Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.ist. In starrer Betrachtung blickt der herbeigerufene Graf die Göttin an. Die Beiden gehen nun diesen Abend nach dem Casino. "Einen Augenblick zögerte ich," erzählt der Verfasser, "indem ich fürchtete, ist. In starrer Betrachtung blickt der herbeigerufene Graf die Göttin an. Die Beiden gehen nun diesen Abend nach dem Casino. „Einen Augenblick zögerte ich," erzählt der Verfasser, „indem ich fürchtete, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135315"/> <p xml:id="ID_716" prev="#ID_715"> ist. In starrer Betrachtung blickt der herbeigerufene Graf die Göttin an.<lb/> Er ist bleich und giebt keine Antwort, als seine Frau ihn liebkosend umschlingt.<lb/> Er gießt, als man ihm ein Glas Wein reicht, um als der Erste zu Ehren<lb/> der Entdeckung zu trinken, den Wein langsam und feierlich vor den Füßen<lb/> Juno's aus — eine Libation. Der Gras ist, wie von nun an mit jedem Tage<lb/> deutlicher wird, vollkommen bezaubert von dem Steinbilde, er liebt die Juno,<lb/> er richtet ihr in dem Casino in der Stille ein Heiligthum ein, in welchem er<lb/> sie vor den Blicken Anderer verbirgt, er betet sie an, er geht mit allen seinen<lb/> Gedanken in ihr auf und vernachlässigt infolge dessen seine Frau. Sie ist<lb/> unglücklich darüber, sie fühlt, daß etwas zwischen sie beide getreten, aber ver¬<lb/> geblich müht sie sich ab, die Ursache zu entdecken, sie weiß nur, daß er auf<lb/> sie verzichtet hat, daß sie aus seinem Leben herausgefallen ist. Der Verfasser<lb/> entdeckt nun, nachdem er den Zustand des Grafen schon geraume Zeit ge¬<lb/> ahnt, eines Abends durch Zufall, wie derselbe seiner Göttin kniefällig huldigt.<lb/> Er theilt der armen Frau am nächsten Tage seine Entdeckung mit. „Du be¬<lb/> wundertest seine antike Einfalt/ sagt er ihr. „Du stehst jetzt, wie weit sie<lb/> geht. Er hat sich dem Glauben seiner Ahnen wieder zugewendet. Er hat<lb/> Jahre lang in ihm geschlummert, diese gebieterische Natur hat ihn schweigend<lb/> erwachen lassen. Mit einem Worte, liebes Kind, Camillo ist ein Heide."</p><lb/> <p xml:id="ID_717"> Die Beiden gehen nun diesen Abend nach dem Casino.</p><lb/> <p xml:id="ID_718" next="#ID_719"> „Einen Augenblick zögerte ich," erzählt der Verfasser, „indem ich fürchtete,<lb/> wir möchten uns in die Andachtsübungen des Grafen eindrängen. Dann<lb/> aber, als mir ein Etwas in ihrem Gesichte sagte, daß auch sie daran gedacht<lb/> und einen plötzlichen Antrieb empfunden, mitten aus der Gefahr heraus sich<lb/> den Sieg zu holen, bot ich ihr getrost meinen Arm. Als wir uns dem Ca¬<lb/> sino näherten, sah ich, daß die Thür weit offen stand, und daß Lampen-<lb/> licht darin war. Die Lampe hing vor der Bildsäule und zeigte uns, daß der<lb/> Raum leer war. Aber der Graf war kurz zuvor hier gewesen. Vor der Statue<lb/> stand ein kunstlos aus dem Stegreif erbauter Altar, das Bruchstück eines an¬<lb/> tiken Marmorwerkes, auf welchem eine unleserliehe griechische Inschrift einge¬<lb/> hauen war. Wir schienen wirklich in einem heidnischen Tempel zu sein, und<lb/> wir blickten auf die glänzende Gottheit mit einem Antriebe zur Ehrfurcht.<lb/> Dieses Gefühl hätte vermuthlich einen tiefergehenden Grad erreicht, wenn es<lb/> nicht plötzlich ungestüm dadurch zurückgedrängt worden wäre, daß wir auf der<lb/> Oberfläche des niedrigen Altars ein eigenthümliches Glitzern bemerkten. Ein<lb/> zweiter Blick zeigte uns, daß es Blut war. Meine Begleiterin sah mich mit<lb/> bleichem Entsetzen an und wandte sich mit einem Aufschrei hinweg. Ein<lb/> Schwarm gräßlicher Vermuthungen drängte sich mir ins Gemüth, und einen<lb/> Augenblick überwältigte mich der Ekel. Aber zuletzt erinnerte ich mich, daß<lb/> es verschiedene Arten Blut giebt, und daß die Römer nach den menschenfres-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
ist. In starrer Betrachtung blickt der herbeigerufene Graf die Göttin an.
