Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wird sagen, es kann ja keine so große Schwierigkeit sein, auf derselben mit
einer Armee zu marschiren. Er hat vielleicht auch nicht so Unrecht, denn die
heutige Straße ist 18 ^ Fuß breit, und die Steigung ist an keiner Stelle so
bedeutend, daß man nicht in einem mäßig schweren Wagen stets im Trabe
bleiben könnte. Damals existirte jedoch diese Verbindung Italiens mit der
Schweiz noch nicht. Nur für zweirädrige Karren war der Weg bis Taverne
geeignet, von da an war die Gotthardt-Straße ein durchschnittlich 11 Fuß
breiter, nur für Maulthiere zu passtrender, schlecht unterhaltener Saumpfad.
Vom Monte Cenere hinabsteigend, führt die Straße durch eine offne und
flache Thalmulde in das Thal des Ticino und windet sich hier anfangs
zwischen Weinbergen und Gärten fort. Die Abhänge der Berge zu beiden
Seiten sind mit einer dichten Kultur bedeckt. Im Hintergrunde des Thals
sieht man hinter malerisch gruppirten Vorbergen die schneebedeckten Gipfel der
Hochalpen. -- Weiter aufwärts wird das Thal enger, das Grün ver¬
schwindet, -- Steintrümmerfelder, starre Felsenwände ragen in dasselbe hinein.
Die Straße wechselt oft von einem Ufer des Flusses zum andern, bis endlich
in der Nähe von Airolo das Thal seinen Hauptabschluß durch den Se.
Gotthardt findet, der es gleichsam wie mit einem mächtigen Riegel verschließt.

Am 21. Semptember marschirte die Avantgarde unter Fürst Bagration,
gefolgt vom Corps Derselben von Taverne bis Bellinzona, den 22. bis Gior-
nico. Die übrigen Truppen schlössen sich dem Corps Derselben an. Das
Wetter war der Fortbewegung der Truppenkörper im höchsten Grade hinder¬
lich. Es regnete in diesen Tagen unaufhörlich. eisige, heftige Winde wehten
vom Gebirge. Da Alles natürlich btvouakirte, hatte man durch die kalte,
feuchte Witterung viel zu leiden. Um 4 Uhr Morgens traten stets, nach
alt hergebrachter Gewohnheit Suworow's, sämmtliche Truppen ihren Marsch
an. Der Feldmarschall ritt auf einem kleinen zottigen unschönen Kosacken-
pferde in seiner gewöhnlichen leichten Kleidung. Sein ganzer Anzug bestand
aus einem weißen wollenen Hemde, weißen leinenen Beinkleidern; leinene Socken
und Halbstiefel schützten die Füße; über die Schultern war ein dünner alter
ungefütterter Mantel geworfen; auf dem Kopfe saß ein runder schwarzer
Filzhut mit breitem Rande, unter dem das weiße Haar hervorflatterte. Ueber
der zügelführenden linken Faust hing nach russischer Sitte eine Knute. Uni¬
form zog Suworow nur bei feierlicher Gelegenheit an.

Am 23. rückte die Armee bis Dazio vor. Der Feldmarschall mußte mit
dem Marsche der linken Colonne etwas einhalten, um Rosenberg Zeit zu
seiner Umgehung zu lassen. Letzterer hatte einen viel weiteren und noch be¬
schwerlicheren Weg als die Hauptcolonne. Der ganz schmale Saumpfad durch
das Blegnothal war in Folge des fortwährend herabströmenden Regens
und der rapiden Steilheit kaum zu Passiren und jeder Schritt mußte zum


wird sagen, es kann ja keine so große Schwierigkeit sein, auf derselben mit
einer Armee zu marschiren. Er hat vielleicht auch nicht so Unrecht, denn die
heutige Straße ist 18 ^ Fuß breit, und die Steigung ist an keiner Stelle so
bedeutend, daß man nicht in einem mäßig schweren Wagen stets im Trabe
bleiben könnte. Damals existirte jedoch diese Verbindung Italiens mit der
Schweiz noch nicht. Nur für zweirädrige Karren war der Weg bis Taverne
geeignet, von da an war die Gotthardt-Straße ein durchschnittlich 11 Fuß
breiter, nur für Maulthiere zu passtrender, schlecht unterhaltener Saumpfad.
Vom Monte Cenere hinabsteigend, führt die Straße durch eine offne und
flache Thalmulde in das Thal des Ticino und windet sich hier anfangs
zwischen Weinbergen und Gärten fort. Die Abhänge der Berge zu beiden
Seiten sind mit einer dichten Kultur bedeckt. Im Hintergrunde des Thals
sieht man hinter malerisch gruppirten Vorbergen die schneebedeckten Gipfel der
Hochalpen. — Weiter aufwärts wird das Thal enger, das Grün ver¬
schwindet, — Steintrümmerfelder, starre Felsenwände ragen in dasselbe hinein.
Die Straße wechselt oft von einem Ufer des Flusses zum andern, bis endlich
in der Nähe von Airolo das Thal seinen Hauptabschluß durch den Se.
Gotthardt findet, der es gleichsam wie mit einem mächtigen Riegel verschließt.

