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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sollen sie von dem Krebs mit seinen Scheeren das Zuschneiden gelernt haben.
Dann heißt es im Volksliede: "Der Schneider und die Laus, fordern ein¬
ander heraus." Ferner werden sie mit einer angeblichen Verwandtschaft mit
dem Ziegenbocke gefoppt, die bisweilen zur Feindschaft wird. Ein Spruch.
Wort des westphälischen Süderlandes lautet: "Dat Gebläute thut (das Ge.
blüt thut, die Verwandtschaft verlangt es) seggt de Snider, do sprang he in
Dick un trok den Zienbock wier herut." In des Knaben Wunderhorn er¬
zählt ein Volkslied, wie siebzig Schneider in einem papiernen Wagen, vor den
eine Geiß gespannt ist, ins Niederland fahren wollten; ein Bock jagt sie aus¬
einander und achtundsechzig ertrinken. Ein anderes singt: "Und was ein
rechter Schneider ist, muß wiegen sieben Pfund." Im sechzehnten Jahrhun¬
dert war der Scherz im Umlauf, daß neun Schneider an einem El genug
hätten. Bekannt ist der Schwank von Eulenspiegel und den Schneidergesellen,
vielleicht auch das Märchen von der kronstädter Riesenbaßgetge, in die ein
Schneider hinabfällt, und die Mähr von dem Ursprünge des Namens blauer
Montag, der sich von einer Sonntagsprügelei zwischen den Schneidern und
den Schustern herschreiben soll, nach welcher jene am andern Morgen blaue
Augen gehabt hätten. Endlich sagte man ihnen nach, daß bei jedem Stück
Tuch, welches ihnen zur Verarbeitung übergeben würde, ein tüchtiger Fleck
für sie selbst abfallen müsse, weshalb Abraham a Sancta Clara in einer seiner
Predigten einen Schneider träumen läßt, er werde von einem Engel mit einer
Fahne, die aus den von ihm gestohlnen Tuchstücken zusammengestickt sei, zur
Auferstehung und zum jüngsten Gerichte geweckt.

Eine andere Aeußerung des Volkshumors finden wir in dem plötzlichen
Uebergang eines zornigen Wortes oder Satzes zu einer scherzhaften Wendung.
Dahin gehören die Ausrufe Potz Tausend, Potz Wunder, Potz Marter, Saper-
lvt. Zum Teixel, Herr Jemine, bei denen allerdings die Scheu, heilige Na-
Men oder den des Teufels auszusprechen, mitwirkte, und die hyperbolischer
Flüche, in welchen die Schwerenoth schockweise und das Donnerwetter in Milli¬
onen spukt. Ganz komisch ist schon der Fluch: "Daß Dich das Mäusle
beiß," der schon bei Sebastian Frank vorkommt.

Endlich hat der Humor einen gewissen Einfluß auf ein Gebiet geübt, auf
dem man ihn nicht erwarten sollte, da hier der Geist bedächtiger Ruhe und Ge¬
messenheit walten soll und im Wesentlichen auch immer gewaltet hat -- wir
Meinen auf die altdeutschen Rechtssatzungen und Rechtsübungen.

Wir denken hier zunächst an die Naivetät, welche statt trockner und
nüchterner Verstandsbegriffe eine in die Sinne fallende Thatsache nennt,
zum Beispiel für ein Minimum von Grundbesitz so viel, daß eine Wiege
oder ein dreibeiniger Stuhl darauf stehen könne. Die Absicht, zu scherzen.


sollen sie von dem Krebs mit seinen Scheeren das Zuschneiden gelernt haben.
Dann heißt es im Volksliede: „Der Schneider und die Laus, fordern ein¬
ander heraus." Ferner werden sie mit einer angeblichen Verwandtschaft mit
dem Ziegenbocke gefoppt, die bisweilen zur Feindschaft wird. Ein Spruch.
Wort des westphälischen Süderlandes lautet: „Dat Gebläute thut (das Ge.
blüt thut, die Verwandtschaft verlangt es) seggt de Snider, do sprang he in
Dick un trok den Zienbock wier herut." In des Knaben Wunderhorn er¬
zählt ein Volkslied, wie siebzig Schneider in einem papiernen Wagen, vor den
eine Geiß gespannt ist, ins Niederland fahren wollten; ein Bock jagt sie aus¬
einander und achtundsechzig ertrinken. Ein anderes singt: „Und was ein
rechter Schneider ist, muß wiegen sieben Pfund." Im sechzehnten Jahrhun¬
dert war der Scherz im Umlauf, daß neun Schneider an einem El genug
hätten. Bekannt ist der Schwank von Eulenspiegel und den Schneidergesellen,
vielleicht auch das Märchen von der kronstädter Riesenbaßgetge, in die ein
Schneider hinabfällt, und die Mähr von dem Ursprünge des Namens blauer
Montag, der sich von einer Sonntagsprügelei zwischen den Schneidern und
den Schustern herschreiben soll, nach welcher jene am andern Morgen blaue
Augen gehabt hätten. Endlich sagte man ihnen nach, daß bei jedem Stück
Tuch, welches ihnen zur Verarbeitung übergeben würde, ein tüchtiger Fleck
für sie selbst abfallen müsse, weshalb Abraham a Sancta Clara in einer seiner
Predigten einen Schneider träumen läßt, er werde von einem Engel mit einer
Fahne, die aus den von ihm gestohlnen Tuchstücken zusammengestickt sei, zur
Auferstehung und zum jüngsten Gerichte geweckt.

