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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Comer Sees über Chiavenna und dann über Landeck und Bludenz nach Feld-
kirch zu gehen. -- Als Ersatz für die Feldartillerie erhielten die russischen
Truppen aus den Arsenälen Piemonts 25 Gebirgsgeschütze; zur Fortschaffung
der Bagage konnte man nur Maulthiere verwenden. Suworow hatte deshalb
frühzeitig den östreichischen General Melas beauftragt für die Gestellung
von 1429 Maulthieren zu sorgen, die in Taverne in Bereitschaft gehalten
werden sollten. Man hoffte so, außer einem dreitägigen Proviant, welchen
die Leute mit sich zu führen hatten, noch einen viertägiger für die ganze
Colonne fortschaffen zu können. War einmal d^r Einmarsch der russischen
Truppen in das Gebirge erfolgt, so war auch nicht mehr auf Proviantzu¬
fuhren aus Italien zu rechnen. Suworow glaubte, daß er nur Schwyz zu
erreichen brauche, um dort durch Vermittlung Korsakow's und Holze's Lebens¬
mittel in Ueberfluß zu erhallen. -- Diese Berechnung erwies sich jedoch
als falsch.

Der Feldmarschall hatte ursprünglich vorausgesetzt, den Se. Gotthardt
am 17. September erreichen und am 19. angreifen zu können. Er wollte
möglichst überraschen und dem Feinde nicht Zeit lassen, seinen rechten Flügel
zu verstärken. -- Als er jedoch am 13. September in Taverne eintraf, fand
er die schon 6 Tage vorher dorthin dirigirten Maulthiere nicht vor und war
dadurch gezwungen, Halt zu machen. Wie entscheidend grade dieser Halt auf
die ganze Kriegsbegebenheit eingewirkt, wird die Folge lehren. Der öst¬
reichische General Melas entschuldigte sich damit, daß die betreffenden Be¬
amten wohl seinen Befehl nicht richtig aufgefaßt. Aus den officiellen Corre-
spondenzen geht aber hervor, daß mindestens eine übergroße Lässigkeit, wenn
nicht selbst eine neue Intrigue, um Suworow in große Verlegenheit zu
bringen, vorlag. In zwei aus Taverne datirten Schreiben läßt der Feld¬
marschall seinen ganzen Unmuth gegen Kaiser Franz hierüber aus ; an Kaiser
Paul spricht er sogar von zweideutigen, schmählichen Versprechungen. Mit
Mühe und Noth wurden nun ohne Hülfe der Oestreicher 650 Maulthiere
zusammengebracht und 1500 Kosackenpferde zum Transport benutzt. -- Am
20. September waren endlich alle Vorbereitungen vollendet. Suworow setzce
die Generäle Holze und Korsakow von seinem Aufbruch aus Taverne in
Kenntniß, mit dem Bemerken, daß er am 27. September in Schwyz zu sein
gedenke. -- Am 21. September, an einem trüben regnerischen Tage näherten
sich die russischen Truppen dem Fuße des Se. Gotthardt. Das Corps Rosen-
berg, welches bei '^ellinzona gestanden, marschirce den Tinao aufwärts bis
Biasca und wandte sich dann von hier aus rendis in das Blegno Thal. --
Suworow selbst brach mit den übrigen Truppen von Taverne gegen Bellin-
zona auf. --

Wer heute im bequemen Reisewagen die Gotthardt-Straße befährt, der


Comer Sees über Chiavenna und dann über Landeck und Bludenz nach Feld-
kirch zu gehen. — Als Ersatz für die Feldartillerie erhielten die russischen
Truppen aus den Arsenälen Piemonts 25 Gebirgsgeschütze; zur Fortschaffung
der Bagage konnte man nur Maulthiere verwenden. Suworow hatte deshalb
frühzeitig den östreichischen General Melas beauftragt für die Gestellung
von 1429 Maulthieren zu sorgen, die in Taverne in Bereitschaft gehalten
werden sollten. Man hoffte so, außer einem dreitägigen Proviant, welchen
die Leute mit sich zu führen hatten, noch einen viertägiger für die ganze
Colonne fortschaffen zu können. War einmal d^r Einmarsch der russischen
Truppen in das Gebirge erfolgt, so war auch nicht mehr auf Proviantzu¬
fuhren aus Italien zu rechnen. Suworow glaubte, daß er nur Schwyz zu
erreichen brauche, um dort durch Vermittlung Korsakow's und Holze's Lebens¬
mittel in Ueberfluß zu erhallen. — Diese Berechnung erwies sich jedoch
als falsch.

