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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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zeit hat, daß Herr Eugen Richter zu seinem Nachfolger berufen ist, so würden
wir jene interessante Erfahrung ja machen. An demselben Tage werden ohne
Zweifel die Geier bei den Tauben und die Pardel friedlich bei den Läm¬
mern liegen.

Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß auf zwei Punkte meines letzten
Reichstagsbriefes zurückkomme. Im letzten Absatz desselben, auf Seite 319
ist auf Zeile 13 v. o. anstatt § 130 zu lesen § 130^. Ferner haben Sie mir
diesmal einen Irrthum imputirt, den ich nicht völlig begangen. Ich sagte
nämlich, durch die Herbstsession des Reichstags würden die neuen Reichstags¬
wahlen wiederum in die zweite Hälfte des Dezember fallen. Nun ist aller¬
dings thatsächlich, wie Sie bemerken, noch niemals im Dezember zum Reichs¬
tag gewählt worden. Allein im Dezember 1873 sollte zum jetzigen Reichs¬
tag gewählt werden, und der Plan kam nur darum nicht zur Ausführung,
weil viele Stimmen der öffentlichen Meinung auf die Unzuträglichkeit auf¬
merksam machten. So wurde die Wahl auf den 10. Januar 1874 verlegt,
eine Hinausschiebung, zu der man sich ungern entschloß, weil die Einberufung
des Reichstags drängte, welcher dann am 5. Februar zusammentrat. Dies¬
mal nun sind die Umstände noch erschwerender. Der jetzige Reichstag soll
im Herbst noch einmal zusammentreten. Ihm werden die Reichsjustizgesetze,
die Borlage wegen des Erwerbs der Eisenbahnen durch das Reich, und das
Budget vom Januar bis März 1877 vorliegen. Vor Ende November
wird er sicherlich seine Arbeiten nicht beendigen. Der neue Reichstag muß
aber schon im Januar zusammentreten, um das Budget pro 1. April 1877
0 -- r. bis 1. April 1878 zur rechten Zeit erledigen zu können-




Ale Linverl'eibung Lanwburgs.

Bei Berathung der Bundesverfassung im norddeutschen Reichstage hatte
am 11. März 1867 Gras Bismarck den Gedanken weit abgewiesen, daß Preußen
aus Einverleibung anderer Deutscher Staaten ausgehe oder, auf seine Ueber¬
macht im Bunde sich berufend, von derselben Zugeständnisse zu erzwingen
suche, die nicht freiwillig entgegen getragen würden. Die strengste Beobachtung
dieses Grundsatzes hat jedoch nicht verhindern können, daß andrerseits in
deutschen Kleinstaaten der Wunsch entstand, einer Einverleibung in Preußen
gewürdigt zu werden. Zuerst rückte damit Waldeck hervor, dann Lauenburg.
Beweggrund wciren in beiden Fällen nicht platonische Liebe, sondern die Ver-


zeit hat, daß Herr Eugen Richter zu seinem Nachfolger berufen ist, so würden
wir jene interessante Erfahrung ja machen. An demselben Tage werden ohne
Zweifel die Geier bei den Tauben und die Pardel friedlich bei den Läm¬
mern liegen.

Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß auf zwei Punkte meines letzten
Reichstagsbriefes zurückkomme. Im letzten Absatz desselben, auf Seite 319
ist auf Zeile 13 v. o. anstatt § 130 zu lesen § 130^. Ferner haben Sie mir
diesmal einen Irrthum imputirt, den ich nicht völlig begangen. Ich sagte
nämlich, durch die Herbstsession des Reichstags würden die neuen Reichstags¬
wahlen wiederum in die zweite Hälfte des Dezember fallen. Nun ist aller¬
dings thatsächlich, wie Sie bemerken, noch niemals im Dezember zum Reichs¬
tag gewählt worden. Allein im Dezember 1873 sollte zum jetzigen Reichs¬
tag gewählt werden, und der Plan kam nur darum nicht zur Ausführung,
weil viele Stimmen der öffentlichen Meinung auf die Unzuträglichkeit auf¬
merksam machten. So wurde die Wahl auf den 10. Januar 1874 verlegt,
eine Hinausschiebung, zu der man sich ungern entschloß, weil die Einberufung
des Reichstags drängte, welcher dann am 5. Februar zusammentrat. Dies¬
mal nun sind die Umstände noch erschwerender. Der jetzige Reichstag soll
im Herbst noch einmal zusammentreten. Ihm werden die Reichsjustizgesetze,
die Borlage wegen des Erwerbs der Eisenbahnen durch das Reich, und das
Budget vom Januar bis März 1877 vorliegen. Vor Ende November
wird er sicherlich seine Arbeiten nicht beendigen. Der neue Reichstag muß
aber schon im Januar zusammentreten, um das Budget pro 1. April 1877
0 — r. bis 1. April 1878 zur rechten Zeit erledigen zu können-




Ale Linverl'eibung Lanwburgs.

