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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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her aus dem natürlichen Gelüst der entlarvten Unredlichkeit, Alles, was rein
geblieben, neidisch mit sich in denselben Pfuhl zu ziehen. Daß die neidische
und rachsüchtige Verleumdung sich dem Parteihaß als Werkzeug anbietet, ist
nicht minder eine erklärliche Erscheinung, Tadelnswerth aber ist es, wenn sich
die Parteien dieses Bundesgenossen bedienen. Davor warnte der Redner mit
eindringlichen Worten.

Nach Windthorst's Rede, der unmittelbar auf Laster folgte, nahm der
Abgeordnete Miquel nochmals Anlaß, auf die gegen ihn gerichteten Ver¬
leumdungen zu kommen und sein ganzes Privatleben nach der hier in Betracht
kommenden Seite zu berichten. Niemand wird bezweifeln, daß der hochbe¬
gabte, die reiche Staatsthätigkeit der Gegenwart vielseitig durchdringende und
Productiv an ihr theilnehmende Abgeordnete von jedem Vorwurf frei dasteht.
-~ Es folgte in derselben Sitzung die erste und zweite Berathung des Ge¬
setzes, das Jahr für den Reichshaushalt von 1877 ab mit dem 1. April be¬
ginnen zu lassen, anstatt, wie bisher, mit dem 1. Januar. Man will dadurch
erreichen, daß der Reichstag erst im Januar zusammen zu treten braucht, um
das nächste Budget vor dem Beginn des Budgetjahres zu beschließen. Daß
der Zusammentritt des Reichstags im Oktober unzweckmäßig ist, hätte man
voraussehen können und den erst kürzlich in dieser Richtung gefaßten Beschluß
vermeiden sollen. Die Frage ist nur, wann der preußische Landtag tagen
soll. Als der Reichstag, wie es früher war. ehe der Versuch mit der Herbst¬
session gemacht wurde, im Frühjahr einberufen wurde, trat er dem gewöhn¬
lich noch nicht fertigen Landtag auf die Fersen und verlängerte seine Arbeits¬
zeit tiefer in den Sommer, als den Reichsboten angenehm war. Nun will
vian das nämliche Schicksal dem Landtag bereiten und zwar unter erschwerenden
Umständen. Denn es ist die Rede davon, die Landtagssession im November
beginnen zu lassen, dieselbe zu Weihnachten zu vertagen und nach Beendig¬
ung der Reichstagssesston wieder aufzunehmen. Damit sind natürlich die
^andboten sehr wenig zufrieden, aber Einer muß doch die Unannehmlichkeit
davon tragen, den Haupttheil der Unannehmlichkeit, daß wir so viele Parla¬
mente haben. Es gäbe ein radicales Mittel, die Sache zu bessern, das wir
"der nicht aussprechen, um nicht ein unnützes Geschrei hervorzurufen. Nach
einigen Jahren wird es in Jedermanns Munde und Jedermanns Wunsch
sein. Vorläufig aber wird der Landtag sich wohl in die ihm auferlegte Un¬
annehmlichkeit ergeben müssen. Er kann sie in einer oder der andern Session
vermeiden, wenn er seine Arbeiten beeilt, was weder unthunlich noch schädlich
ist. -- Das Gesetz über die Verlegung des Reichshaushaltjahres wurde ange¬
nommen, bis auf die Bestimmung, das für 1876 vereinbarte Haushaltsgesetz
dis zum 1. April 1877 zu erstrecken. Der jetzige Reichstag will sich nicht
Nehmen lassen, das Budgetvierteljahr vom 1. Jan. bis zum 1. April 1877


her aus dem natürlichen Gelüst der entlarvten Unredlichkeit, Alles, was rein
geblieben, neidisch mit sich in denselben Pfuhl zu ziehen. Daß die neidische
und rachsüchtige Verleumdung sich dem Parteihaß als Werkzeug anbietet, ist
nicht minder eine erklärliche Erscheinung, Tadelnswerth aber ist es, wenn sich
die Parteien dieses Bundesgenossen bedienen. Davor warnte der Redner mit
eindringlichen Worten.

Nach Windthorst's Rede, der unmittelbar auf Laster folgte, nahm der
Abgeordnete Miquel nochmals Anlaß, auf die gegen ihn gerichteten Ver¬
leumdungen zu kommen und sein ganzes Privatleben nach der hier in Betracht
kommenden Seite zu berichten. Niemand wird bezweifeln, daß der hochbe¬
gabte, die reiche Staatsthätigkeit der Gegenwart vielseitig durchdringende und
Productiv an ihr theilnehmende Abgeordnete von jedem Vorwurf frei dasteht.
-~ Es folgte in derselben Sitzung die erste und zweite Berathung des Ge¬
setzes, das Jahr für den Reichshaushalt von 1877 ab mit dem 1. April be¬
ginnen zu lassen, anstatt, wie bisher, mit dem 1. Januar. Man will dadurch
erreichen, daß der Reichstag erst im Januar zusammen zu treten braucht, um
das nächste Budget vor dem Beginn des Budgetjahres zu beschließen. Daß
der Zusammentritt des Reichstags im Oktober unzweckmäßig ist, hätte man
voraussehen können und den erst kürzlich in dieser Richtung gefaßten Beschluß
vermeiden sollen. Die Frage ist nur, wann der preußische Landtag tagen
soll. Als der Reichstag, wie es früher war. ehe der Versuch mit der Herbst¬
session gemacht wurde, im Frühjahr einberufen wurde, trat er dem gewöhn¬
lich noch nicht fertigen Landtag auf die Fersen und verlängerte seine Arbeits¬
zeit tiefer in den Sommer, als den Reichsboten angenehm war. Nun will
vian das nämliche Schicksal dem Landtag bereiten und zwar unter erschwerenden
Umständen. Denn es ist die Rede davon, die Landtagssession im November
beginnen zu lassen, dieselbe zu Weihnachten zu vertagen und nach Beendig¬
ung der Reichstagssesston wieder aufzunehmen. Damit sind natürlich die
^andboten sehr wenig zufrieden, aber Einer muß doch die Unannehmlichkeit
davon tragen, den Haupttheil der Unannehmlichkeit, daß wir so viele Parla¬
mente haben. Es gäbe ein radicales Mittel, die Sache zu bessern, das wir
«der nicht aussprechen, um nicht ein unnützes Geschrei hervorzurufen. Nach
einigen Jahren wird es in Jedermanns Munde und Jedermanns Wunsch
sein. Vorläufig aber wird der Landtag sich wohl in die ihm auferlegte Un¬
annehmlichkeit ergeben müssen. Er kann sie in einer oder der andern Session
vermeiden, wenn er seine Arbeiten beeilt, was weder unthunlich noch schädlich
ist. — Das Gesetz über die Verlegung des Reichshaushaltjahres wurde ange¬
nommen, bis auf die Bestimmung, das für 1876 vereinbarte Haushaltsgesetz
dis zum 1. April 1877 zu erstrecken. Der jetzige Reichstag will sich nicht
Nehmen lassen, das Budgetvierteljahr vom 1. Jan. bis zum 1. April 1877


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/323>, abgerufen am 19.10.2024.