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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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"Unsinn!" unterbricht ihn der Oberst. "El was für ein kleines Kind
Du doch bist, Washington! Was für ein harmloser, kurzsichtiger, leichtbe¬
friedigter Unschuldiger Du doch bist, mein armer klein Ntchtswisfer vom
Lande draußen! Würde ich mir alle diese Mühe und Noth machen wegen
der paar elenden Brosamen, die man hier zu Lande auflesen könnte? Sehe
ich denn wie ein Mann aus, der -- erinnert denn meine Geschichte daran,
daß ich ein Mensch bin, der sich mit Kleinigkeiten abgiebt, der mit dem engen
Gesichtskreis zufrieden ist, welchen die gemeine Heerde einnimmt, die nicht über
ihre Nasenspitze hinaussieht? Nun, ich denke, Du weißt, daß das nicht
meine Art ist, aber Du solltest doch auch wissen, daß, wenn ich meine Zeit
auf eine Volksmedicin verwende, es eine Medicin ist, deren Operationsgebiet
die weite Erde ist, und daß die, welche sie kaufen, die wimmelnden Nationen
sind, die sie bewohnen. El du meine Güte, was ist die amerikanische
Republik für ein Land, wo es sich um ein Augenwasser handelt! Gott behüte
Dich, sie ist nichts als eine unfruchtbare Heerstraße, über die man auf den
wahren Augenwassermarkt gelangt! Ja, Washinton, in den Ländern des
Orients wimmelt es von Menschen wie der Sand am Meere -- jede Qua¬
dratmeile Boden ernährt ihre Tausende und aber Tausende kämpfender, ringen¬
der Menschenwesen, und feder einzelne und besondere arme Teufel von ihnen
leidet an Ophthalmie. Es ist bei ihnen so natürlich, wie daß man eine Nase
hat -- wie die Erbsünde. Es ist mit ihnen geboren, es bleibt an ihnen
haften, es ist alles, was bei Manchen von ihnen übrig bleibt, wenn sie
sterben. Drei Jahre Handel, der unser Mittel im Morgenlande einführt,
und was wird das Resultat sein? Je nun, unser Hauptquartier würde in
Constantinopel sein und unser weitestes Etablissement in Hinterindien.
Fabriken und Waarenhäuser in Kairo. Jspahan, Bagdad, Damaskus, Jeru¬
salem, Jedo, Peking, Bangkok, Delhi, Bombay und Kalkutta! Jährliches
Einkommen von jedem -- nun, nur Gott weiß, wie viele Millionen und aber¬
mals Millionen."

Washington ist geblendet, überwältigt. Lawinen von gemünzten Geld
und Werthpapieren rollen vor ihm hin. Es ist ihm zu Muthe wie einem
Menschen, der sich eine Zeitlang wie ein Kreisel gedreht hat und, jetzt plötz¬
lich stillstehend, seine Umgebung noch immer um sich wirbeln und alle Gegen¬
stände als Chaos durcheinandertanzen sieht. Als er endlich wieder zu sich
kommt, bittet er Tellers, alles Andere fallen zu lassen und eiligst das Augen¬
wasser in Angriff zu nehmen. Er langt seine achtzehn Dollars heraus und
bittet den Obersten flehentlich, sich ihrer zu diesem Zwecke zu bedienen. Aber
der Oberst lehnt sie ab, indem er in seiner prunkvollen Redeweise sagt, er
werde "das Kapital" erst brauchen, wenn das Augenwasser vollendete That¬
sache wäre. Indeß tröstet er Washington durch das Versprechen, er werde


„Unsinn!" unterbricht ihn der Oberst. „El was für ein kleines Kind
Du doch bist, Washington! Was für ein harmloser, kurzsichtiger, leichtbe¬
friedigter Unschuldiger Du doch bist, mein armer klein Ntchtswisfer vom
Lande draußen! Würde ich mir alle diese Mühe und Noth machen wegen
der paar elenden Brosamen, die man hier zu Lande auflesen könnte? Sehe
ich denn wie ein Mann aus, der — erinnert denn meine Geschichte daran,
daß ich ein Mensch bin, der sich mit Kleinigkeiten abgiebt, der mit dem engen
Gesichtskreis zufrieden ist, welchen die gemeine Heerde einnimmt, die nicht über
ihre Nasenspitze hinaussieht? Nun, ich denke, Du weißt, daß das nicht
meine Art ist, aber Du solltest doch auch wissen, daß, wenn ich meine Zeit
auf eine Volksmedicin verwende, es eine Medicin ist, deren Operationsgebiet
die weite Erde ist, und daß die, welche sie kaufen, die wimmelnden Nationen
sind, die sie bewohnen. El du meine Güte, was ist die amerikanische
Republik für ein Land, wo es sich um ein Augenwasser handelt! Gott behüte
Dich, sie ist nichts als eine unfruchtbare Heerstraße, über die man auf den
wahren Augenwassermarkt gelangt! Ja, Washinton, in den Ländern des
Orients wimmelt es von Menschen wie der Sand am Meere — jede Qua¬
dratmeile Boden ernährt ihre Tausende und aber Tausende kämpfender, ringen¬
der Menschenwesen, und feder einzelne und besondere arme Teufel von ihnen
leidet an Ophthalmie. Es ist bei ihnen so natürlich, wie daß man eine Nase
hat — wie die Erbsünde. Es ist mit ihnen geboren, es bleibt an ihnen
haften, es ist alles, was bei Manchen von ihnen übrig bleibt, wenn sie
sterben. Drei Jahre Handel, der unser Mittel im Morgenlande einführt,
und was wird das Resultat sein? Je nun, unser Hauptquartier würde in
Constantinopel sein und unser weitestes Etablissement in Hinterindien.
Fabriken und Waarenhäuser in Kairo. Jspahan, Bagdad, Damaskus, Jeru¬
salem, Jedo, Peking, Bangkok, Delhi, Bombay und Kalkutta! Jährliches
Einkommen von jedem — nun, nur Gott weiß, wie viele Millionen und aber¬
mals Millionen."

Washington ist geblendet, überwältigt. Lawinen von gemünzten Geld
und Werthpapieren rollen vor ihm hin. Es ist ihm zu Muthe wie einem
Menschen, der sich eine Zeitlang wie ein Kreisel gedreht hat und, jetzt plötz¬
lich stillstehend, seine Umgebung noch immer um sich wirbeln und alle Gegen¬
stände als Chaos durcheinandertanzen sieht. Als er endlich wieder zu sich
kommt, bittet er Tellers, alles Andere fallen zu lassen und eiligst das Augen¬
wasser in Angriff zu nehmen. Er langt seine achtzehn Dollars heraus und
bittet den Obersten flehentlich, sich ihrer zu diesem Zwecke zu bedienen. Aber
der Oberst lehnt sie ab, indem er in seiner prunkvollen Redeweise sagt, er
werde „das Kapital" erst brauchen, wenn das Augenwasser vollendete That¬
sache wäre. Indeß tröstet er Washington durch das Versprechen, er werde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/347>, abgerufen am 25.08.2024.