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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sich kriegen". Aber Longmore verweilt, obwohl seitdem mehrere Jahre ver¬
flossen sind, noch immer in der Ferne. Bei all seiner zärtlichen Erinnerung
an Madame de Mauves empfindet er ein Gefühl, "für welches scheue Ehr¬
furcht kaum ein zu starker Name sein würde." Bei näherer Betrachtung der
Sache können wir ihm hierin nur Recht geben.




"Acker Keichensperger, Kulturkampf oder Friede in
Staat und Kirche. Jerl'in 1876.

Seit der preußischen Nationalversammlung von 1848 gehört Herr Peter
Reichensperger den parlamentarischen Körperschaften Preußens und seit 1866
auch denen des norddeutschen Bundes und nachher des deutschen Reiches an.
In dieser langen öffentlichen Laufbahn hat er als Abgeordneter wie als
Schriftsteller immer denselben Charakter bewahrt! den eines Mannes von
seinem Verstände, vielseitiger Bildung, umsichtigen Urtheil und sittlicher Be¬
sonnenheit. Es will dies sehr viel sagen bei einer parlamentarischen Lauf¬
bahn, die nicht nur einen 28jährigen Zeitraum umfaßt, sondern welche zu¬
gleich einer Epoche angehört, die von so stürmischen und wechselnden Gegen¬
sätzen bewegt war. Wenn der Abgeordnete seine Waffen und Wirksamkett
unter so wechselnden Umständen nach verschiedenen Seiten gekehrt hat: 1848
gegen die Demokratie, in den fünfziger Jahren gegen die Reaktion, in späteren
Zeiten gegen einen in seinen Ansprüchen nicht maßhaltenden Liberalismus und
zuletzt gegen die Staatsregierung im sogenannten Kulturkampf, so hat er
doch von Anfang an die Stelle eines Anwaltes selner Kirche in den ver¬
schiedenen politischen Strömungen eingenommen. Daß seine Sprache bis auf
den heutigen Tag nicht leidenschaftlich, seine Argumentation nicht sophistisch
geworden, gereicht seinem Charakter und seiner sittlich maßhaltenden Natur
zur hohen Ehre.

Es kann nicht auffallen, daß grade bet diesem Charakter in den par¬
lamentarischen Stürmen des Kulturkampfes Herr Reichensperger als Mitglied
des Centrums trotz seiner hervorragenden Intelligenz etwas in den Hinter¬
grund getreten ist. Wenn aber nunmehr er in der großen Frage des Kultur¬
kampfes schriftlich das Wort nimmt, so ist es erklärlich, daß dieses Wort
wie ein Ereigniß erwartet und aufgenommen wird. Man glaubt, ein solcher


sich kriegen". Aber Longmore verweilt, obwohl seitdem mehrere Jahre ver¬
flossen sind, noch immer in der Ferne. Bei all seiner zärtlichen Erinnerung
an Madame de Mauves empfindet er ein Gefühl, „für welches scheue Ehr¬
furcht kaum ein zu starker Name sein würde." Bei näherer Betrachtung der
Sache können wir ihm hierin nur Recht geben.




"Acker Keichensperger, Kulturkampf oder Friede in
Staat und Kirche. Jerl'in 1876.

