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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ist dabei nicht anzunehmen, der Humor hat unbewußt einen Zug von seinem
Wesen in die Bestimmung hineingebracht.

Mehr tritt dieß bei gewissen Leistungen an den Grundherrn hervor, zum
Beispiel bei dem .Kuttenzins", den das mansfeldische Dorf Stangerode an
das Amt Erdorf zu entrichten hatte, und bei dem "Rutscherzins", welchen
das hessische Dorf Salzberg (vgl. Grimm's Rechtsalterthümer 388) durch das
Walpertsmännchen ablieferte.

Auch gewisse Bestimmungen über Genugthuung klingen wie vom Volks"
Humor ausgegangen. Wir erinnern an diejenige, nach welcher bei einem
Todtschlage ein Hund beim Schwänze aufgehängt und von dem Schuldigen
mit Weizen überschüttet werden soll, bis nichts mehr von ihm zu sehen sei,
an die Scheinbußen, die den Unfreien, den Pfaffenlindern und den fahrenden
Leuten bei Beleidigungen zu leisten waren, vor Allem aber an die Satzungen
in Betreff von Ehrenstrafen. Beispiele sind hier das Hundetragen, von der"
sich in der sächsischen Redensart "Hundeführen bis Bautzen" ein Nachklang
erhalten hat, und der Eselsritt der Frau, die ihren Mann geschlagen hatte,
sowie die Führung des Esels durch den Mann, der seiner Frau dabei unter¬
legen war -- ein Brauch, der von Bessungen im Darmstädtischen berichtet
wird. Noch deutlicher war der Humor dabei im Spiele, wenn im Mainzi¬
schen dem Manne, der sich von seiner Frau schlagen ließ, der Fastnachts'
Schabernack angethan wurde, daß die Burschen ihm das Dach abdeckten.

Gleichfalls von der Schalkhaftigkeit des Volkes eingeführt war die alte
Sitte, bei dem Setzen von Marksteinen Kinder mitzunehmen und ihnen als
"Merk's" an der betreffenden Stelle einen Backenstreich zu geben. In den
österreichischen Alpen wurde bei solchen Gelegenheiten ein Knabe mit dem
Kopfe in das Loch gesteckt, das den Stein ausnehmen sollte, und bei der
gewissen Zeiten stattfindenden Besichtigung der Markzeichen nahm man Junge"
bei Schultern und Beinen und "kürzte" sie, d. h. stieß sie mit dem Hintern
ein paar Mal auf jene.

Aehnlich, aber noch komischer war der Gebrauch des "Zustutzens" der
jungen Bürger zu Weißenheim in der Pfalz, der nach Riehl noch vor Kurzem
üblich war. Alljährlich begaben sich hier die, welche in den letzten zwölf
Monaten das Bürgerrecht erlangt hatten, nach einem Steine vor dem Rath'
Hause, wo der Bürgermeister sie beim Genick faßte und, indem er sie auf den
Stein drückte, ihnen allerlei komische Privilegien, das Recht auf Empfang
von fünfzig Malter Bäckerrauch, die Erlaubniß zum Fischfang auf dem Kuh'
berge und die freie Jagd auf dem lobenheimer See ertheilte.

Ganz entschieden endlich hat der deutsche Volkshumor bei der Ausbildung
der Sitte des Hänselns mitgewirkt, die neulich in diesen Blättern (Ur. 29


ist dabei nicht anzunehmen, der Humor hat unbewußt einen Zug von seinem
Wesen in die Bestimmung hineingebracht.

Mehr tritt dieß bei gewissen Leistungen an den Grundherrn hervor, zum
Beispiel bei dem .Kuttenzins", den das mansfeldische Dorf Stangerode an
das Amt Erdorf zu entrichten hatte, und bei dem „Rutscherzins", welchen
das hessische Dorf Salzberg (vgl. Grimm's Rechtsalterthümer 388) durch das
Walpertsmännchen ablieferte.

Auch gewisse Bestimmungen über Genugthuung klingen wie vom Volks«
Humor ausgegangen. Wir erinnern an diejenige, nach welcher bei einem
Todtschlage ein Hund beim Schwänze aufgehängt und von dem Schuldigen
mit Weizen überschüttet werden soll, bis nichts mehr von ihm zu sehen sei,
an die Scheinbußen, die den Unfreien, den Pfaffenlindern und den fahrenden
Leuten bei Beleidigungen zu leisten waren, vor Allem aber an die Satzungen
in Betreff von Ehrenstrafen. Beispiele sind hier das Hundetragen, von der»
sich in der sächsischen Redensart „Hundeführen bis Bautzen" ein Nachklang
erhalten hat, und der Eselsritt der Frau, die ihren Mann geschlagen hatte,
sowie die Führung des Esels durch den Mann, der seiner Frau dabei unter¬
legen war — ein Brauch, der von Bessungen im Darmstädtischen berichtet
wird. Noch deutlicher war der Humor dabei im Spiele, wenn im Mainzi¬
schen dem Manne, der sich von seiner Frau schlagen ließ, der Fastnachts'
Schabernack angethan wurde, daß die Burschen ihm das Dach abdeckten.

