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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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verschied der Minister in den Gemächern des Cardinals Gozzoli, in die man
den Verwundeten getragen hatte.

In diesem selben Augenblicke soll einer der Führer des Jungen Italiens
zu Bologna, auf seine Uhr blickend, gesagt haben: "Eine große That ist
soeben vollbracht worden; wir brauchen Rossi nicht mehr zu fürchten." Eine
18S0 zu Rom herausgekommene Flugschrift aber enthält einen Brief Maz-
zini's. in welchem die Worte vorkommen: "Die Ermordung Rossi's war
nothwendig und geschah mit Recht."

Dennoch bleiben Zweifel übrig, ob der Dolch, der den Minister Pio
Nouv's traf, von der Vehme des Jungen Italiens geschliffen und geführt
worden ist. Die Erzählungen von den Versammlungen in jenem Turiner
Hotel und jenem römischen Theater, die Aeußerung des bologneser Mazzi-
nistenchefs sind gerichtlich nicht festgestellt, der Brief Mazzini's kann gefälscht
oder ganz unecht sein. In Heckethorn's Schrift: "?Ke seerst Looisties ot
all g-Fes" aber finden wir folgenden Satz: "Ich habe Documente gesehen,
die mich veranlassen, mein Urtheil über die Urheber des an Rossi begangenen
Mordes zu vertagen. Nach dem, was ich seitdem erfahren habe, will es
scheinen, als ob die clericale Partei und nicht die Carbonari die That ge¬
plant und ausgeführt hätten. Personen, die beschuldigt waren, bei dem Morde
betheiligt gewesen zu sein, wurden über zwei Jahre im Gefängniß behalten,
ohne daß eine Untersuchung gegen sie eingeleitet worden wäre, und entfernten
sich darauf in der Stille. Rossi hatte kurz vor seinem Tode Steuern im
Betrage von vier Millionen Sendt von geistlichen Gütern erhoben und stand
im Rufe, den Einfluß der Kirche noch mehr beschränken zu wollen."

Neben dem Jungen Italien gingen wie früher neben den Carbonari
mancherlei Geheimbünde mit ähnlicher Tendenz her. So gab es in Padua
eine Gesellschaft, deren Mitglieder sich "FelvaM", Wilde, nannten, indem
sie den Grundsatz Rousseau's, der Mensch müsse sich dem Naturzustande wieder
nähern, dahin übertrieben, er müsse in den Zustand der Wildheit zurückkehren.
In Neapel wurde 185t) ein Verein entdeckt, der den Namen "Huita ItAliaim"
führte, und dessen Theilnehmer sich, wie gewisse Südseeinsulaner, damit be¬
wußten, daß sie die Nasen sanft aneinanderrieben. Sie schworen auf einen
dreischneidigen Dolch mit der Inschrift: "Brüderlichkeit -- Tod den Ver¬
räthern -- Tod den Tyrannen", die Gesetze der Gesellschaft treu zu beob¬
achten, widrigenfalls ihre Herzen dieser Dolch durchbohren solle. 1849 setzte
der Großrath der Secte einen Ausschuß der Erdolcher (evenit^de" Ah' puZna,-
latori) nieder. Die Statuten der Verbindung nahmen es mit den Candidaten
für dieselbe genau, sie sagten: "Keine Exjesuiten, keine Diebe, keine Falsch¬
münzer oder andere schandebeladene Personen dürfen Aufnahme finden" --
in der That, die Exjesuiten sind hier in gute Gesellschaft gebracht!


verschied der Minister in den Gemächern des Cardinals Gozzoli, in die man
den Verwundeten getragen hatte.

In diesem selben Augenblicke soll einer der Führer des Jungen Italiens
zu Bologna, auf seine Uhr blickend, gesagt haben: „Eine große That ist
soeben vollbracht worden; wir brauchen Rossi nicht mehr zu fürchten." Eine
18S0 zu Rom herausgekommene Flugschrift aber enthält einen Brief Maz-
zini's. in welchem die Worte vorkommen: „Die Ermordung Rossi's war
nothwendig und geschah mit Recht."

Dennoch bleiben Zweifel übrig, ob der Dolch, der den Minister Pio
Nouv's traf, von der Vehme des Jungen Italiens geschliffen und geführt
worden ist. Die Erzählungen von den Versammlungen in jenem Turiner
Hotel und jenem römischen Theater, die Aeußerung des bologneser Mazzi-
nistenchefs sind gerichtlich nicht festgestellt, der Brief Mazzini's kann gefälscht
oder ganz unecht sein. In Heckethorn's Schrift: „?Ke seerst Looisties ot
all g-Fes" aber finden wir folgenden Satz: „Ich habe Documente gesehen,
die mich veranlassen, mein Urtheil über die Urheber des an Rossi begangenen
Mordes zu vertagen. Nach dem, was ich seitdem erfahren habe, will es
scheinen, als ob die clericale Partei und nicht die Carbonari die That ge¬
plant und ausgeführt hätten. Personen, die beschuldigt waren, bei dem Morde
betheiligt gewesen zu sein, wurden über zwei Jahre im Gefängniß behalten,
ohne daß eine Untersuchung gegen sie eingeleitet worden wäre, und entfernten
sich darauf in der Stille. Rossi hatte kurz vor seinem Tode Steuern im
Betrage von vier Millionen Sendt von geistlichen Gütern erhoben und stand
im Rufe, den Einfluß der Kirche noch mehr beschränken zu wollen."

Neben dem Jungen Italien gingen wie früher neben den Carbonari
mancherlei Geheimbünde mit ähnlicher Tendenz her. So gab es in Padua
eine Gesellschaft, deren Mitglieder sich „FelvaM", Wilde, nannten, indem
sie den Grundsatz Rousseau's, der Mensch müsse sich dem Naturzustande wieder
nähern, dahin übertrieben, er müsse in den Zustand der Wildheit zurückkehren.
In Neapel wurde 185t) ein Verein entdeckt, der den Namen „Huita ItAliaim"
führte, und dessen Theilnehmer sich, wie gewisse Südseeinsulaner, damit be¬
wußten, daß sie die Nasen sanft aneinanderrieben. Sie schworen auf einen
dreischneidigen Dolch mit der Inschrift: „Brüderlichkeit — Tod den Ver¬
räthern — Tod den Tyrannen", die Gesetze der Gesellschaft treu zu beob¬
achten, widrigenfalls ihre Herzen dieser Dolch durchbohren solle. 1849 setzte
der Großrath der Secte einen Ausschuß der Erdolcher (evenit^de» Ah' puZna,-
latori) nieder. Die Statuten der Verbindung nahmen es mit den Candidaten
für dieselbe genau, sie sagten: „Keine Exjesuiten, keine Diebe, keine Falsch¬
münzer oder andere schandebeladene Personen dürfen Aufnahme finden" —
in der That, die Exjesuiten sind hier in gute Gesellschaft gebracht!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/35>, abgerufen am 26.09.2024.