Er ist bleich und giebt keine Antwort, als seine Frau ihn liebkosend umschlingt.
Er gießt, als man ihm ein Glas Wein reicht, um als der Erste zu Ehren
der Entdeckung zu trinken, den Wein langsam und feierlich vor den Füßen
Juno's aus — eine Libation. Der Gras ist, wie von nun an mit jedem Tage
deutlicher wird, vollkommen bezaubert von dem Steinbilde, er liebt die Juno,
er richtet ihr in dem Casino in der Stille ein Heiligthum ein, in welchem er
sie vor den Blicken Anderer verbirgt, er betet sie an, er geht mit allen seinen
Gedanken in ihr auf und vernachlässigt infolge dessen seine Frau. Sie ist
unglücklich darüber, sie fühlt, daß etwas zwischen sie beide getreten, aber ver¬
geblich müht sie sich ab, die Ursache zu entdecken, sie weiß nur, daß er auf
sie verzichtet hat, daß sie aus seinem Leben herausgefallen ist. Der Verfasser
entdeckt nun, nachdem er den Zustand des Grafen schon geraume Zeit ge¬
ahnt, eines Abends durch Zufall, wie derselbe seiner Göttin kniefällig huldigt.
Er theilt der armen Frau am nächsten Tage seine Entdeckung mit. „Du be¬
wundertest seine antike Einfalt/ sagt er ihr. „Du stehst jetzt, wie weit sie
geht. Er hat sich dem Glauben seiner Ahnen wieder zugewendet. Er hat
Jahre lang in ihm geschlummert, diese gebieterische Natur hat ihn schweigend
erwachen lassen. Mit einem Worte, liebes Kind, Camillo ist ein Heide."
Die Beiden gehen nun diesen Abend nach dem Casino.
„Einen Augenblick zögerte ich," erzählt der Verfasser, „indem ich fürchtete,
wir möchten uns in die Andachtsübungen des Grafen eindrängen. Dann
aber, als mir ein Etwas in ihrem Gesichte sagte, daß auch sie daran gedacht
und einen plötzlichen Antrieb empfunden, mitten aus der Gefahr heraus sich
den Sieg zu holen, bot ich ihr getrost meinen Arm. Als wir uns dem Ca¬
sino näherten, sah ich, daß die Thür weit offen stand, und daß Lampen-
licht darin war. Die Lampe hing vor der Bildsäule und zeigte uns, daß der
Raum leer war. Aber der Graf war kurz zuvor hier gewesen. Vor der Statue
stand ein kunstlos aus dem Stegreif erbauter Altar, das Bruchstück eines an¬
tiken Marmorwerkes, auf welchem eine unleserliehe griechische Inschrift einge¬
hauen war. Wir schienen wirklich in einem heidnischen Tempel zu sein, und
wir blickten auf die glänzende Gottheit mit einem Antriebe zur Ehrfurcht.
Dieses Gefühl hätte vermuthlich einen tiefergehenden Grad erreicht, wenn es
nicht plötzlich ungestüm dadurch zurückgedrängt worden wäre, daß wir auf der
Oberfläche des niedrigen Altars ein eigenthümliches Glitzern bemerkten. Ein
zweiter Blick zeigte uns, daß es Blut war. Meine Begleiterin sah mich mit
bleichem Entsetzen an und wandte sich mit einem Aufschrei hinweg. Ein
Schwarm gräßlicher Vermuthungen drängte sich mir ins Gemüth, und einen
Augenblick überwältigte mich der Ekel. Aber zuletzt erinnerte ich mich, daß
es verschiedene Arten Blut giebt, und daß die Römer nach den menschenfres-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |