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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Finken, Kameele oder Kümmeltürken, das Dienstmädchen ist in der Sprache
der studirenden Jugend ein Besen, der junge Mann, der zwischen dem Ma-
turttätsexamen und der Immatriculation steht, ein Mulus (Maulesel), der
sich nach der letzteren in einen Fuchs, später in einen Brandfuchs, dann in
ein altes Haus verwandelt und schließlich unter die Philister gerechnet wird.
Die Gläubiger des Studenten sind ihm Manichäer, die Handwerksgesellen
Groden, die Chirurgie studirenden Barbiere Bartmusen, die der Veterinär¬
kunde Beflissenen Mehmusen, den Commis beehrt er mit dem Namen
Schwonig oder Schwunk. Die Schuhmacher führen im Volksmunde allerlei
Spitznamen wie Pechfisel und Pechhengst; die Seiler sind Galgenposamen-
tirer, die Maurer, die in einem Tage so viel thun, als sie in einer Stunde
thun könnten, heißen Lehmklicker; "ein Tropfen Maurerschweiß ist zehn
Thaler werth;"


"Die Leineweber haben doch die schönste Zunft,
Mit Fasten halten sie Zusammenkunft,
Die Leinweber nehmen keinen Lehrjungen an,
Der nicht sechs Monate hungern kann."

Die Müller erscheinen dem Volkswitz als Betrüger, die Jäger als Lügner-
Die Bauern hatten im fünfzehnten Jahrhundert den Spitznamen Lappen-
Sie werden in den nürnberger Fastnachtsspielen grausam als Tölpel und
Lümmel verhöhnt. "Der beste Bauer ist ein Lauer", sagt man in Thüringen,
und unter den Plattdeutschen giebt es ein Sprichwort: "De Buer is en
Schelm un wenn he ook slöpt bet Mittag." Von ihrem dummstolzen Wesen
und ihrem Geiz heißt es in einem sächsischen Kinderreim:


"Wo die großen Bauern sitzen
Mit den langen Zivpelmützen,
Die das Geld mit Scheffeln messen
Und den Dreck mit Löffeln fressen."

Unendlich verspottet in Lied und Schwank waren im fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderte die Geistlichen der alten Kirche, und auch von den
protestantischen wurden und werden allerlei lächerliche Dinge erzählt. Unge¬
fähr ebenso gern reibt sich die Necklust an den Pädagogen aller Arten vom
pedantischen Monarchen des Gymnasiums bis hinab zum armen "Dorfschul¬
meisterlein, das ißt und trinkt und steckt auch ein".

Vor allen andern Gewerben und Berufsarten aber sind die Schneider
vom Volkshumor mit Spott und Schimpf überschüttet worden. Kaum wird
ihnen ein anderes Volk so übel mitgespielt haben als das deutsche. Zunächst


Finken, Kameele oder Kümmeltürken, das Dienstmädchen ist in der Sprache
der studirenden Jugend ein Besen, der junge Mann, der zwischen dem Ma-
turttätsexamen und der Immatriculation steht, ein Mulus (Maulesel), der
sich nach der letzteren in einen Fuchs, später in einen Brandfuchs, dann in
ein altes Haus verwandelt und schließlich unter die Philister gerechnet wird.
Die Gläubiger des Studenten sind ihm Manichäer, die Handwerksgesellen
Groden, die Chirurgie studirenden Barbiere Bartmusen, die der Veterinär¬
kunde Beflissenen Mehmusen, den Commis beehrt er mit dem Namen
Schwonig oder Schwunk. Die Schuhmacher führen im Volksmunde allerlei
Spitznamen wie Pechfisel und Pechhengst; die Seiler sind Galgenposamen-
tirer, die Maurer, die in einem Tage so viel thun, als sie in einer Stunde
thun könnten, heißen Lehmklicker; „ein Tropfen Maurerschweiß ist zehn
Thaler werth;"


„Die Leineweber haben doch die schönste Zunft,
Mit Fasten halten sie Zusammenkunft,
Die Leinweber nehmen keinen Lehrjungen an,
Der nicht sechs Monate hungern kann."

Die Müller erscheinen dem Volkswitz als Betrüger, die Jäger als Lügner-
Die Bauern hatten im fünfzehnten Jahrhundert den Spitznamen Lappen-
Sie werden in den nürnberger Fastnachtsspielen grausam als Tölpel und
Lümmel verhöhnt. „Der beste Bauer ist ein Lauer", sagt man in Thüringen,
und unter den Plattdeutschen giebt es ein Sprichwort: „De Buer is en
Schelm un wenn he ook slöpt bet Mittag." Von ihrem dummstolzen Wesen
und ihrem Geiz heißt es in einem sächsischen Kinderreim:


„Wo die großen Bauern sitzen
Mit den langen Zivpelmützen,
Die das Geld mit Scheffeln messen
Und den Dreck mit Löffeln fressen."

Unendlich verspottet in Lied und Schwank waren im fünfzehnten und
sechzehnten Jahrhunderte die Geistlichen der alten Kirche, und auch von den
protestantischen wurden und werden allerlei lächerliche Dinge erzählt. Unge¬
fähr ebenso gern reibt sich die Necklust an den Pädagogen aller Arten vom
pedantischen Monarchen des Gymnasiums bis hinab zum armen „Dorfschul¬
meisterlein, das ißt und trinkt und steckt auch ein".

Vor allen andern Gewerben und Berufsarten aber sind die Schneider
vom Volkshumor mit Spott und Schimpf überschüttet worden. Kaum wird
ihnen ein anderes Volk so übel mitgespielt haben als das deutsche. Zunächst


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[0314] Finken, Kameele oder Kümmeltürken, das Dienstmädchen ist in der Sprache der studirenden Jugend ein Besen, der junge Mann, der zwischen dem Ma- turttätsexamen und der Immatriculation steht, ein Mulus (Maulesel), der sich nach der letzteren in einen Fuchs, später in einen Brandfuchs, dann in ein altes Haus verwandelt und schließlich unter die Philister gerechnet wird. Die Gläubiger des Studenten sind ihm Manichäer, die Handwerksgesellen Groden, die Chirurgie studirenden Barbiere Bartmusen, die der Veterinär¬ kunde Beflissenen Mehmusen, den Commis beehrt er mit dem Namen Schwonig oder Schwunk. Die Schuhmacher führen im Volksmunde allerlei Spitznamen wie Pechfisel und Pechhengst; die Seiler sind Galgenposamen- tirer, die Maurer, die in einem Tage so viel thun, als sie in einer Stunde thun könnten, heißen Lehmklicker; „ein Tropfen Maurerschweiß ist zehn Thaler werth;" „Die Leineweber haben doch die schönste Zunft, Mit Fasten halten sie Zusammenkunft, Die Leinweber nehmen keinen Lehrjungen an, Der nicht sechs Monate hungern kann." Die Müller erscheinen dem Volkswitz als Betrüger, die Jäger als Lügner- Die Bauern hatten im fünfzehnten Jahrhundert den Spitznamen Lappen- Sie werden in den nürnberger Fastnachtsspielen grausam als Tölpel und Lümmel verhöhnt. „Der beste Bauer ist ein Lauer", sagt man in Thüringen, und unter den Plattdeutschen giebt es ein Sprichwort: „De Buer is en Schelm un wenn he ook slöpt bet Mittag." Von ihrem dummstolzen Wesen und ihrem Geiz heißt es in einem sächsischen Kinderreim: „Wo die großen Bauern sitzen Mit den langen Zivpelmützen, Die das Geld mit Scheffeln messen Und den Dreck mit Löffeln fressen." Unendlich verspottet in Lied und Schwank waren im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte die Geistlichen der alten Kirche, und auch von den protestantischen wurden und werden allerlei lächerliche Dinge erzählt. Unge¬ fähr ebenso gern reibt sich die Necklust an den Pädagogen aller Arten vom pedantischen Monarchen des Gymnasiums bis hinab zum armen „Dorfschul¬ meisterlein, das ißt und trinkt und steckt auch ein". Vor allen andern Gewerben und Berufsarten aber sind die Schneider vom Volkshumor mit Spott und Schimpf überschüttet worden. Kaum wird ihnen ein anderes Volk so übel mitgespielt haben als das deutsche. Zunächst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/314>, abgerufen am 19.10.2024.