Am 21. Semptember marschirte die Avantgarde unter Fürst Bagration,
gefolgt vom Corps Derselben von Taverne bis Bellinzona, den 22. bis Gior-
nico. Die übrigen Truppen schlössen sich dem Corps Derselben an. Das
Wetter war der Fortbewegung der Truppenkörper im höchsten Grade hinder¬
lich. Es regnete in diesen Tagen unaufhörlich. eisige, heftige Winde wehten
vom Gebirge. Da Alles natürlich btvouakirte, hatte man durch die kalte,
feuchte Witterung viel zu leiden. Um 4 Uhr Morgens traten stets, nach
alt hergebrachter Gewohnheit Suworow's, sämmtliche Truppen ihren Marsch
an. Der Feldmarschall ritt auf einem kleinen zottigen unschönen Kosacken-
pferde in seiner gewöhnlichen leichten Kleidung. Sein ganzer Anzug bestand
aus einem weißen wollenen Hemde, weißen leinenen Beinkleidern; leinene Socken
und Halbstiefel schützten die Füße; über die Schultern war ein dünner alter
ungefütterter Mantel geworfen; auf dem Kopfe saß ein runder schwarzer
Filzhut mit breitem Rande, unter dem das weiße Haar hervorflatterte. Ueber
der zügelführenden linken Faust hing nach russischer Sitte eine Knute. Uni¬
form zog Suworow nur bei feierlicher Gelegenheit an.

Am 23. rückte die Armee bis Dazio vor. Der Feldmarschall mußte mit
dem Marsche der linken Colonne etwas einhalten, um Rosenberg Zeit zu
seiner Umgehung zu lassen. Letzterer hatte einen viel weiteren und noch be¬
schwerlicheren Weg als die Hauptcolonne. Der ganz schmale Saumpfad durch
das Blegnothal war in Folge des fortwährend herabströmenden Regens
und der rapiden Steilheit kaum zu Passiren und jeder Schritt mußte zum


