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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Die Straszöurger Kymnastmnsfrage.

Kürzlich war eine (Korrespondenz über eine Straßburger Localfrage, die
hier seit Monaten die Gemüther beschäftigt und erregt, im "Im neuen Reich" zu
lesen, die so sehr den deutschen Interessen wie der Wahrheit widerspricht, daß,
da nun einmal die Sache vor das deutsche Publikum gebracht ist, eine be¬
richtigende Darstellung durchaus nothwendig erscheint. Der Correspondent
giebt in demselben der Regierung den dringenden Rath, die Elsässer, die sich
nach dem Kriege den Deutschen angeschlossen hätten und dadurch zu Aemtern
und Würden gelangt wären, fallen zu lassen, da sie nicht als Vertrauens¬
personen anzusehen seien und der Anbahnung eines besseren Verhältnisses
zwischen Regierung und Volk nur hindernd im Wege ständen. Als Beispiel
mußte ein in letzter Zeit vielfach angegriffener Mann herhalten, über dessen
Haupt der Berichterstatter eine Fluth unbegründeter Anschuldigungen ergießt,
mit deren Widerlegung im Einzelnen wir uns nicht abgeben können; nur sei
im Voraus gesagt, daß dieser Mann die Stellung, in der er angegriffen wird,
gar nicht von der Regierung, sondern von einem elsässischen Kollegium
erhalten hat.

Gegen jenen Rath ist nun zunächst zu bemerken, daß es doch eine Un¬
dankbarkeit ohne Gleichen wäre, wollten die Deutschen jetzt diejenigen fallen
lassen, die sich ihnen aus Ueberzeugung und Tradition, nicht aber aus ehr¬
geizigen Absichten angeschlossen haben; denn ihnen hat ihr offener Uebertritt
noch nicht viel Gutes eingebracht: von ihren Mitbürgern in Bann gethan,
führen sie ein dornenvolles, wenig angenehmes Leben. Aber es wäre auch
ein großer politischer Fehler, denn läßt man jene fallen, so bleibt der Re¬
gierung keine weitere Stütze, aber jene schon so sehr Gehaßten würde nach
ihrem Sturze auch noch der Hohn der Sieger treffen und jedermann würde
sich hüten, durch einen Anschluß an die deutsche Sache einem ähnlichen
Schicksal entgegenzugehen. Man täusche sich nicht: unversöhnlich sind nicht
allein die Ultramontanen und die drei Reichstagsabgeordneten; durch die
öffentliche Meinung wird ein solcher Druck ausgeübt, daß es nur wenige
wagen, insgeheim, geschweige denn offen, Beziehungen und Anknüpfungs¬
punkte mit den Deutschen zu suchen; wer es öffentlich thut, gilt sofort für
einen Verräther und wird ausgestrichen aus der Liste der Elsässer. Wiederholt
aber hat man schon den Versuch gemacht, die, welche den Muth besaßen,
öffentlich zu thun, was ihnen ihre Ueberzeugung eingab, für diesen vermeint¬
lichen Abfall zu bestrafen, sie in den Augen der Bevölkerung herabzusetzen
und zu verunglimpfen. Ein Gleiches geschah in jenem erwähnten Fall: mit
Anfang October hat das "Elsässer Journal" einen wahren Feldzug eröffnet


Die Straszöurger Kymnastmnsfrage.

Kürzlich war eine (Korrespondenz über eine Straßburger Localfrage, die
hier seit Monaten die Gemüther beschäftigt und erregt, im „Im neuen Reich" zu
lesen, die so sehr den deutschen Interessen wie der Wahrheit widerspricht, daß,
da nun einmal die Sache vor das deutsche Publikum gebracht ist, eine be¬
richtigende Darstellung durchaus nothwendig erscheint. Der Correspondent
giebt in demselben der Regierung den dringenden Rath, die Elsässer, die sich
nach dem Kriege den Deutschen angeschlossen hätten und dadurch zu Aemtern
und Würden gelangt wären, fallen zu lassen, da sie nicht als Vertrauens¬
personen anzusehen seien und der Anbahnung eines besseren Verhältnisses
zwischen Regierung und Volk nur hindernd im Wege ständen. Als Beispiel
mußte ein in letzter Zeit vielfach angegriffener Mann herhalten, über dessen
Haupt der Berichterstatter eine Fluth unbegründeter Anschuldigungen ergießt,
mit deren Widerlegung im Einzelnen wir uns nicht abgeben können; nur sei
im Voraus gesagt, daß dieser Mann die Stellung, in der er angegriffen wird,
gar nicht von der Regierung, sondern von einem elsässischen Kollegium
erhalten hat.

