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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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durch ein besonderes Gesetz im Herbst zu regeln. Er will sich dadurch auf
alle Fälle die Herbstsession sichern in der höchst unbegründeten Besorgniß,
daß die Reichsregierung auf den Einfall kommen könne, ihn vor dem Herbst
aufzulösen. Wenn sie das wollte, könnte sie auch durch das Budgetviertel¬
jahr vom Januar bis zum April 1877 nicht gehindert werden. Sie brauchte
nur den neuen Reichstag im December einzuberufen, was im Mindesten nicht
umständlicher wäre, als wenn sie den jetzigen Reichstag im Oktober einberuft.
Sogar weniger umständlich, denn durch die nochmalige Einberufung des
jetzigen Reichstags fallen die neuen Reichstagswahlen wiederum in den, wegen
des Weihnachtsgeschäfts so ungeeigneten Zeitraum der zweiten Hälfte des
December. -- Endlich erschien in derselben Sitzung die nachgerade aller Welt
zum Ueberdruß gewordene Frage wieder auf der Tagesordnung, wo das
Reichstagshaus errichtet werden soll. Die Reichsregierung verlangte nunmehr
die Ermächtigung zur Erwerbung des Grundstücks von Kroll. Der Reichs¬
tag hatte am 19. Mai 1873 den Platz hinter dem Garten des Kriegs¬
ministeriums empfohlen. Der Reichstag hatte gleichzeitig mit diesem Beschluß
eine Kommisston mir. der Verfolgung dieser Angelegenheit beauftragt, deren
zugezogene Kunstverständige den Platz für ungeeignet erklärten. Dies war
dem Reichstag angezeigt worden, der ohne Einspruch davon Act nahm. In
Folge dessen hat die preußische Regierung über den betreffenden Platz verfügt.
Jetzt aber erregte der Vorschlag, daß der Reichstag schließlich doch nach Kroll
wandern solle, großes Mißvergnügen, dessen Grund für gewöhnliche Sterbliche,
um nicht zu sagen, für unparlamentarische Sterbliche, verborgen bleibt. Denn
daß der Weg nach Kroll zu weit sei. darüber kann doch nur lächeln, wer da
weiß, daß die Entfernungen einer Großstadt aus natürlichen Gründen nicht
die eines Dorfes sind. Auch Bamberger's meteorologische Vorlesung konnte
uns nicht überzeugen, mit der er beweisen wollte, daß der Reichstag nur
südlich vom Thiergarten vor all zu vieler Zugluft geschützt sei. Wer Berlin
nicht kennt, sollte denken der Thiergarten liege auf einem Höhenzug. Mehr
noch bedauern wir, daß der verdiente Abgeordnete bereits so sehr an der
Zukunft Berlins verzweifelt, daß er meint, der Reichstag werde auf dein
Kroll'schen Platz in ewiger Einsamkett thronen, nicht einmal ein Hotel garne
für die Abgeordneten würde dort in Zukunft mehr entstehen. Da lobe ich
mir den berliner Architectenverein, der einen Preis ausgeschrieben hat für den
besten Entwurf einer Garnitur des Kroll'schen Platzes oder vielmehr des
Königsplatzes, wie er längst heißt, mit Prachtgebäuden. Liebenswürdige
Sanguiniker sind in gedrückten Zeiten die trübsten Pessimisten und doch
hatte Herr Bamberger kurz vorher den schönen Spruch citirt, daß nur die
Optimisten Großes schaffen. Wie dem sei. der Reichstag blieb unzugänglich



D. Red. ") Es ist noch niemals im December zum Reichstag gewählt worden.

durch ein besonderes Gesetz im Herbst zu regeln. Er will sich dadurch auf
alle Fälle die Herbstsession sichern in der höchst unbegründeten Besorgniß,
daß die Reichsregierung auf den Einfall kommen könne, ihn vor dem Herbst
aufzulösen. Wenn sie das wollte, könnte sie auch durch das Budgetviertel¬
jahr vom Januar bis zum April 1877 nicht gehindert werden. Sie brauchte
nur den neuen Reichstag im December einzuberufen, was im Mindesten nicht
umständlicher wäre, als wenn sie den jetzigen Reichstag im Oktober einberuft.
Sogar weniger umständlich, denn durch die nochmalige Einberufung des
jetzigen Reichstags fallen die neuen Reichstagswahlen wiederum in den, wegen
des Weihnachtsgeschäfts so ungeeigneten Zeitraum der zweiten Hälfte des
December. — Endlich erschien in derselben Sitzung die nachgerade aller Welt
zum Ueberdruß gewordene Frage wieder auf der Tagesordnung, wo das
Reichstagshaus errichtet werden soll. Die Reichsregierung verlangte nunmehr
die Ermächtigung zur Erwerbung des Grundstücks von Kroll. Der Reichs¬
tag hatte am 19. Mai 1873 den Platz hinter dem Garten des Kriegs¬
ministeriums empfohlen. Der Reichstag hatte gleichzeitig mit diesem Beschluß
eine Kommisston mir. der Verfolgung dieser Angelegenheit beauftragt, deren
zugezogene Kunstverständige den Platz für ungeeignet erklärten. Dies war
dem Reichstag angezeigt worden, der ohne Einspruch davon Act nahm. In
Folge dessen hat die preußische Regierung über den betreffenden Platz verfügt.
Jetzt aber erregte der Vorschlag, daß der Reichstag schließlich doch nach Kroll
wandern solle, großes Mißvergnügen, dessen Grund für gewöhnliche Sterbliche,
um nicht zu sagen, für unparlamentarische Sterbliche, verborgen bleibt. Denn
daß der Weg nach Kroll zu weit sei. darüber kann doch nur lächeln, wer da
weiß, daß die Entfernungen einer Großstadt aus natürlichen Gründen nicht
die eines Dorfes sind. Auch Bamberger's meteorologische Vorlesung konnte
uns nicht überzeugen, mit der er beweisen wollte, daß der Reichstag nur
südlich vom Thiergarten vor all zu vieler Zugluft geschützt sei. Wer Berlin
nicht kennt, sollte denken der Thiergarten liege auf einem Höhenzug. Mehr
noch bedauern wir, daß der verdiente Abgeordnete bereits so sehr an der
Zukunft Berlins verzweifelt, daß er meint, der Reichstag werde auf dein
Kroll'schen Platz in ewiger Einsamkett thronen, nicht einmal ein Hotel garne
für die Abgeordneten würde dort in Zukunft mehr entstehen. Da lobe ich
mir den berliner Architectenverein, der einen Preis ausgeschrieben hat für den
besten Entwurf einer Garnitur des Kroll'schen Platzes oder vielmehr des
Königsplatzes, wie er längst heißt, mit Prachtgebäuden. Liebenswürdige
Sanguiniker sind in gedrückten Zeiten die trübsten Pessimisten und doch
hatte Herr Bamberger kurz vorher den schönen Spruch citirt, daß nur die
Optimisten Großes schaffen. Wie dem sei. der Reichstag blieb unzugänglich



