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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Von den Appenzellern theilen wir unter Voraussetzung strengster Verschwiegen¬
heit das Recept mit, nach dem sie, wie uns der Humor ihrer Nachbarn ver¬
rathen hat, ihre Käse bereiten. Es ist gereimt und lautet:


"Wie mache d' Appenzeller Meidli de Chäh?
Sie thuend ihn in ä Chübeli
Und drückend --"

Doch nein, wir wollen das Geheimniß profanen Ohren nicht verrathen.

Es würde ein eitles Unternehmen sein, wenn wir versuchten, ein voll¬
ständiges Verzeichniß aller von der Fopplust des deutschen Volkshumors an¬
gezapften Orte und Landschaften zu geben. Manche Gegenden in der Schweiz
Und in Oesterreich weisen fast keinen einzigen Ort auf, der von ihr unge-
hudelt geblieben wäre, und Schwaben, das Elsaß, Schleswig-Holstein und
das Land der Vlaminger (letzteres war schon im Mittelalter als besonders
lustig berühmt) können jedes noch mit mehr als einem Dutzend Städtchen und
Dörfern in Reihe und Glied treten, wenn es hier auf eine Heerschau über
das gesammte deutsche Narrenthum abgesehen wäre. Statt einer solchen in
diesem Zusammenhang nur noch zwei Bemerkungen. Auffallend scheint uns,
daß Cöln. wo der Cultus des Carnevals sich immer lebendig erhalten hat
Und die Narrenkappe alle Jahre eine so wichtige Rolle spielt, niemals vom
Volkswitz zu den Lalenstädten gerechnet worden ist. Zweitens aber ist her¬
vorzuheben, daß Krähwinkel, der Ort, wohin wir im Allgemeinen alle pfahl-
dürgerliche Beschränktheit und Einfalt versetzen, zwar geographisch nachzu¬
weisen ist und sogar doppelt, bei Schorndorf in Würtemberg und bei Ohr-
druff eristirt, daß aber keins der beiden Dörfer im Gerüche steht oder gestan¬
den hat, Schildbürgerstreiche verübt zu haben.

Wie die Bewohnerschaft einer großen Anzahl deutscher Orte so sind auch
die verschiedenen Stände und Berufsarten vom Volkswitz in die Mache ge-
Uommen, mit spöttischer Nachrede verfolgt und mit Spitznamen molestirt wor¬
den. Daß eine gewisse Stelle bei den Herren und Damen vom Adel schwarz
M, hat wohl niemand anders zu verantworten als der Schalk, den wir den
deutschen Volkshumor genannt haben, und er wird auch wissen, warum er
diese uns unerklärliche Malerei vorgenommen hat. Den großen Kaufmann
schimpfte er schon in der Zeit der Raubritter Pfeffersack, den kleinen nennt
er, wenn er Materialwaaren verkauft, Dütchenkrämer, wenn er in Schund¬
waren macht, Ellenreiter, seine Gehülfen beim Geschäft Ladenschwengel. Die
Gelehrten sind ihm Bücherwürmer, die Schreiber und Schriftsteller Feder-
fuchser, die Wundärzte Pflasterkasten, die Apotheker Pillendreher, Giftmischer
Und Neunundneunziger. Studenten, die keiner Verbindung angehören, sind


Grenzten 7. 187". 39

Von den Appenzellern theilen wir unter Voraussetzung strengster Verschwiegen¬
heit das Recept mit, nach dem sie, wie uns der Humor ihrer Nachbarn ver¬
rathen hat, ihre Käse bereiten. Es ist gereimt und lautet:


„Wie mache d' Appenzeller Meidli de Chäh?
Sie thuend ihn in ä Chübeli
Und drückend —"

Doch nein, wir wollen das Geheimniß profanen Ohren nicht verrathen.

Es würde ein eitles Unternehmen sein, wenn wir versuchten, ein voll¬
ständiges Verzeichniß aller von der Fopplust des deutschen Volkshumors an¬
gezapften Orte und Landschaften zu geben. Manche Gegenden in der Schweiz
Und in Oesterreich weisen fast keinen einzigen Ort auf, der von ihr unge-
hudelt geblieben wäre, und Schwaben, das Elsaß, Schleswig-Holstein und
das Land der Vlaminger (letzteres war schon im Mittelalter als besonders
lustig berühmt) können jedes noch mit mehr als einem Dutzend Städtchen und
Dörfern in Reihe und Glied treten, wenn es hier auf eine Heerschau über
das gesammte deutsche Narrenthum abgesehen wäre. Statt einer solchen in
diesem Zusammenhang nur noch zwei Bemerkungen. Auffallend scheint uns,
daß Cöln. wo der Cultus des Carnevals sich immer lebendig erhalten hat
Und die Narrenkappe alle Jahre eine so wichtige Rolle spielt, niemals vom
Volkswitz zu den Lalenstädten gerechnet worden ist. Zweitens aber ist her¬
vorzuheben, daß Krähwinkel, der Ort, wohin wir im Allgemeinen alle pfahl-
dürgerliche Beschränktheit und Einfalt versetzen, zwar geographisch nachzu¬
weisen ist und sogar doppelt, bei Schorndorf in Würtemberg und bei Ohr-
druff eristirt, daß aber keins der beiden Dörfer im Gerüche steht oder gestan¬
den hat, Schildbürgerstreiche verübt zu haben.