Seit der preußischen Nationalversammlung von 1848 gehört Herr Peter
Reichensperger den parlamentarischen Körperschaften Preußens und seit 1866
auch denen des norddeutschen Bundes und nachher des deutschen Reiches an.
In dieser langen öffentlichen Laufbahn hat er als Abgeordneter wie als
Schriftsteller immer denselben Charakter bewahrt! den eines Mannes von
seinem Verstände, vielseitiger Bildung, umsichtigen Urtheil und sittlicher Be¬
sonnenheit. Es will dies sehr viel sagen bei einer parlamentarischen Lauf¬
bahn, die nicht nur einen 28jährigen Zeitraum umfaßt, sondern welche zu¬
gleich einer Epoche angehört, die von so stürmischen und wechselnden Gegen¬
sätzen bewegt war. Wenn der Abgeordnete seine Waffen und Wirksamkett
unter so wechselnden Umständen nach verschiedenen Seiten gekehrt hat: 1848
gegen die Demokratie, in den fünfziger Jahren gegen die Reaktion, in späteren
Zeiten gegen einen in seinen Ansprüchen nicht maßhaltenden Liberalismus und
zuletzt gegen die Staatsregierung im sogenannten Kulturkampf, so hat er
doch von Anfang an die Stelle eines Anwaltes selner Kirche in den ver¬
schiedenen politischen Strömungen eingenommen. Daß seine Sprache bis auf
den heutigen Tag nicht leidenschaftlich, seine Argumentation nicht sophistisch
geworden, gereicht seinem Charakter und seiner sittlich maßhaltenden Natur
zur hohen Ehre.

Es kann nicht auffallen, daß grade bet diesem Charakter in den par¬
lamentarischen Stürmen des Kulturkampfes Herr Reichensperger als Mitglied
des Centrums trotz seiner hervorragenden Intelligenz etwas in den Hinter¬
grund getreten ist. Wenn aber nunmehr er in der großen Frage des Kultur¬
kampfes schriftlich das Wort nimmt, so ist es erklärlich, daß dieses Wort
wie ein Ereigniß erwartet und aufgenommen wird. Man glaubt, ein solcher


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[0268] sich kriegen". Aber Longmore verweilt, obwohl seitdem mehrere Jahre ver¬ flossen sind, noch immer in der Ferne. Bei all seiner zärtlichen Erinnerung an Madame de Mauves empfindet er ein Gefühl, „für welches scheue Ehr¬ furcht kaum ein zu starker Name sein würde." Bei näherer Betrachtung der Sache können wir ihm hierin nur Recht geben. "Acker Keichensperger, Kulturkampf oder Friede in Staat und Kirche. Jerl'in 1876. Seit der preußischen Nationalversammlung von 1848 gehört Herr Peter Reichensperger den parlamentarischen Körperschaften Preußens und seit 1866 auch denen des norddeutschen Bundes und nachher des deutschen Reiches an. In dieser langen öffentlichen Laufbahn hat er als Abgeordneter wie als Schriftsteller immer denselben Charakter bewahrt! den eines Mannes von seinem Verstände, vielseitiger Bildung, umsichtigen Urtheil und sittlicher Be¬ sonnenheit. Es will dies sehr viel sagen bei einer parlamentarischen Lauf¬ bahn, die nicht nur einen 28jährigen Zeitraum umfaßt, sondern welche zu¬ gleich einer Epoche angehört, die von so stürmischen und wechselnden Gegen¬ sätzen bewegt war. Wenn der Abgeordnete seine Waffen und Wirksamkett unter so wechselnden Umständen nach verschiedenen Seiten gekehrt hat: 1848 gegen die Demokratie, in den fünfziger Jahren gegen die Reaktion, in späteren Zeiten gegen einen in seinen Ansprüchen nicht maßhaltenden Liberalismus und zuletzt gegen die Staatsregierung im sogenannten Kulturkampf, so hat er doch von Anfang an die Stelle eines Anwaltes selner Kirche in den ver¬ schiedenen politischen Strömungen eingenommen. Daß seine Sprache bis auf den heutigen Tag nicht leidenschaftlich, seine Argumentation nicht sophistisch geworden, gereicht seinem Charakter und seiner sittlich maßhaltenden Natur zur hohen Ehre. Es kann nicht auffallen, daß grade bet diesem Charakter in den par¬ lamentarischen Stürmen des Kulturkampfes Herr Reichensperger als Mitglied des Centrums trotz seiner hervorragenden Intelligenz etwas in den Hinter¬ grund getreten ist. Wenn aber nunmehr er in der großen Frage des Kultur¬ kampfes schriftlich das Wort nimmt, so ist es erklärlich, daß dieses Wort wie ein Ereigniß erwartet und aufgenommen wird. Man glaubt, ein solcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/268>, abgerufen am 23.07.2024.