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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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senden Völkern gelebt hatten. "Sei versichert, daß es etwas sehr Unschuldiges
ist, "ein Lamm, ein Böckchen oder ein saugendes Kalb." Aber es war genug
für ihre Nerven und ihr Gewissen, daß es ein paar dunkelrothe Tropfen
waren, und in trauriger Aufregung kehrte sie nach dem Hause zurück."

Am nächsten Abend läßt die Gräfin während der Abwesenheit ihres Ge¬
mahls, der ruhelos in der Umgebung der Stadt umherschweift, eine tiefe Grube
graben, die Juno aus dem Casino abholen- und wieder in die Verborgenheit
zurückkehren. "Möge ihr die Erde leicht sein, sie aber auf ewig einschließen,"
sagt sie, indem sie eine Hand voll Erde nimmt und auf die Brust des Götter¬
bildes fallen läßt. Dann geht sie nach dem Salon und rhut, als wolle sie
sich mit einer Stickerei beschäftigen. In Wirklichkeit aber rüstet sie sich tapfer
für eine Erklärung ihres Schrittes, ihrem Gatten gegenüber, die aber un¬
nöthig wird, da dem Grafen der Zauber des Bildes schon zur Bedrückung
geworden ist und zu seiner Befreiung nur die Beseitigung der Statue noch er¬
forderlich war.

"Als der Abend weiter vorrückte, Hörteich eine Bewegung auf der Schwelle
und sah, wie der Graf den Tapetenvorhang, der die Thür verhüllte, zurück¬
schob und seine Frau anblickte. Seine Augen glänzten, verriethen aber keinen
Zorn. Er hatte die Juno vermißt und -- einen tiefen Athemzug gethan.
Die Gräfin hielt ihre Augen auf ihre Arbeit geheftet und machte ihre seidenen
Stiche wie ein Bild eheweiblicher Zufriedenheit. Dieses Bild schien mit Zauber¬
gewalt auf ihn zu wirken. Er kam langsam herein, fast auf den Zehen, ging
nach dem Kamine hin und blieb dort in einer Art entzückter Beschaulichkeit
stehen. Die Hand meiner Pathe zitterte, als sie beim Sticken auf und nieder¬
ging, und die Farbe stieg ihr in die Wangen. Endlich erhob sie ihre Augen
und hielt seinen Blick aus, in welchem sich alle seine zurückkehrende Treue zu
concentriren schien. Er zögerte einen Moment, als ob gerade ihre verzeihende
Liebe die Kluft zwischen ihnen offen hielte, und dann schritt er vor, fiel auf
seine beiden Kniee und begrub seinen Kopf in ihrem Schooße. Ich ging hin¬
weg, wie der Graf hereingekommen war -- auf den Zehen."

Die dritte Erzählung: "Eugen Pickering" ist in ihrer Art wieder
ein kleines Kabinetsstück, in welchem uns mit Meisterhand ein angebliches
Erlebniß des Verfassers geschildert wird. Derselbe erneuert in Homburg die
Bekanntschaft mit einem früheren Schulgenossen, der ihm seit Jahren aus den
Augen gekommen ist. Eugen ist, von seinem Vater in der Abgeschiedenheit
von der Welt und ganz nach den Grundsätzen, die dieser für heilsam hält,
erzogen und zuletzt auf dessen Sterbebette noch genöthigt worden, sich seine
Zukunft von ihm gestalten zu lassen, indem er versprechen muß, eine gewisse
junge Dame, die in Smyrna bei ihrem Vater lebt, zu heirathen. Durch den
Tod seines Vaters freier geworden, will er vor Erfüllung jenes Versprechens


senden Völkern gelebt hatten. „Sei versichert, daß es etwas sehr Unschuldiges
ist, „ein Lamm, ein Böckchen oder ein saugendes Kalb." Aber es war genug
für ihre Nerven und ihr Gewissen, daß es ein paar dunkelrothe Tropfen
waren, und in trauriger Aufregung kehrte sie nach dem Hause zurück."

Am nächsten Abend läßt die Gräfin während der Abwesenheit ihres Ge¬
mahls, der ruhelos in der Umgebung der Stadt umherschweift, eine tiefe Grube
graben, die Juno aus dem Casino abholen- und wieder in die Verborgenheit
zurückkehren. „Möge ihr die Erde leicht sein, sie aber auf ewig einschließen,"
sagt sie, indem sie eine Hand voll Erde nimmt und auf die Brust des Götter¬
bildes fallen läßt. Dann geht sie nach dem Salon und rhut, als wolle sie
sich mit einer Stickerei beschäftigen. In Wirklichkeit aber rüstet sie sich tapfer
für eine Erklärung ihres Schrittes, ihrem Gatten gegenüber, die aber un¬
nöthig wird, da dem Grafen der Zauber des Bildes schon zur Bedrückung
geworden ist und zu seiner Befreiung nur die Beseitigung der Statue noch er¬
forderlich war.

„Als der Abend weiter vorrückte, Hörteich eine Bewegung auf der Schwelle
und sah, wie der Graf den Tapetenvorhang, der die Thür verhüllte, zurück¬
schob und seine Frau anblickte. Seine Augen glänzten, verriethen aber keinen
Zorn. Er hatte die Juno vermißt und — einen tiefen Athemzug gethan.
Die Gräfin hielt ihre Augen auf ihre Arbeit geheftet und machte ihre seidenen
Stiche wie ein Bild eheweiblicher Zufriedenheit. Dieses Bild schien mit Zauber¬
gewalt auf ihn zu wirken. Er kam langsam herein, fast auf den Zehen, ging
nach dem Kamine hin und blieb dort in einer Art entzückter Beschaulichkeit
stehen. Die Hand meiner Pathe zitterte, als sie beim Sticken auf und nieder¬
ging, und die Farbe stieg ihr in die Wangen. Endlich erhob sie ihre Augen
und hielt seinen Blick aus, in welchem sich alle seine zurückkehrende Treue zu
concentriren schien. Er zögerte einen Moment, als ob gerade ihre verzeihende
Liebe die Kluft zwischen ihnen offen hielte, und dann schritt er vor, fiel auf
seine beiden Kniee und begrub seinen Kopf in ihrem Schooße. Ich ging hin¬
weg, wie der Graf hereingekommen war — auf den Zehen."

Die dritte Erzählung: „Eugen Pickering" ist in ihrer Art wieder
ein kleines Kabinetsstück, in welchem uns mit Meisterhand ein angebliches
Erlebniß des Verfassers geschildert wird. Derselbe erneuert in Homburg die
Bekanntschaft mit einem früheren Schulgenossen, der ihm seit Jahren aus den
Augen gekommen ist. Eugen ist, von seinem Vater in der Abgeschiedenheit
von der Welt und ganz nach den Grundsätzen, die dieser für heilsam hält,
erzogen und zuletzt auf dessen Sterbebette noch genöthigt worden, sich seine
Zukunft von ihm gestalten zu lassen, indem er versprechen muß, eine gewisse
junge Dame, die in Smyrna bei ihrem Vater lebt, zu heirathen. Durch den
Tod seines Vaters freier geworden, will er vor Erfüllung jenes Versprechens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/263>, abgerufen am 22.07.2024.