Wie die Bewohnerschaft einer großen Anzahl deutscher Orte so sind auch
die verschiedenen Stände und Berufsarten vom Volkswitz in die Mache ge-
Uommen, mit spöttischer Nachrede verfolgt und mit Spitznamen molestirt wor¬
den. Daß eine gewisse Stelle bei den Herren und Damen vom Adel schwarz
M, hat wohl niemand anders zu verantworten als der Schalk, den wir den
deutschen Volkshumor genannt haben, und er wird auch wissen, warum er
diese uns unerklärliche Malerei vorgenommen hat. Den großen Kaufmann
schimpfte er schon in der Zeit der Raubritter Pfeffersack, den kleinen nennt
er, wenn er Materialwaaren verkauft, Dütchenkrämer, wenn er in Schund¬
waren macht, Ellenreiter, seine Gehülfen beim Geschäft Ladenschwengel. Die
Gelehrten sind ihm Bücherwürmer, die Schreiber und Schriftsteller Feder-
fuchser, die Wundärzte Pflasterkasten, die Apotheker Pillendreher, Giftmischer
Und Neunundneunziger. Studenten, die keiner Verbindung angehören, sind


Grenzten 7. 187«. 39
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[0313] Von den Appenzellern theilen wir unter Voraussetzung strengster Verschwiegen¬ heit das Recept mit, nach dem sie, wie uns der Humor ihrer Nachbarn ver¬ rathen hat, ihre Käse bereiten. Es ist gereimt und lautet: „Wie mache d' Appenzeller Meidli de Chäh? Sie thuend ihn in ä Chübeli Und drückend —" Doch nein, wir wollen das Geheimniß profanen Ohren nicht verrathen. Es würde ein eitles Unternehmen sein, wenn wir versuchten, ein voll¬ ständiges Verzeichniß aller von der Fopplust des deutschen Volkshumors an¬ gezapften Orte und Landschaften zu geben. Manche Gegenden in der Schweiz Und in Oesterreich weisen fast keinen einzigen Ort auf, der von ihr unge- hudelt geblieben wäre, und Schwaben, das Elsaß, Schleswig-Holstein und das Land der Vlaminger (letzteres war schon im Mittelalter als besonders lustig berühmt) können jedes noch mit mehr als einem Dutzend Städtchen und Dörfern in Reihe und Glied treten, wenn es hier auf eine Heerschau über das gesammte deutsche Narrenthum abgesehen wäre. Statt einer solchen in diesem Zusammenhang nur noch zwei Bemerkungen. Auffallend scheint uns, daß Cöln. wo der Cultus des Carnevals sich immer lebendig erhalten hat Und die Narrenkappe alle Jahre eine so wichtige Rolle spielt, niemals vom Volkswitz zu den Lalenstädten gerechnet worden ist. Zweitens aber ist her¬ vorzuheben, daß Krähwinkel, der Ort, wohin wir im Allgemeinen alle pfahl- dürgerliche Beschränktheit und Einfalt versetzen, zwar geographisch nachzu¬ weisen ist und sogar doppelt, bei Schorndorf in Würtemberg und bei Ohr- druff eristirt, daß aber keins der beiden Dörfer im Gerüche steht oder gestan¬ den hat, Schildbürgerstreiche verübt zu haben. Wie die Bewohnerschaft einer großen Anzahl deutscher Orte so sind auch die verschiedenen Stände und Berufsarten vom Volkswitz in die Mache ge- Uommen, mit spöttischer Nachrede verfolgt und mit Spitznamen molestirt wor¬ den. Daß eine gewisse Stelle bei den Herren und Damen vom Adel schwarz M, hat wohl niemand anders zu verantworten als der Schalk, den wir den deutschen Volkshumor genannt haben, und er wird auch wissen, warum er diese uns unerklärliche Malerei vorgenommen hat. Den großen Kaufmann schimpfte er schon in der Zeit der Raubritter Pfeffersack, den kleinen nennt er, wenn er Materialwaaren verkauft, Dütchenkrämer, wenn er in Schund¬ waren macht, Ellenreiter, seine Gehülfen beim Geschäft Ladenschwengel. Die Gelehrten sind ihm Bücherwürmer, die Schreiber und Schriftsteller Feder- fuchser, die Wundärzte Pflasterkasten, die Apotheker Pillendreher, Giftmischer Und Neunundneunziger. Studenten, die keiner Verbindung angehören, sind Grenzten 7. 187«. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/313>, abgerufen am 19.10.2024.