsbrücke nicht gesprengt, sie hofften auch so Suworow ein: Hierher und nicht weiter zurufen zu können; eine schwache Abtheilung ihrer Avantgarde vertheidigte das Urner Loch; seinem Ausgange gegenüber hatte man ein Geschütz aufgestellt, während zwei Batail-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/384>, abgerufen am 02.07.2024.