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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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man sich bald nachher wirklich an verschiedenen Stellen zugleich erhob, war
der Erfolg nur ein halber und von kurzer Dauer. Es erfolgten Revolutionen
in Rom, Neapel, Palermo, Florenz, Mailand, Venedig, Parma und Modena.
die indeß nur deßhalb eine Weile das rasch Erreichte behaupteten, weil der
Staat Piemont neben ihnen für die Befreiung Italiens von den Fremden
in die Schranken trat, und die nach Oesterreichs Sieg über diesen theils von
den alten italienischen Regierungen selbst, theils durch die Oesterreicher oder
die Franzosen niedergeschlagen wurden. Und ganz ebenso wären die Dinge später
verlaufen, wenn 1859 die Piemontesen, unterstützt von den Franzosen, nicht
das Werk der Befreiung der Halbinsel wenigstens von einer fremden Macht
in die Hand genommen hätten. Selbst Garibaldt's kühner Zug nach Sieilien
und später nach Neapel, ein Werk der geheimen Gesellschaften Mazzini's,
würde schließlich, da Freischaaren treuen und gutgeführten regulären Truppen
nicht Stand zu halten vermögen, gescheitert sein, wenn Cavour nicht, nachdem
er zuerst das Geld zur Bestechung der neapolitanischen Generale hergegeben, den
Banden, die Neapel erobert hatten, mit der Militärmacht Nordwestitaliens
aus der Klemme geholfen hätte. Vielen Italienern ist das freilich so wenig
klar, wie die Thatsache, daß der Papst seine weltliche Herrschaft nicht so wohl
durch das Königreich Italien als durch die Siege der Deutschen bei Metz und
Sedan verloren hat, und so ist es nicht zu verwundern, wenn der Name
Garibaldi's in Italien einen Klang wie in Frankreich der des ersten Napoleon
besitzt, und wenn Mazzini jetzt im Palazzo del Municipio zu Genua seine
Marmorstatue hat.

Die geheimen Clubs des Jungen Italien konnten eine negative Thätig¬
keit entfalten, sie konnten wühlen und kleine und große Putsche hervorrufen,
sie konnten -- morden. Ein solcher Mord war sehr wahrscheinlich der des
Grafen Rosse, des Ministers, der Pius dem Neunten zur Seite stand, als er
noch reformatorische Umwandelungen hatte. Rossi war in Carrara geboren
und begann seine öffentliche Laufbahn als Mitglied der provisorischen Ne¬
uerung in Bologna, als Murat die Eroberung Italiens versuchte. Nach der
Niederlage des letzteren floh der Graf nach der Schweiz, deren oberste Behörde
mit der Revision des Vertrags von 1813 betraute. In den Ver¬
änderungen, die er in Betreff desselben vorschlug, herrschte der Geist des ent¬
schiedenste" Radicalismus, der offenbar auf den Sturz des föderalen Regi¬
ments abzielte. Bei solchen Antecedentien war es nur natürlich, wenn Rossi
ein Mitglied des Jungen Italien wurde, obwohl Mazzini kein Vertrauen zu
ihm hatte, da er wußte, daß derselbe zwar Carbonaro gewesen war, aber
keine festen politischen Ueberzeugungen hegte, wenigstens keine solchen, wie sie
Mazzini und die Mazzinisten vertraten. Er war einst ein eifriger Demagog
gewesen, aber im Jahre 1830 hatte er nicht nur Ludwig Philipp auf den


Grenzboten I. 187". 4

man sich bald nachher wirklich an verschiedenen Stellen zugleich erhob, war
der Erfolg nur ein halber und von kurzer Dauer. Es erfolgten Revolutionen
in Rom, Neapel, Palermo, Florenz, Mailand, Venedig, Parma und Modena.
die indeß nur deßhalb eine Weile das rasch Erreichte behaupteten, weil der
Staat Piemont neben ihnen für die Befreiung Italiens von den Fremden
in die Schranken trat, und die nach Oesterreichs Sieg über diesen theils von
den alten italienischen Regierungen selbst, theils durch die Oesterreicher oder
die Franzosen niedergeschlagen wurden. Und ganz ebenso wären die Dinge später
verlaufen, wenn 1859 die Piemontesen, unterstützt von den Franzosen, nicht
das Werk der Befreiung der Halbinsel wenigstens von einer fremden Macht
in die Hand genommen hätten. Selbst Garibaldt's kühner Zug nach Sieilien
und später nach Neapel, ein Werk der geheimen Gesellschaften Mazzini's,
würde schließlich, da Freischaaren treuen und gutgeführten regulären Truppen
nicht Stand zu halten vermögen, gescheitert sein, wenn Cavour nicht, nachdem
er zuerst das Geld zur Bestechung der neapolitanischen Generale hergegeben, den
Banden, die Neapel erobert hatten, mit der Militärmacht Nordwestitaliens
aus der Klemme geholfen hätte. Vielen Italienern ist das freilich so wenig
klar, wie die Thatsache, daß der Papst seine weltliche Herrschaft nicht so wohl
durch das Königreich Italien als durch die Siege der Deutschen bei Metz und
Sedan verloren hat, und so ist es nicht zu verwundern, wenn der Name
Garibaldi's in Italien einen Klang wie in Frankreich der des ersten Napoleon
besitzt, und wenn Mazzini jetzt im Palazzo del Municipio zu Genua seine
Marmorstatue hat.

Die geheimen Clubs des Jungen Italien konnten eine negative Thätig¬
keit entfalten, sie konnten wühlen und kleine und große Putsche hervorrufen,
sie konnten — morden. Ein solcher Mord war sehr wahrscheinlich der des
Grafen Rosse, des Ministers, der Pius dem Neunten zur Seite stand, als er
noch reformatorische Umwandelungen hatte. Rossi war in Carrara geboren
und begann seine öffentliche Laufbahn als Mitglied der provisorischen Ne¬
uerung in Bologna, als Murat die Eroberung Italiens versuchte. Nach der
Niederlage des letzteren floh der Graf nach der Schweiz, deren oberste Behörde
mit der Revision des Vertrags von 1813 betraute. In den Ver¬
änderungen, die er in Betreff desselben vorschlug, herrschte der Geist des ent¬
schiedenste» Radicalismus, der offenbar auf den Sturz des föderalen Regi¬
ments abzielte. Bei solchen Antecedentien war es nur natürlich, wenn Rossi
ein Mitglied des Jungen Italien wurde, obwohl Mazzini kein Vertrauen zu
ihm hatte, da er wußte, daß derselbe zwar Carbonaro gewesen war, aber
keine festen politischen Ueberzeugungen hegte, wenigstens keine solchen, wie sie
Mazzini und die Mazzinisten vertraten. Er war einst ein eifriger Demagog
gewesen, aber im Jahre 1830 hatte er nicht nur Ludwig Philipp auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/33>, abgerufen am 26.09.2024.