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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ihm beikommen konnte, und doch vermochte er sich nicht zu überzeugen, daß
er auch nur die geringste Wärme fühle, trotzdem das Häutchen von Hausen-
blase immer noch sanft und heiter glühte. Er versuchte ein wenig näher an
den Ofen zu kommen, und die Folge war, daß er den Feuerhaken, welcher die
Thür desselben stützte, umstieß und letztere auf den Fußboden herabfiel. Und
jetzt gab es eine Enthüllung -- es war nichts im Ofen als ein angezündetes
Talglicht." Der arme Jüngling erröthet, aber der Oberst weiß sich sofort
zu helfen. "Eine kleine Idee von mir selber, Washington, sagte er. Eins
der größten Dinge in der Welt. Du mußt schreiben und Deinem Vater davon
erzählen, vergiß mir das nicht. Ich habe da etliche wissenschaftliche Berichte
aus Europa gelesen -- Freund von mir, Graf Fugier, schickte sie mir --
schickt mir allerhand Sachen von Paris -- hält ungeheure Stücke von mir,
dieser Fugier. Nun denn, ich sah, daß die französische Academie die Eigen¬
schaften der Wärme geprüft hatte, und sie kamen zu dem Schlüsse, daß sie
ein Nichtleiter oder so 'was der Art ist, und daß ihr Einfluß für nervöse
Organismen mit erregbaren Temperamenten nothwendig tödtlich sein muß,
vorzüglich wo irgendwelche Neigung zu rheumatischen Affectionen vorhanden
ist. Da sah ich Dir nun im Augenblicke, was uns fehlte, und sofort sag'
ich: Aus mit dem Feuer! -- ich will keine langsame Marter und gewissen
Tod mehr haben, Leute. Was Ihr braucht, ist der Schein vom Feuer, nicht
die Hitze selber. Na aber, wie das machen, war das Nächste, woran zu
denken war. Ich ließ mir die Geschichte durch den Kopf gehen, grübelte ein
paar Tage drauflos, und hier haben wir das Ergebniß. Rheumatismus?
Et der Tausend, kein Mensch kann sich in diesem Hause einen Rheumatismus
zuziehen; er kann's ebenso wenig, wie er aus einer Mumie eine Meinungs¬
äußerung herausschütteln kann. Ofen mit einer Kerze darin und eine durch¬
scheinende Thür -- das ist's -- es ist die Rettung dieser Familie gewesen."

Das Abendessen in Tellers' Hause ist anfangs nicht gerade üppig, aber
es bessert sich damit bei näherer Bekanntschaft. Das heißt, "was Washing-
ton auf den ersten Blick für bescheidene Kartoffeln ansah, wurde bald zu
ehrfurchtsvolles Staunen einflößenden Agriculturproducten, die in einem
herzoglichen Garten jenseits des Meeres unter den geheiligten Augen des
Herzogs selbst erbaut worden waren, der sie Tellers gesandt hatte. Das
Brod war von Mais , der nur an einer einzigen begünstigten Stelle der
Erde wuchs, und den nur einige Bevorzugte bekommen konnten. Der Rio-
Kaffee, der dem Geschmackssinn zuerst abscheulich zu sein schien, nahm einen
bessern Duft an, als man Washington bemerkte, er müsse ihn langsamer
trinken und sich nicht mit etwas beeilen, was man auf der Zunge ver¬
weilen lassen müsse, wenn man den darin liegenden Luxus völlig würdigen
wolle -- er wäre aus den Privatvorräthen eines brasilischen Edelmannes mit


ihm beikommen konnte, und doch vermochte er sich nicht zu überzeugen, daß
er auch nur die geringste Wärme fühle, trotzdem das Häutchen von Hausen-
blase immer noch sanft und heiter glühte. Er versuchte ein wenig näher an
den Ofen zu kommen, und die Folge war, daß er den Feuerhaken, welcher die
Thür desselben stützte, umstieß und letztere auf den Fußboden herabfiel. Und
jetzt gab es eine Enthüllung — es war nichts im Ofen als ein angezündetes
Talglicht." Der arme Jüngling erröthet, aber der Oberst weiß sich sofort
zu helfen. „Eine kleine Idee von mir selber, Washington, sagte er. Eins
der größten Dinge in der Welt. Du mußt schreiben und Deinem Vater davon
erzählen, vergiß mir das nicht. Ich habe da etliche wissenschaftliche Berichte
aus Europa gelesen — Freund von mir, Graf Fugier, schickte sie mir —
schickt mir allerhand Sachen von Paris — hält ungeheure Stücke von mir,
dieser Fugier. Nun denn, ich sah, daß die französische Academie die Eigen¬
schaften der Wärme geprüft hatte, und sie kamen zu dem Schlüsse, daß sie
ein Nichtleiter oder so 'was der Art ist, und daß ihr Einfluß für nervöse
Organismen mit erregbaren Temperamenten nothwendig tödtlich sein muß,
vorzüglich wo irgendwelche Neigung zu rheumatischen Affectionen vorhanden
ist. Da sah ich Dir nun im Augenblicke, was uns fehlte, und sofort sag'
ich: Aus mit dem Feuer! — ich will keine langsame Marter und gewissen
Tod mehr haben, Leute. Was Ihr braucht, ist der Schein vom Feuer, nicht
die Hitze selber. Na aber, wie das machen, war das Nächste, woran zu
denken war. Ich ließ mir die Geschichte durch den Kopf gehen, grübelte ein
paar Tage drauflos, und hier haben wir das Ergebniß. Rheumatismus?
Et der Tausend, kein Mensch kann sich in diesem Hause einen Rheumatismus
zuziehen; er kann's ebenso wenig, wie er aus einer Mumie eine Meinungs¬
äußerung herausschütteln kann. Ofen mit einer Kerze darin und eine durch¬
scheinende Thür — das ist's — es ist die Rettung dieser Familie gewesen."

Das Abendessen in Tellers' Hause ist anfangs nicht gerade üppig, aber
es bessert sich damit bei näherer Bekanntschaft. Das heißt, „was Washing-
ton auf den ersten Blick für bescheidene Kartoffeln ansah, wurde bald zu
ehrfurchtsvolles Staunen einflößenden Agriculturproducten, die in einem
herzoglichen Garten jenseits des Meeres unter den geheiligten Augen des
Herzogs selbst erbaut worden waren, der sie Tellers gesandt hatte. Das
Brod war von Mais , der nur an einer einzigen begünstigten Stelle der
Erde wuchs, und den nur einige Bevorzugte bekommen konnten. Der Rio-
Kaffee, der dem Geschmackssinn zuerst abscheulich zu sein schien, nahm einen
bessern Duft an, als man Washington bemerkte, er müsse ihn langsamer
trinken und sich nicht mit etwas beeilen, was man auf der Zunge ver¬
weilen lassen müsse, wenn man den darin liegenden Luxus völlig würdigen
wolle — er wäre aus den Privatvorräthen eines brasilischen Edelmannes mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/343>, abgerufen am 25.08.2024.