Gleichfalls von der Schalkhaftigkeit des Volkes eingeführt war die alte
Sitte, bei dem Setzen von Marksteinen Kinder mitzunehmen und ihnen als
„Merk's" an der betreffenden Stelle einen Backenstreich zu geben. In den
österreichischen Alpen wurde bei solchen Gelegenheiten ein Knabe mit dem
Kopfe in das Loch gesteckt, das den Stein ausnehmen sollte, und bei der
gewissen Zeiten stattfindenden Besichtigung der Markzeichen nahm man Junge»
bei Schultern und Beinen und „kürzte" sie, d. h. stieß sie mit dem Hintern
ein paar Mal auf jene.

Aehnlich, aber noch komischer war der Gebrauch des „Zustutzens" der
jungen Bürger zu Weißenheim in der Pfalz, der nach Riehl noch vor Kurzem
üblich war. Alljährlich begaben sich hier die, welche in den letzten zwölf
Monaten das Bürgerrecht erlangt hatten, nach einem Steine vor dem Rath'
Hause, wo der Bürgermeister sie beim Genick faßte und, indem er sie auf den
Stein drückte, ihnen allerlei komische Privilegien, das Recht auf Empfang
von fünfzig Malter Bäckerrauch, die Erlaubniß zum Fischfang auf dem Kuh'
berge und die freie Jagd auf dem lobenheimer See ertheilte.

Ganz entschieden endlich hat der deutsche Volkshumor bei der Ausbildung
der Sitte des Hänselns mitgewirkt, die neulich in diesen Blättern (Ur. 29


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[0316] ist dabei nicht anzunehmen, der Humor hat unbewußt einen Zug von seinem Wesen in die Bestimmung hineingebracht. Mehr tritt dieß bei gewissen Leistungen an den Grundherrn hervor, zum Beispiel bei dem .Kuttenzins", den das mansfeldische Dorf Stangerode an das Amt Erdorf zu entrichten hatte, und bei dem „Rutscherzins", welchen das hessische Dorf Salzberg (vgl. Grimm's Rechtsalterthümer 388) durch das Walpertsmännchen ablieferte. Auch gewisse Bestimmungen über Genugthuung klingen wie vom Volks« Humor ausgegangen. Wir erinnern an diejenige, nach welcher bei einem Todtschlage ein Hund beim Schwänze aufgehängt und von dem Schuldigen mit Weizen überschüttet werden soll, bis nichts mehr von ihm zu sehen sei, an die Scheinbußen, die den Unfreien, den Pfaffenlindern und den fahrenden Leuten bei Beleidigungen zu leisten waren, vor Allem aber an die Satzungen in Betreff von Ehrenstrafen. Beispiele sind hier das Hundetragen, von der» sich in der sächsischen Redensart „Hundeführen bis Bautzen" ein Nachklang erhalten hat, und der Eselsritt der Frau, die ihren Mann geschlagen hatte, sowie die Führung des Esels durch den Mann, der seiner Frau dabei unter¬ legen war — ein Brauch, der von Bessungen im Darmstädtischen berichtet wird. Noch deutlicher war der Humor dabei im Spiele, wenn im Mainzi¬ schen dem Manne, der sich von seiner Frau schlagen ließ, der Fastnachts' Schabernack angethan wurde, daß die Burschen ihm das Dach abdeckten. Gleichfalls von der Schalkhaftigkeit des Volkes eingeführt war die alte Sitte, bei dem Setzen von Marksteinen Kinder mitzunehmen und ihnen als „Merk's" an der betreffenden Stelle einen Backenstreich zu geben. In den österreichischen Alpen wurde bei solchen Gelegenheiten ein Knabe mit dem Kopfe in das Loch gesteckt, das den Stein ausnehmen sollte, und bei der gewissen Zeiten stattfindenden Besichtigung der Markzeichen nahm man Junge» bei Schultern und Beinen und „kürzte" sie, d. h. stieß sie mit dem Hintern ein paar Mal auf jene. Aehnlich, aber noch komischer war der Gebrauch des „Zustutzens" der jungen Bürger zu Weißenheim in der Pfalz, der nach Riehl noch vor Kurzem üblich war. Alljährlich begaben sich hier die, welche in den letzten zwölf Monaten das Bürgerrecht erlangt hatten, nach einem Steine vor dem Rath' Hause, wo der Bürgermeister sie beim Genick faßte und, indem er sie auf den Stein drückte, ihnen allerlei komische Privilegien, das Recht auf Empfang von fünfzig Malter Bäckerrauch, die Erlaubniß zum Fischfang auf dem Kuh' berge und die freie Jagd auf dem lobenheimer See ertheilte. Ganz entschieden endlich hat der deutsche Volkshumor bei der Ausbildung der Sitte des Hänselns mitgewirkt, die neulich in diesen Blättern (Ur. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/316>, abgerufen am 02.10.2024.