Der Feldmarschall hatte ursprünglich vorausgesetzt, den Se. Gotthardt
am 17. September erreichen und am 19. angreifen zu können. Er wollte
möglichst überraschen und dem Feinde nicht Zeit lassen, seinen rechten Flügel
zu verstärken. — Als er jedoch am 13. September in Taverne eintraf, fand
er die schon 6 Tage vorher dorthin dirigirten Maulthiere nicht vor und war
dadurch gezwungen, Halt zu machen. Wie entscheidend grade dieser Halt auf
die ganze Kriegsbegebenheit eingewirkt, wird die Folge lehren. Der öst¬
reichische General Melas entschuldigte sich damit, daß die betreffenden Be¬
amten wohl seinen Befehl nicht richtig aufgefaßt. Aus den officiellen Corre-
spondenzen geht aber hervor, daß mindestens eine übergroße Lässigkeit, wenn
nicht selbst eine neue Intrigue, um Suworow in große Verlegenheit zu
bringen, vorlag. In zwei aus Taverne datirten Schreiben läßt der Feld¬
marschall seinen ganzen Unmuth gegen Kaiser Franz hierüber aus ; an Kaiser
Paul spricht er sogar von zweideutigen, schmählichen Versprechungen. Mit
Mühe und Noth wurden nun ohne Hülfe der Oestreicher 650 Maulthiere
zusammengebracht und 1500 Kosackenpferde zum Transport benutzt. — Am
20. September waren endlich alle Vorbereitungen vollendet. Suworow setzce
die Generäle Holze und Korsakow von seinem Aufbruch aus Taverne in
Kenntniß, mit dem Bemerken, daß er am 27. September in Schwyz zu sein
gedenke. — Am 21. September, an einem trüben regnerischen Tage näherten
sich die russischen Truppen dem Fuße des Se. Gotthardt. Das Corps Rosen-
berg, welches bei '^ellinzona gestanden, marschirce den Tinao aufwärts bis
Biasca und wandte sich dann von hier aus rendis in das Blegno Thal. —
Suworow selbst brach mit den übrigen Truppen von Taverne gegen Bellin-
zona auf. —

Wer heute im bequemen Reisewagen die Gotthardt-Straße befährt, der


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[0379] Comer Sees über Chiavenna und dann über Landeck und Bludenz nach Feld- kirch zu gehen. — Als Ersatz für die Feldartillerie erhielten die russischen Truppen aus den Arsenälen Piemonts 25 Gebirgsgeschütze; zur Fortschaffung der Bagage konnte man nur Maulthiere verwenden. Suworow hatte deshalb frühzeitig den östreichischen General Melas beauftragt für die Gestellung von 1429 Maulthieren zu sorgen, die in Taverne in Bereitschaft gehalten werden sollten. Man hoffte so, außer einem dreitägigen Proviant, welchen die Leute mit sich zu führen hatten, noch einen viertägiger für die ganze Colonne fortschaffen zu können. War einmal d^r Einmarsch der russischen Truppen in das Gebirge erfolgt, so war auch nicht mehr auf Proviantzu¬ fuhren aus Italien zu rechnen. Suworow glaubte, daß er nur Schwyz zu erreichen brauche, um dort durch Vermittlung Korsakow's und Holze's Lebens¬ mittel in Ueberfluß zu erhallen. — Diese Berechnung erwies sich jedoch als falsch. Der Feldmarschall hatte ursprünglich vorausgesetzt, den Se. Gotthardt am 17. September erreichen und am 19. angreifen zu können. Er wollte möglichst überraschen und dem Feinde nicht Zeit lassen, seinen rechten Flügel zu verstärken. — Als er jedoch am 13. September in Taverne eintraf, fand er die schon 6 Tage vorher dorthin dirigirten Maulthiere nicht vor und war dadurch gezwungen, Halt zu machen. Wie entscheidend grade dieser Halt auf die ganze Kriegsbegebenheit eingewirkt, wird die Folge lehren. Der öst¬ reichische General Melas entschuldigte sich damit, daß die betreffenden Be¬ amten wohl seinen Befehl nicht richtig aufgefaßt. Aus den officiellen Corre- spondenzen geht aber hervor, daß mindestens eine übergroße Lässigkeit, wenn nicht selbst eine neue Intrigue, um Suworow in große Verlegenheit zu bringen, vorlag. In zwei aus Taverne datirten Schreiben läßt der Feld¬ marschall seinen ganzen Unmuth gegen Kaiser Franz hierüber aus ; an Kaiser Paul spricht er sogar von zweideutigen, schmählichen Versprechungen. Mit Mühe und Noth wurden nun ohne Hülfe der Oestreicher 650 Maulthiere zusammengebracht und 1500 Kosackenpferde zum Transport benutzt. — Am 20. September waren endlich alle Vorbereitungen vollendet. Suworow setzce die Generäle Holze und Korsakow von seinem Aufbruch aus Taverne in Kenntniß, mit dem Bemerken, daß er am 27. September in Schwyz zu sein gedenke. — Am 21. September, an einem trüben regnerischen Tage näherten sich die russischen Truppen dem Fuße des Se. Gotthardt. Das Corps Rosen- berg, welches bei '^ellinzona gestanden, marschirce den Tinao aufwärts bis Biasca und wandte sich dann von hier aus rendis in das Blegno Thal. — Suworow selbst brach mit den übrigen Truppen von Taverne gegen Bellin- zona auf. — Wer heute im bequemen Reisewagen die Gotthardt-Straße befährt, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/379>, abgerufen am 19.10.2024.