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135433"/>
          <p xml:id="ID_1089" prev="#ID_1088"> wird sagen, es kann ja keine so große Schwierigkeit sein, auf derselben mit<lb/>
einer Armee zu marschiren. Er hat vielleicht auch nicht so Unrecht, denn die<lb/>
heutige Straße ist 18 ^ Fuß breit, und die Steigung ist an keiner Stelle so<lb/>
bedeutend, daß man nicht in einem mäßig schweren Wagen stets im Trabe<lb/>
bleiben könnte. Damals existirte jedoch diese Verbindung Italiens mit der<lb/>
Schweiz noch nicht. Nur für zweirädrige Karren war der Weg bis Taverne<lb/>
geeignet, von da an war die Gotthardt-Straße ein durchschnittlich 11 Fuß<lb/>
breiter, nur für Maulthiere zu passtrender, schlecht unterhaltener Saumpfad.<lb/>
Vom Monte Cenere hinabsteigend, führt die Straße durch eine offne und<lb/>
flache Thalmulde in das Thal des Ticino und windet sich hier anfangs<lb/>
zwischen Weinbergen und Gärten fort. Die Abhänge der Berge zu beiden<lb/>
Seiten sind mit einer dichten Kultur bedeckt. Im Hintergrunde des Thals<lb/>
sieht man hinter malerisch gruppirten Vorbergen die schneebedeckten Gipfel der<lb/>
Hochalpen. &#x2014; Weiter aufwärts wird das Thal enger, das Grün ver¬<lb/>
schwindet, &#x2014; Steintrümmerfelder, starre Felsenwände ragen in dasselbe hinein.<lb/>
Die Straße wechselt oft von einem Ufer des Flusses zum andern, bis endlich<lb/>
in der Nähe von Airolo das Thal seinen Hauptabschluß durch den Se.<lb/>
Gotthardt findet, der es gleichsam wie mit einem mächtigen Riegel verschließt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090"> Am 21. Semptember marschirte die Avantgarde unter Fürst Bagration,<lb/>
gefolgt vom Corps Derselben von Taverne bis Bellinzona, den 22. bis Gior-<lb/>
nico. Die übrigen Truppen schlössen sich dem Corps Derselben an. Das<lb/>
Wetter war der Fortbewegung der Truppenkörper im höchsten Grade hinder¬<lb/>
lich. Es regnete in diesen Tagen unaufhörlich. eisige, heftige Winde wehten<lb/>
vom Gebirge. Da Alles natürlich btvouakirte, hatte man durch die kalte,<lb/>
feuchte Witterung viel zu leiden. Um 4 Uhr Morgens traten stets, nach<lb/>
alt hergebrachter Gewohnheit Suworow's, sämmtliche Truppen ihren Marsch<lb/>
an. Der Feldmarschall ritt auf einem kleinen zottigen unschönen Kosacken-<lb/>
pferde in seiner gewöhnlichen leichten Kleidung. Sein ganzer Anzug bestand<lb/>
aus einem weißen wollenen Hemde, weißen leinenen Beinkleidern; leinene Socken<lb/>
und Halbstiefel schützten die Füße; über die Schultern war ein dünner alter<lb/>
ungefütterter Mantel geworfen; auf dem Kopfe saß ein runder schwarzer<lb/>
Filzhut mit breitem Rande, unter dem das weiße Haar hervorflatterte. Ueber<lb/>
der zügelführenden linken Faust hing nach russischer Sitte eine Knute. Uni¬<lb/>
form zog Suworow nur bei feierlicher Gelegenheit an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091" next="#ID_1092"> Am 23. rückte die Armee bis Dazio vor. Der Feldmarschall mußte mit<lb/>
dem Marsche der linken Colonne etwas einhalten, um Rosenberg Zeit zu<lb/>
seiner Umgehung zu lassen. Letzterer hatte einen viel weiteren und noch be¬<lb/>
schwerlicheren Weg als die Hauptcolonne. Der ganz schmale Saumpfad durch<lb/>
das Blegnothal war in Folge des fortwährend herabströmenden Regens<lb/>
und der rapiden Steilheit kaum zu Passiren und jeder Schritt mußte zum</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] wird sagen, es kann ja keine so große Schwierigkeit sein, auf derselben mit einer Armee zu marschiren. Er hat vielleicht auch nicht so Unrecht, denn die heutige Straße ist 18 ^ Fuß breit, und die Steigung ist an keiner Stelle so bedeutend, daß man nicht in einem mäßig schweren Wagen stets im Trabe bleiben könnte. Damals existirte jedoch diese Verbindung Italiens mit der Schweiz noch nicht. Nur für zweirädrige Karren war der Weg bis Taverne geeignet, von da an war die Gotthardt-Straße ein durchschnittlich 11 Fuß breiter, nur für Maulthiere zu passtrender, schlecht unterhaltener Saumpfad. Vom Monte Cenere hinabsteigend, führt die Straße durch eine offne und flache Thalmulde in das Thal des Ticino und windet sich hier anfangs zwischen Weinbergen und Gärten fort. Die Abhänge der Berge zu beiden Seiten sind mit einer dichten Kultur bedeckt. Im Hintergrunde des Thals sieht man hinter malerisch gruppirten Vorbergen die schneebedeckten Gipfel der Hochalpen. — Weiter aufwärts wird das Thal enger, das Grün ver¬ schwindet, — Steintrümmerfelder, starre Felsenwände ragen in dasselbe hinein. Die Straße wechselt oft von einem Ufer des Flusses zum andern, bis endlich in der Nähe von Airolo das Thal seinen Hauptabschluß durch den Se. Gotthardt findet, der es gleichsam wie mit einem mächtigen Riegel verschließt. Am 21. Semptember marschirte die Avantgarde unter Fürst Bagration, gefolgt vom Corps Derselben von Taverne bis Bellinzona, den 22. bis Gior- nico. Die übrigen Truppen schlössen sich dem Corps Derselben an. Das Wetter war der Fortbewegung der Truppenkörper im höchsten Grade hinder¬ lich. Es regnete in diesen Tagen unaufhörlich. eisige, heftige Winde wehten vom Gebirge. Da Alles natürlich btvouakirte, hatte man durch die kalte, feuchte Witterung viel zu leiden. Um 4 Uhr Morgens traten stets, nach alt hergebrachter Gewohnheit Suworow's, sämmtliche Truppen ihren Marsch an. Der Feldmarschall ritt auf einem kleinen zottigen unschönen Kosacken- pferde in seiner gewöhnlichen leichten Kleidung. Sein ganzer Anzug bestand aus einem weißen wollenen Hemde, weißen leinenen Beinkleidern; leinene Socken und Halbstiefel schützten die Füße; über die Schultern war ein dünner alter ungefütterter Mantel geworfen; auf dem Kopfe saß ein runder schwarzer Filzhut mit breitem Rande, unter dem das weiße Haar hervorflatterte. Ueber der zügelführenden linken Faust hing nach russischer Sitte eine Knute. Uni¬ form zog Suworow nur bei feierlicher Gelegenheit an. Am 23. rückte die Armee bis Dazio vor. Der Feldmarschall mußte mit dem Marsche der linken Colonne etwas einhalten, um Rosenberg Zeit zu seiner Umgehung zu lassen. Letzterer hatte einen viel weiteren und noch be¬ schwerlicheren Weg als die Hauptcolonne. Der ganz schmale Saumpfad durch das Blegnothal war in Folge des fortwährend herabströmenden Regens und der rapiden Steilheit kaum zu Passiren und jeder Schritt mußte zum

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/380>, abgerufen am 19.10.2024.