Eine andere Aeußerung des Volkshumors finden wir in dem plötzlichen
Uebergang eines zornigen Wortes oder Satzes zu einer scherzhaften Wendung.
Dahin gehören die Ausrufe Potz Tausend, Potz Wunder, Potz Marter, Saper-
lvt. Zum Teixel, Herr Jemine, bei denen allerdings die Scheu, heilige Na-
Men oder den des Teufels auszusprechen, mitwirkte, und die hyperbolischer
Flüche, in welchen die Schwerenoth schockweise und das Donnerwetter in Milli¬
onen spukt. Ganz komisch ist schon der Fluch: „Daß Dich das Mäusle
beiß," der schon bei Sebastian Frank vorkommt.

Endlich hat der Humor einen gewissen Einfluß auf ein Gebiet geübt, auf
dem man ihn nicht erwarten sollte, da hier der Geist bedächtiger Ruhe und Ge¬
messenheit walten soll und im Wesentlichen auch immer gewaltet hat — wir
Meinen auf die altdeutschen Rechtssatzungen und Rechtsübungen.

Wir denken hier zunächst an die Naivetät, welche statt trockner und
nüchterner Verstandsbegriffe eine in die Sinne fallende Thatsache nennt,
zum Beispiel für ein Minimum von Grundbesitz so viel, daß eine Wiege
oder ein dreibeiniger Stuhl darauf stehen könne. Die Absicht, zu scherzen.


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[0315] sollen sie von dem Krebs mit seinen Scheeren das Zuschneiden gelernt haben. Dann heißt es im Volksliede: „Der Schneider und die Laus, fordern ein¬ ander heraus." Ferner werden sie mit einer angeblichen Verwandtschaft mit dem Ziegenbocke gefoppt, die bisweilen zur Feindschaft wird. Ein Spruch. Wort des westphälischen Süderlandes lautet: „Dat Gebläute thut (das Ge. blüt thut, die Verwandtschaft verlangt es) seggt de Snider, do sprang he in Dick un trok den Zienbock wier herut." In des Knaben Wunderhorn er¬ zählt ein Volkslied, wie siebzig Schneider in einem papiernen Wagen, vor den eine Geiß gespannt ist, ins Niederland fahren wollten; ein Bock jagt sie aus¬ einander und achtundsechzig ertrinken. Ein anderes singt: „Und was ein rechter Schneider ist, muß wiegen sieben Pfund." Im sechzehnten Jahrhun¬ dert war der Scherz im Umlauf, daß neun Schneider an einem El genug hätten. Bekannt ist der Schwank von Eulenspiegel und den Schneidergesellen, vielleicht auch das Märchen von der kronstädter Riesenbaßgetge, in die ein Schneider hinabfällt, und die Mähr von dem Ursprünge des Namens blauer Montag, der sich von einer Sonntagsprügelei zwischen den Schneidern und den Schustern herschreiben soll, nach welcher jene am andern Morgen blaue Augen gehabt hätten. Endlich sagte man ihnen nach, daß bei jedem Stück Tuch, welches ihnen zur Verarbeitung übergeben würde, ein tüchtiger Fleck für sie selbst abfallen müsse, weshalb Abraham a Sancta Clara in einer seiner Predigten einen Schneider träumen läßt, er werde von einem Engel mit einer Fahne, die aus den von ihm gestohlnen Tuchstücken zusammengestickt sei, zur Auferstehung und zum jüngsten Gerichte geweckt. Eine andere Aeußerung des Volkshumors finden wir in dem plötzlichen Uebergang eines zornigen Wortes oder Satzes zu einer scherzhaften Wendung. Dahin gehören die Ausrufe Potz Tausend, Potz Wunder, Potz Marter, Saper- lvt. Zum Teixel, Herr Jemine, bei denen allerdings die Scheu, heilige Na- Men oder den des Teufels auszusprechen, mitwirkte, und die hyperbolischer Flüche, in welchen die Schwerenoth schockweise und das Donnerwetter in Milli¬ onen spukt. Ganz komisch ist schon der Fluch: „Daß Dich das Mäusle beiß," der schon bei Sebastian Frank vorkommt. Endlich hat der Humor einen gewissen Einfluß auf ein Gebiet geübt, auf dem man ihn nicht erwarten sollte, da hier der Geist bedächtiger Ruhe und Ge¬ messenheit walten soll und im Wesentlichen auch immer gewaltet hat — wir Meinen auf die altdeutschen Rechtssatzungen und Rechtsübungen. Wir denken hier zunächst an die Naivetät, welche statt trockner und nüchterner Verstandsbegriffe eine in die Sinne fallende Thatsache nennt, zum Beispiel für ein Minimum von Grundbesitz so viel, daß eine Wiege oder ein dreibeiniger Stuhl darauf stehen könne. Die Absicht, zu scherzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/315>, abgerufen am 19.10.2024.