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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Thron von Frankreich geholfen, sondern von ihm auch die Titel eines Grafen
und Pairs und später die Gesandtenstelle in Rom angenommen. Obschon
er früher zu den Geheimbünden Italiens gehört hatte, und von Gregor dem
Sechzehnten als politischer Renegat bezeichnet worden war. nahm er 1848
einen Ministerposten von Pio Nouv an, welcher kurz vor seiner Flucht nach
Gaeta niemand hatte, der ihm ein neues Kabinet zu bilden vermochte. Rossi
fand sich dazu bereit und brachte es fertig, indem er die Portefeuilles der
Finanzen, des Innern und der Polizei für sich behielt und es den übrigen
Ministern Seiner Heiligkeit überließ, sich nach Belieben gegenseitig zu hassen
und einander entgegenzuarbeiten. Sein politisches Programm, welches die
Theilnahme an nationalen Unternehmungen ausschloß und die Mitregierung
des Volkes stark beschränkte, versetzte alle Kreise des Jungen Italien in Wuth,
und es scheint, daß hier seine Ermordung beschlossen wurde. Wenigstens wird
Folgendes über den Vorgang erzählt:

In einer Versammlung des Jungen Italien, die im Hotel Feder zu
Turin stattfand, erging der Richterspruch: "Tod dem falschen Carbonaro!"
Infolge eines vorher besprochenen Planes fiel das Loos, dieses Urtheil aus¬
zuführen auf den Prinzen v. Canino, ein hervorragendes Mitglied des Bundes;
nicht, daß man erwartet hätte, er werde die That eigenhändig begehen, man
nahm nur nach seiner einflußreichen Stellung und seinem Reichthum an, daß
er besonders leicht Dolche zu seiner Verfügung finden würde. Eine mazzinistische
Gesellschaft versammelte sich zweimal wöchentlich in dem römischen Theater
Capranica. In einer Versammlung, der hundertundsechzehn Mitglieder bei¬
wohnten, wurde auf Anrathen Mazzini's beschlossen, vierzig derselben zur Be-
schützung des Mörders aufzulösen. Auf demselben Wege wurden drei bestimmt,
den Minister umzubringen, einer von ihnen sollte den tödtlichen Stoß führen.

Geschichtlich steht nun fest, daß der Is. November 1848, der zur Eröff¬
nung der römischen Kammern bestimmte Tag, auch der Todestag Rossi's war.
Er empfing verschiedentlich Warnungen, spottete ihrer aber. Selbst noch als
er in die Cancellaria ging, trat ein Priester an ihn heran, der ihm zuflüsterte:
"Gehen Sie nicht aus. man wird Sie ermorden." -- "Sie können mich nicht
schrecken," erwiderte der Graf, "denn die Sache des Papstes ist die Sache
Gottes", was manche Leute für eine sehr hochstnnige Antwort hielten, wir
aber als eine schwere Selbsttäuschung, wo nicht als eine Heuchelei im Munde
eines Mannes wie Rossi ansehen dürfen. Als letzterer nun in der Cancel¬
laria ankam, erwarteten ihn die Verschworenen schon dort. Einer von ihnen
stieß ihn, als er die Treppe hinaufstieg, mit dem Heft seines Dolches in die
Seite, und als Rossi sich nach dem Angreifer umsah, stach ein zweiter
Meuchelmörder ihm den Dolch in die Pulsader des Halses. Bald nachher


Thron von Frankreich geholfen, sondern von ihm auch die Titel eines Grafen
und Pairs und später die Gesandtenstelle in Rom angenommen. Obschon
er früher zu den Geheimbünden Italiens gehört hatte, und von Gregor dem
Sechzehnten als politischer Renegat bezeichnet worden war. nahm er 1848
einen Ministerposten von Pio Nouv an, welcher kurz vor seiner Flucht nach
Gaeta niemand hatte, der ihm ein neues Kabinet zu bilden vermochte. Rossi
fand sich dazu bereit und brachte es fertig, indem er die Portefeuilles der
Finanzen, des Innern und der Polizei für sich behielt und es den übrigen
Ministern Seiner Heiligkeit überließ, sich nach Belieben gegenseitig zu hassen
und einander entgegenzuarbeiten. Sein politisches Programm, welches die
Theilnahme an nationalen Unternehmungen ausschloß und die Mitregierung
des Volkes stark beschränkte, versetzte alle Kreise des Jungen Italien in Wuth,
und es scheint, daß hier seine Ermordung beschlossen wurde. Wenigstens wird
Folgendes über den Vorgang erzählt:

In einer Versammlung des Jungen Italien, die im Hotel Feder zu
Turin stattfand, erging der Richterspruch: „Tod dem falschen Carbonaro!"
Infolge eines vorher besprochenen Planes fiel das Loos, dieses Urtheil aus¬
zuführen auf den Prinzen v. Canino, ein hervorragendes Mitglied des Bundes;
nicht, daß man erwartet hätte, er werde die That eigenhändig begehen, man
nahm nur nach seiner einflußreichen Stellung und seinem Reichthum an, daß
er besonders leicht Dolche zu seiner Verfügung finden würde. Eine mazzinistische
Gesellschaft versammelte sich zweimal wöchentlich in dem römischen Theater
Capranica. In einer Versammlung, der hundertundsechzehn Mitglieder bei¬
wohnten, wurde auf Anrathen Mazzini's beschlossen, vierzig derselben zur Be-
schützung des Mörders aufzulösen. Auf demselben Wege wurden drei bestimmt,
den Minister umzubringen, einer von ihnen sollte den tödtlichen Stoß führen.

Geschichtlich steht nun fest, daß der Is. November 1848, der zur Eröff¬
nung der römischen Kammern bestimmte Tag, auch der Todestag Rossi's war.
Er empfing verschiedentlich Warnungen, spottete ihrer aber. Selbst noch als
er in die Cancellaria ging, trat ein Priester an ihn heran, der ihm zuflüsterte:
„Gehen Sie nicht aus. man wird Sie ermorden." — „Sie können mich nicht
schrecken," erwiderte der Graf, „denn die Sache des Papstes ist die Sache
Gottes", was manche Leute für eine sehr hochstnnige Antwort hielten, wir
aber als eine schwere Selbsttäuschung, wo nicht als eine Heuchelei im Munde
eines Mannes wie Rossi ansehen dürfen. Als letzterer nun in der Cancel¬
laria ankam, erwarteten ihn die Verschworenen schon dort. Einer von ihnen
stieß ihn, als er die Treppe hinaufstieg, mit dem Heft seines Dolches in die
Seite, und als Rossi sich nach dem Angreifer umsah, stach ein zweiter
Meuchelmörder ihm den Dolch in die Pulsader des Halses. Bald nachher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/34>, abgerufen am 26.09.2024.