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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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lone hinter der Teufelsbrücke Stellung nahmen. Die Reserven befanden sich
bei der zweiten Brücke.

Eines der Bataillone der russischen Avantgarde nähert sich beim Morgen¬
grauen dem Urner Loch. Die Spitze der Colonne dringt todesmuthig hinein,
Wird jedoch von einem so heftigen Geschütz - und Gewehrfeuer empfangen,
daß jedes Vorwärtsschreiten unmöglich ist. Schon dieser Versuch kostete viel.
Es werden nun zwei Umgehungscolonnen formirt. Oberst Trubnikoff erklettert
mit 300 Freiwilligen die Felsen, welche vom Urner Loch durchbrochen werden,
Major Trewvgin steigt mit 200 Jägern in das Bett der Reuß hinab, über¬
schreitet unter unglaublichen Schwierigkeiten, bis an die Schultern im Wasser,
den reißenden Strom und beginnt die jenseitigen Felsenwände zu erklimmen.
Den zuletzt genannten Jägern folgt demnächst ein ganzes Bataillon. Trub¬
nikoff erscheint nun auf den Höhen über dem Urner Loch. Das plötzlich und
so unerwartet von dort kommende Feuer, bringt die vorgeschobene Abtheilung
der Franzosen außer Fassung, sie geben schnell ihre Position auf und eilen
zur Brücke. Dort hat man die Situation erkannt, die Sprengung der Brücke
wird versucht, sie mißlingt -- nur der steinerne Anbau auf der linken Seite
des Flusses wird zerstört; dieß ist aber genügend, um das Hinüberkommen
zu verbieten. Da die Sprengung der Brücke zu früh versucht war, wurde
der vorgeschobenen französischen Abtheilung dadurch aber selbst der Rückzug
abgeschnitten. Ein russisches Bataillon benutzt die allgemeine Verwirrung,
dringt nun durch das Urner Loch und wirft sich mit dem Bajonett auf die
Franzosen. Bis an den Rand des Abgrundes gedrängt, gelingt es ihnen
noch, ihr Geschütz in die Tiefe zu stürzen, dann suchen sie sich selbst, von den
Felsen einzeln herabstürzend, zu retten; doch nur wenige entkommen. Es
entspinnt sich nun hier ein lebhaftes Feuergefecht. Eine dichte Kette fran¬
zösischer Schützen war am jenseitigen Ufer der Reuß postirt; hinter jedem
Stein, hinter jedem Felsstück, überall ragen die Mündungen der feindlichen
Büchsen hervor, von allen Seiten pfeifen die wohltreffenden Kugeln! Die
Russen kommen hier nicht weiter vorwärts. -- Unterdessen hat aber die vor¬
hin erwähnte Abtheilung die Höhen des linken Ufers erklommen und beginnt
gegen die Brücke hinabzusteigen.

General Kamensky war in der Zwischenzeit auch bei Andermatt mit
zwei Regimentern über die Reuß gegangen, hatte den Rücken des Betzberges
erstiegen und kam nun in die Flanke der feindlichen Stellung. -- Die Fran¬
zosen, durch diese Umgehungen bedroht, wurden gezwungen die Vertheidigung
der Brücke auszugeben. --

Die Russen stürzen vorwärts, sie schleppen von Andermatt aus einige
Balken heran; in Ermangelung eines andern Materials werden sie mit den
Schärpen der Officiere und dem Lederzeug der Mannschaften zusammenge-


Grenzbotm I. 1870. 48

lone hinter der Teufelsbrücke Stellung nahmen. Die Reserven befanden sich
bei der zweiten Brücke.

Eines der Bataillone der russischen Avantgarde nähert sich beim Morgen¬
grauen dem Urner Loch. Die Spitze der Colonne dringt todesmuthig hinein,
Wird jedoch von einem so heftigen Geschütz - und Gewehrfeuer empfangen,
daß jedes Vorwärtsschreiten unmöglich ist. Schon dieser Versuch kostete viel.
Es werden nun zwei Umgehungscolonnen formirt. Oberst Trubnikoff erklettert
mit 300 Freiwilligen die Felsen, welche vom Urner Loch durchbrochen werden,
Major Trewvgin steigt mit 200 Jägern in das Bett der Reuß hinab, über¬
schreitet unter unglaublichen Schwierigkeiten, bis an die Schultern im Wasser,
den reißenden Strom und beginnt die jenseitigen Felsenwände zu erklimmen.
Den zuletzt genannten Jägern folgt demnächst ein ganzes Bataillon. Trub¬
nikoff erscheint nun auf den Höhen über dem Urner Loch. Das plötzlich und
so unerwartet von dort kommende Feuer, bringt die vorgeschobene Abtheilung
der Franzosen außer Fassung, sie geben schnell ihre Position auf und eilen
zur Brücke. Dort hat man die Situation erkannt, die Sprengung der Brücke
wird versucht, sie mißlingt — nur der steinerne Anbau auf der linken Seite
des Flusses wird zerstört; dieß ist aber genügend, um das Hinüberkommen
zu verbieten. Da die Sprengung der Brücke zu früh versucht war, wurde
der vorgeschobenen französischen Abtheilung dadurch aber selbst der Rückzug
abgeschnitten. Ein russisches Bataillon benutzt die allgemeine Verwirrung,
dringt nun durch das Urner Loch und wirft sich mit dem Bajonett auf die
Franzosen. Bis an den Rand des Abgrundes gedrängt, gelingt es ihnen
noch, ihr Geschütz in die Tiefe zu stürzen, dann suchen sie sich selbst, von den
Felsen einzeln herabstürzend, zu retten; doch nur wenige entkommen. Es
entspinnt sich nun hier ein lebhaftes Feuergefecht. Eine dichte Kette fran¬
zösischer Schützen war am jenseitigen Ufer der Reuß postirt; hinter jedem
Stein, hinter jedem Felsstück, überall ragen die Mündungen der feindlichen
Büchsen hervor, von allen Seiten pfeifen die wohltreffenden Kugeln! Die
Russen kommen hier nicht weiter vorwärts. — Unterdessen hat aber die vor¬
hin erwähnte Abtheilung die Höhen des linken Ufers erklommen und beginnt
gegen die Brücke hinabzusteigen.

