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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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nur, wie ohnmächtig die Versuche geheimer Gesellschaften sind, in die Ge¬
schichte der Staaten einzugreifen.

Nach diesem vereitelten Pulses bestrebte sich Mazzini zunächst eine Ver¬
bindung der Gleichgesinnten unter den verschiedenen Nationen zusammenzu¬
bringen. So entstand neben dem Jungen Italien im Frühjahr das "Junge
Polen", dessen Geschichte wir im nächsten Abschnitte geben werden, und ein
"Junges Deutschland", denen sich 1836 ein "Junges Frankreich" anschloß,
nachdem die drei ersten Geheimbünde sich am 16. April 1834 durch Abgeord¬
nete zum "Jungen Europa" vereinigt hatten.

Ihre Verbrüderungsacte, die den Wahlspruch: "Freiheit, Gleichheit,
Humanität" an der Spitze trug, enthielt ein ziemlich unbestimmtes und
phrasenhaftes Bekenntniß der Verbündeten zu den Grundsätzen, daß alle
Menschen und Völker gleich seien, daß sie einander zur Erringung der Freiheit
behülflich sein müßten, und daß sie zu harmonischer Existenz sich zu entwickeln
hätten. Nur diese Grundsätze sollten von allen Zweigen der Verbrüderung
befolgt werden, sonst sollten sie unabhängig von einander wirken. Bevoll¬
mächtigte der Ausschüsse der drei nationalen Gesellschaften waren bestimmt,
in einem Centralausschusse den Mittelpunkt des Ganzen zu bilden. Das
"Junge Frankreich" scheint wenig gediehen zu sein, und dasselbe ist von der
"Jungen Schweiz" zu sagen, die in jener Zeit zu diesem Rattenkönig von
Conspirationen hinzutrat. Nur die drei ältesten derselben gewannen einige
Ausdehnung, und das "Junge Deutschland" blos für etliche Jahre und in
gewissen Theilen der Schweiz und des östlichen Frankreich. Die Zahl der
Mitglieder, die aus Handwerksburschen und politischen Flüchtlingen bestanden,
welche bekanntlich nur in seltnen Fällen ein verständiges und den Thatsachen
entsprechendes Urtheil über die Verhältnisse der Heimath besitzen, sondern in
Träumen leben, soll drei- bis vierhundert nicht überschritten haben. Der
leitende Ausschuß bestand aus fünf Mitgliedern, und der Verein gliederte sich
in Clubs von wenigstens fünf Theilnehmern unter einem Präsidenten. Der¬
selbe schrieb sich eine Gerichtsbarkeit gegen die ihm Angehörigen zu, welche
sich des Verraths schuldig machten. Die Bundeskasse sollte aus freiwilligen
Beiträgen der Clubs für ihre Stiftungsurkunden sowie aus den Eintritts¬
geldern und Monatszahlungen der Mitglieder gebildet werden. Diese Organi¬
sation hat indeß fast nur auf dem Papier bestanden, und als die schwei¬
zerischen Behörden infolge der Ermordung des Polizeispions Lessing zu Zürich
und der Versammlung deutscher Handwerker im Steinhölzle bei Bern, die
man mit dem Bunde in Zusammenhang brachte, einen Theil der Theilnehmer
an demselben auswiesen, zerfiel die Sache vollständig, nachdem sie weder ge¬
nutzt noch geschadet, sondern nur die deutsche Polizei einige Jahre in Aufregung
erhalten hatte.


nur, wie ohnmächtig die Versuche geheimer Gesellschaften sind, in die Ge¬
schichte der Staaten einzugreifen.

Nach diesem vereitelten Pulses bestrebte sich Mazzini zunächst eine Ver¬
bindung der Gleichgesinnten unter den verschiedenen Nationen zusammenzu¬
bringen. So entstand neben dem Jungen Italien im Frühjahr das „Junge
Polen", dessen Geschichte wir im nächsten Abschnitte geben werden, und ein
„Junges Deutschland", denen sich 1836 ein „Junges Frankreich" anschloß,
nachdem die drei ersten Geheimbünde sich am 16. April 1834 durch Abgeord¬
nete zum „Jungen Europa" vereinigt hatten.

Ihre Verbrüderungsacte, die den Wahlspruch: „Freiheit, Gleichheit,
Humanität" an der Spitze trug, enthielt ein ziemlich unbestimmtes und
phrasenhaftes Bekenntniß der Verbündeten zu den Grundsätzen, daß alle
Menschen und Völker gleich seien, daß sie einander zur Erringung der Freiheit
behülflich sein müßten, und daß sie zu harmonischer Existenz sich zu entwickeln
hätten. Nur diese Grundsätze sollten von allen Zweigen der Verbrüderung
befolgt werden, sonst sollten sie unabhängig von einander wirken. Bevoll¬
mächtigte der Ausschüsse der drei nationalen Gesellschaften waren bestimmt,
in einem Centralausschusse den Mittelpunkt des Ganzen zu bilden. Das
„Junge Frankreich" scheint wenig gediehen zu sein, und dasselbe ist von der
„Jungen Schweiz" zu sagen, die in jener Zeit zu diesem Rattenkönig von
Conspirationen hinzutrat. Nur die drei ältesten derselben gewannen einige
Ausdehnung, und das „Junge Deutschland" blos für etliche Jahre und in
gewissen Theilen der Schweiz und des östlichen Frankreich. Die Zahl der
Mitglieder, die aus Handwerksburschen und politischen Flüchtlingen bestanden,
welche bekanntlich nur in seltnen Fällen ein verständiges und den Thatsachen
entsprechendes Urtheil über die Verhältnisse der Heimath besitzen, sondern in
Träumen leben, soll drei- bis vierhundert nicht überschritten haben. Der
leitende Ausschuß bestand aus fünf Mitgliedern, und der Verein gliederte sich
in Clubs von wenigstens fünf Theilnehmern unter einem Präsidenten. Der¬
selbe schrieb sich eine Gerichtsbarkeit gegen die ihm Angehörigen zu, welche
sich des Verraths schuldig machten. Die Bundeskasse sollte aus freiwilligen
Beiträgen der Clubs für ihre Stiftungsurkunden sowie aus den Eintritts¬
geldern und Monatszahlungen der Mitglieder gebildet werden. Diese Organi¬
sation hat indeß fast nur auf dem Papier bestanden, und als die schwei¬
zerischen Behörden infolge der Ermordung des Polizeispions Lessing zu Zürich
und der Versammlung deutscher Handwerker im Steinhölzle bei Bern, die
man mit dem Bunde in Zusammenhang brachte, einen Theil der Theilnehmer
an demselben auswiesen, zerfiel die Sache vollständig, nachdem sie weder ge¬
nutzt noch geschadet, sondern nur die deutsche Polizei einige Jahre in Aufregung
erhalten hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/31>, abgerufen am 26.09.2024.