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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sich das Geld dann schon ausbitten, und durch die frohe Botschaft, daß nur
ihnen beiden an der Spekulation theilzunehmen gestattet sein würde.

Das Augenwasser wird natürlich nie fertig, und Washington muß sich
bis auf Weiteres begnügen, eine leidliche Stelle in einem Gütervermittelungs-
Bureau der Stadt, wo Seilers wohnt, gefunden zu haben. Der Oberst ladet
ihn wiederholt ein, bei ihm zu speisen, Washington lehnt das ab, weil er
lieber mit der Tochter seines Prinzipals zu Tische ist, und so unterbleiben
die Einladungen, bis Washington endlich meint, Seilers könne ihm sein
stetes Ablehnen übel genommen haben, und sich entschließt, ihm noch den¬
selben Tag durch Erscheinen bei ihm eine angenehme Ueberraschung zu be¬
reiten. Das Folgende soll uns der Verfasser selbst erzählen:

"Die Familie Seilers ging gerade zum Essen, als Washington zu ihrem
Erstaunen hereinplatzte. Einen Augenblick sah der Oberst ein wenig verblüfft
aus, und Frau Seilers machte wirklich ein unglückliches Gesicht, aber im
nächsten Moment war das Haupt des Hauses ganz wieder der Alte und
rief aus:

Ganz recht, mein Junge, ganz recht -- immer erfreut. Dich zu sehen
-- immer erfreut, Deine Stimme zu hören und Dir die Hand schütteln zu
können. Warte nicht auf besondere Einladungen -- das ist lauter Unsinn
unter Freunden. Komm nur immer, wenn Du kannst, und komm, so oft
Du kannst -- je öfter, desto besser. Du kannst uns keine größere Freude
machen als damit, Washington. Die kleine Frau wird Dir das auch sagen.
Wir machen keine Umstände. Einfache Leute, weißt Du, einfache Leute. Du
siehst hier ein ein bescheidnes Familienessen, aber so wie es ist, sind unsre
Freunde stets dabei willkommen; ich denke. Du weißt das selber, Washing¬
ton. -- Laufe, Kinder, lauft, Lafayette, tritt der Katze nicht auf den
Schwanz; Kind, kannst Du denn nicht sehen, was Du thust? -- Komm,
komm, Roderich Dhu -- es ist nicht hübsch von kleinen Jungen, sich den
Herren an die Rockschöße zu hängen -- aber nimm es ihm nicht übel, Was¬
hington, er ist ein lebhaftes Bürschchen und meint es nicht böse... Nimm
den nächsten Stuhl neben meiner Frau -- halt, halt, Marie Antoinette,
laß Deinen Bruder die Gabel haben, Du bist größer wie er.

Washington betrachtete sich den Schmaus und fragte sich, ob er bei Troste
wäre. War dies das bescheidene Familienessen? Und war schon Alles auf
dem Tische? Es zeigte sich bald, daß es allerdings das Familienessen, und
daß es vollständig aus dem Tische war: es bestand aus einer Fülle klaren,
frischen Wassers und einer Schüssel mit rohen Rüben -- aus weiter nichts.
Washington warf einen verstohlnen Blick auf Frau Seilers und würde im
nächsten Moment die Welt darum gegeben haben, wenn er sie damit ver¬
schont gehabt hätte. Das Gesicht der armen Frau war blutroth, und die


sich das Geld dann schon ausbitten, und durch die frohe Botschaft, daß nur
ihnen beiden an der Spekulation theilzunehmen gestattet sein würde.

Das Augenwasser wird natürlich nie fertig, und Washington muß sich
bis auf Weiteres begnügen, eine leidliche Stelle in einem Gütervermittelungs-
Bureau der Stadt, wo Seilers wohnt, gefunden zu haben. Der Oberst ladet
ihn wiederholt ein, bei ihm zu speisen, Washington lehnt das ab, weil er
lieber mit der Tochter seines Prinzipals zu Tische ist, und so unterbleiben
die Einladungen, bis Washington endlich meint, Seilers könne ihm sein
stetes Ablehnen übel genommen haben, und sich entschließt, ihm noch den¬
selben Tag durch Erscheinen bei ihm eine angenehme Ueberraschung zu be¬
reiten. Das Folgende soll uns der Verfasser selbst erzählen:

„Die Familie Seilers ging gerade zum Essen, als Washington zu ihrem
Erstaunen hereinplatzte. Einen Augenblick sah der Oberst ein wenig verblüfft
aus, und Frau Seilers machte wirklich ein unglückliches Gesicht, aber im
nächsten Moment war das Haupt des Hauses ganz wieder der Alte und
rief aus:

Ganz recht, mein Junge, ganz recht — immer erfreut. Dich zu sehen
— immer erfreut, Deine Stimme zu hören und Dir die Hand schütteln zu
können. Warte nicht auf besondere Einladungen — das ist lauter Unsinn
unter Freunden. Komm nur immer, wenn Du kannst, und komm, so oft
Du kannst — je öfter, desto besser. Du kannst uns keine größere Freude
machen als damit, Washington. Die kleine Frau wird Dir das auch sagen.
Wir machen keine Umstände. Einfache Leute, weißt Du, einfache Leute. Du
siehst hier ein ein bescheidnes Familienessen, aber so wie es ist, sind unsre
Freunde stets dabei willkommen; ich denke. Du weißt das selber, Washing¬
ton. — Laufe, Kinder, lauft, Lafayette, tritt der Katze nicht auf den
Schwanz; Kind, kannst Du denn nicht sehen, was Du thust? — Komm,
komm, Roderich Dhu — es ist nicht hübsch von kleinen Jungen, sich den
Herren an die Rockschöße zu hängen — aber nimm es ihm nicht übel, Was¬
hington, er ist ein lebhaftes Bürschchen und meint es nicht böse... Nimm
den nächsten Stuhl neben meiner Frau — halt, halt, Marie Antoinette,
laß Deinen Bruder die Gabel haben, Du bist größer wie er.

Washington betrachtete sich den Schmaus und fragte sich, ob er bei Troste
wäre. War dies das bescheidene Familienessen? Und war schon Alles auf
dem Tische? Es zeigte sich bald, daß es allerdings das Familienessen, und
daß es vollständig aus dem Tische war: es bestand aus einer Fülle klaren,
frischen Wassers und einer Schüssel mit rohen Rüben — aus weiter nichts.
Washington warf einen verstohlnen Blick auf Frau Seilers und würde im
nächsten Moment die Welt darum gegeben haben, wenn er sie damit ver¬
schont gehabt hätte. Das Gesicht der armen Frau war blutroth, und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/348>, abgerufen am 25.08.2024.