Bei Berathung der Bundesverfassung im norddeutschen Reichstage hatte
am 11. März 1867 Gras Bismarck den Gedanken weit abgewiesen, daß Preußen
aus Einverleibung anderer Deutscher Staaten ausgehe oder, auf seine Ueber¬
macht im Bunde sich berufend, von derselben Zugeständnisse zu erzwingen
suche, die nicht freiwillig entgegen getragen würden. Die strengste Beobachtung
dieses Grundsatzes hat jedoch nicht verhindern können, daß andrerseits in
deutschen Kleinstaaten der Wunsch entstand, einer Einverleibung in Preußen
gewürdigt zu werden. Zuerst rückte damit Waldeck hervor, dann Lauenburg.
Beweggrund wciren in beiden Fällen nicht platonische Liebe, sondern die Ver-


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[0366] zeit hat, daß Herr Eugen Richter zu seinem Nachfolger berufen ist, so würden wir jene interessante Erfahrung ja machen. An demselben Tage werden ohne Zweifel die Geier bei den Tauben und die Pardel friedlich bei den Läm¬ mern liegen. Gestatten Sie mir, daß ich zum Schluß auf zwei Punkte meines letzten Reichstagsbriefes zurückkomme. Im letzten Absatz desselben, auf Seite 319 ist auf Zeile 13 v. o. anstatt § 130 zu lesen § 130^. Ferner haben Sie mir diesmal einen Irrthum imputirt, den ich nicht völlig begangen. Ich sagte nämlich, durch die Herbstsession des Reichstags würden die neuen Reichstags¬ wahlen wiederum in die zweite Hälfte des Dezember fallen. Nun ist aller¬ dings thatsächlich, wie Sie bemerken, noch niemals im Dezember zum Reichs¬ tag gewählt worden. Allein im Dezember 1873 sollte zum jetzigen Reichs¬ tag gewählt werden, und der Plan kam nur darum nicht zur Ausführung, weil viele Stimmen der öffentlichen Meinung auf die Unzuträglichkeit auf¬ merksam machten. So wurde die Wahl auf den 10. Januar 1874 verlegt, eine Hinausschiebung, zu der man sich ungern entschloß, weil die Einberufung des Reichstags drängte, welcher dann am 5. Februar zusammentrat. Dies¬ mal nun sind die Umstände noch erschwerender. Der jetzige Reichstag soll im Herbst noch einmal zusammentreten. Ihm werden die Reichsjustizgesetze, die Borlage wegen des Erwerbs der Eisenbahnen durch das Reich, und das Budget vom Januar bis März 1877 vorliegen. Vor Ende November wird er sicherlich seine Arbeiten nicht beendigen. Der neue Reichstag muß aber schon im Januar zusammentreten, um das Budget pro 1. April 1877 0 — r. bis 1. April 1878 zur rechten Zeit erledigen zu können- Ale Linverl'eibung Lanwburgs. Bei Berathung der Bundesverfassung im norddeutschen Reichstage hatte am 11. März 1867 Gras Bismarck den Gedanken weit abgewiesen, daß Preußen aus Einverleibung anderer Deutscher Staaten ausgehe oder, auf seine Ueber¬ macht im Bunde sich berufend, von derselben Zugeständnisse zu erzwingen suche, die nicht freiwillig entgegen getragen würden. Die strengste Beobachtung dieses Grundsatzes hat jedoch nicht verhindern können, daß andrerseits in deutschen Kleinstaaten der Wunsch entstand, einer Einverleibung in Preußen gewürdigt zu werden. Zuerst rückte damit Waldeck hervor, dann Lauenburg. Beweggrund wciren in beiden Fällen nicht platonische Liebe, sondern die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/366>, abgerufen am 22.07.2024.