Gegen jenen Rath ist nun zunächst zu bemerken, daß es doch eine Un¬
dankbarkeit ohne Gleichen wäre, wollten die Deutschen jetzt diejenigen fallen
lassen, die sich ihnen aus Ueberzeugung und Tradition, nicht aber aus ehr¬
geizigen Absichten angeschlossen haben; denn ihnen hat ihr offener Uebertritt
noch nicht viel Gutes eingebracht: von ihren Mitbürgern in Bann gethan,
führen sie ein dornenvolles, wenig angenehmes Leben. Aber es wäre auch
ein großer politischer Fehler, denn läßt man jene fallen, so bleibt der Re¬
gierung keine weitere Stütze, aber jene schon so sehr Gehaßten würde nach
ihrem Sturze auch noch der Hohn der Sieger treffen und jedermann würde
sich hüten, durch einen Anschluß an die deutsche Sache einem ähnlichen
Schicksal entgegenzugehen. Man täusche sich nicht: unversöhnlich sind nicht
allein die Ultramontanen und die drei Reichstagsabgeordneten; durch die
öffentliche Meinung wird ein solcher Druck ausgeübt, daß es nur wenige
wagen, insgeheim, geschweige denn offen, Beziehungen und Anknüpfungs¬
punkte mit den Deutschen zu suchen; wer es öffentlich thut, gilt sofort für
einen Verräther und wird ausgestrichen aus der Liste der Elsässer. Wiederholt
aber hat man schon den Versuch gemacht, die, welche den Muth besaßen,
öffentlich zu thun, was ihnen ihre Ueberzeugung eingab, für diesen vermeint¬
lichen Abfall zu bestrafen, sie in den Augen der Bevölkerung herabzusetzen
und zu verunglimpfen. Ein Gleiches geschah in jenem erwähnten Fall: mit
Anfang October hat das „Elsässer Journal" einen wahren Feldzug eröffnet


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[0037] Die Straszöurger Kymnastmnsfrage. Kürzlich war eine (Korrespondenz über eine Straßburger Localfrage, die hier seit Monaten die Gemüther beschäftigt und erregt, im „Im neuen Reich" zu lesen, die so sehr den deutschen Interessen wie der Wahrheit widerspricht, daß, da nun einmal die Sache vor das deutsche Publikum gebracht ist, eine be¬ richtigende Darstellung durchaus nothwendig erscheint. Der Correspondent giebt in demselben der Regierung den dringenden Rath, die Elsässer, die sich nach dem Kriege den Deutschen angeschlossen hätten und dadurch zu Aemtern und Würden gelangt wären, fallen zu lassen, da sie nicht als Vertrauens¬ personen anzusehen seien und der Anbahnung eines besseren Verhältnisses zwischen Regierung und Volk nur hindernd im Wege ständen. Als Beispiel mußte ein in letzter Zeit vielfach angegriffener Mann herhalten, über dessen Haupt der Berichterstatter eine Fluth unbegründeter Anschuldigungen ergießt, mit deren Widerlegung im Einzelnen wir uns nicht abgeben können; nur sei im Voraus gesagt, daß dieser Mann die Stellung, in der er angegriffen wird, gar nicht von der Regierung, sondern von einem elsässischen Kollegium erhalten hat. Gegen jenen Rath ist nun zunächst zu bemerken, daß es doch eine Un¬ dankbarkeit ohne Gleichen wäre, wollten die Deutschen jetzt diejenigen fallen lassen, die sich ihnen aus Ueberzeugung und Tradition, nicht aber aus ehr¬ geizigen Absichten angeschlossen haben; denn ihnen hat ihr offener Uebertritt noch nicht viel Gutes eingebracht: von ihren Mitbürgern in Bann gethan, führen sie ein dornenvolles, wenig angenehmes Leben. Aber es wäre auch ein großer politischer Fehler, denn läßt man jene fallen, so bleibt der Re¬ gierung keine weitere Stütze, aber jene schon so sehr Gehaßten würde nach ihrem Sturze auch noch der Hohn der Sieger treffen und jedermann würde sich hüten, durch einen Anschluß an die deutsche Sache einem ähnlichen Schicksal entgegenzugehen. Man täusche sich nicht: unversöhnlich sind nicht allein die Ultramontanen und die drei Reichstagsabgeordneten; durch die öffentliche Meinung wird ein solcher Druck ausgeübt, daß es nur wenige wagen, insgeheim, geschweige denn offen, Beziehungen und Anknüpfungs¬ punkte mit den Deutschen zu suchen; wer es öffentlich thut, gilt sofort für einen Verräther und wird ausgestrichen aus der Liste der Elsässer. Wiederholt aber hat man schon den Versuch gemacht, die, welche den Muth besaßen, öffentlich zu thun, was ihnen ihre Ueberzeugung eingab, für diesen vermeint¬ lichen Abfall zu bestrafen, sie in den Augen der Bevölkerung herabzusetzen und zu verunglimpfen. Ein Gleiches geschah in jenem erwähnten Fall: mit Anfang October hat das „Elsässer Journal" einen wahren Feldzug eröffnet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/37>, abgerufen am 26.09.2024.