General Kamensky war in der Zwischenzeit auch bei Andermatt mit
zwei Regimentern über die Reuß gegangen, hatte den Rücken des Betzberges
erstiegen und kam nun in die Flanke der feindlichen Stellung. — Die Fran¬
zosen, durch diese Umgehungen bedroht, wurden gezwungen die Vertheidigung
der Brücke auszugeben. —

Die Russen stürzen vorwärts, sie schleppen von Andermatt aus einige
Balken heran; in Ermangelung eines andern Materials werden sie mit den
Schärpen der Officiere und dem Lederzeug der Mannschaften zusammenge-


Grenzbotm I. 1870. 48
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[0385] lone hinter der Teufelsbrücke Stellung nahmen. Die Reserven befanden sich bei der zweiten Brücke. Eines der Bataillone der russischen Avantgarde nähert sich beim Morgen¬ grauen dem Urner Loch. Die Spitze der Colonne dringt todesmuthig hinein, Wird jedoch von einem so heftigen Geschütz - und Gewehrfeuer empfangen, daß jedes Vorwärtsschreiten unmöglich ist. Schon dieser Versuch kostete viel. Es werden nun zwei Umgehungscolonnen formirt. Oberst Trubnikoff erklettert mit 300 Freiwilligen die Felsen, welche vom Urner Loch durchbrochen werden, Major Trewvgin steigt mit 200 Jägern in das Bett der Reuß hinab, über¬ schreitet unter unglaublichen Schwierigkeiten, bis an die Schultern im Wasser, den reißenden Strom und beginnt die jenseitigen Felsenwände zu erklimmen. Den zuletzt genannten Jägern folgt demnächst ein ganzes Bataillon. Trub¬ nikoff erscheint nun auf den Höhen über dem Urner Loch. Das plötzlich und so unerwartet von dort kommende Feuer, bringt die vorgeschobene Abtheilung der Franzosen außer Fassung, sie geben schnell ihre Position auf und eilen zur Brücke. Dort hat man die Situation erkannt, die Sprengung der Brücke wird versucht, sie mißlingt — nur der steinerne Anbau auf der linken Seite des Flusses wird zerstört; dieß ist aber genügend, um das Hinüberkommen zu verbieten. Da die Sprengung der Brücke zu früh versucht war, wurde der vorgeschobenen französischen Abtheilung dadurch aber selbst der Rückzug abgeschnitten. Ein russisches Bataillon benutzt die allgemeine Verwirrung, dringt nun durch das Urner Loch und wirft sich mit dem Bajonett auf die Franzosen. Bis an den Rand des Abgrundes gedrängt, gelingt es ihnen noch, ihr Geschütz in die Tiefe zu stürzen, dann suchen sie sich selbst, von den Felsen einzeln herabstürzend, zu retten; doch nur wenige entkommen. Es entspinnt sich nun hier ein lebhaftes Feuergefecht. Eine dichte Kette fran¬ zösischer Schützen war am jenseitigen Ufer der Reuß postirt; hinter jedem Stein, hinter jedem Felsstück, überall ragen die Mündungen der feindlichen Büchsen hervor, von allen Seiten pfeifen die wohltreffenden Kugeln! Die Russen kommen hier nicht weiter vorwärts. — Unterdessen hat aber die vor¬ hin erwähnte Abtheilung die Höhen des linken Ufers erklommen und beginnt gegen die Brücke hinabzusteigen. General Kamensky war in der Zwischenzeit auch bei Andermatt mit zwei Regimentern über die Reuß gegangen, hatte den Rücken des Betzberges erstiegen und kam nun in die Flanke der feindlichen Stellung. — Die Fran¬ zosen, durch diese Umgehungen bedroht, wurden gezwungen die Vertheidigung der Brücke auszugeben. — Die Russen stürzen vorwärts, sie schleppen von Andermatt aus einige Balken heran; in Ermangelung eines andern Materials werden sie mit den Schärpen der Officiere und dem Lederzeug der Mannschaften zusammenge- Grenzbotm I. 1870. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/385>, abgerufen am 01.07.2024.