D. Red. ") Es ist noch niemals im December zum Reichstag gewählt worden.
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[0324] durch ein besonderes Gesetz im Herbst zu regeln. Er will sich dadurch auf alle Fälle die Herbstsession sichern in der höchst unbegründeten Besorgniß, daß die Reichsregierung auf den Einfall kommen könne, ihn vor dem Herbst aufzulösen. Wenn sie das wollte, könnte sie auch durch das Budgetviertel¬ jahr vom Januar bis zum April 1877 nicht gehindert werden. Sie brauchte nur den neuen Reichstag im December einzuberufen, was im Mindesten nicht umständlicher wäre, als wenn sie den jetzigen Reichstag im Oktober einberuft. Sogar weniger umständlich, denn durch die nochmalige Einberufung des jetzigen Reichstags fallen die neuen Reichstagswahlen wiederum in den, wegen des Weihnachtsgeschäfts so ungeeigneten Zeitraum der zweiten Hälfte des December. — Endlich erschien in derselben Sitzung die nachgerade aller Welt zum Ueberdruß gewordene Frage wieder auf der Tagesordnung, wo das Reichstagshaus errichtet werden soll. Die Reichsregierung verlangte nunmehr die Ermächtigung zur Erwerbung des Grundstücks von Kroll. Der Reichs¬ tag hatte am 19. Mai 1873 den Platz hinter dem Garten des Kriegs¬ ministeriums empfohlen. Der Reichstag hatte gleichzeitig mit diesem Beschluß eine Kommisston mir. der Verfolgung dieser Angelegenheit beauftragt, deren zugezogene Kunstverständige den Platz für ungeeignet erklärten. Dies war dem Reichstag angezeigt worden, der ohne Einspruch davon Act nahm. In Folge dessen hat die preußische Regierung über den betreffenden Platz verfügt. Jetzt aber erregte der Vorschlag, daß der Reichstag schließlich doch nach Kroll wandern solle, großes Mißvergnügen, dessen Grund für gewöhnliche Sterbliche, um nicht zu sagen, für unparlamentarische Sterbliche, verborgen bleibt. Denn daß der Weg nach Kroll zu weit sei. darüber kann doch nur lächeln, wer da weiß, daß die Entfernungen einer Großstadt aus natürlichen Gründen nicht die eines Dorfes sind. Auch Bamberger's meteorologische Vorlesung konnte uns nicht überzeugen, mit der er beweisen wollte, daß der Reichstag nur südlich vom Thiergarten vor all zu vieler Zugluft geschützt sei. Wer Berlin nicht kennt, sollte denken der Thiergarten liege auf einem Höhenzug. Mehr noch bedauern wir, daß der verdiente Abgeordnete bereits so sehr an der Zukunft Berlins verzweifelt, daß er meint, der Reichstag werde auf dein Kroll'schen Platz in ewiger Einsamkett thronen, nicht einmal ein Hotel garne für die Abgeordneten würde dort in Zukunft mehr entstehen. Da lobe ich mir den berliner Architectenverein, der einen Preis ausgeschrieben hat für den besten Entwurf einer Garnitur des Kroll'schen Platzes oder vielmehr des Königsplatzes, wie er längst heißt, mit Prachtgebäuden. Liebenswürdige Sanguiniker sind in gedrückten Zeiten die trübsten Pessimisten und doch hatte Herr Bamberger kurz vorher den schönen Spruch citirt, daß nur die Optimisten Großes schaffen. Wie dem sei. der Reichstag blieb unzugänglich D. Red. ") Es ist noch niemals im December zum Reichstag gewählt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/324>, abgerufen am 27.09.2024.