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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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wärts erheben, währenddem in der entferntesten Kapelle das Miserere, von
Allegri, Pergolese oder Singarelli wie ein Gesang von himmlischen Heerschaa-
ren angestimmt tönt, und aller Herzen zur frömmsten Andacht rührt -- oder
tretten Sie, nachdem das zum Ave Maria ertönte Geläute aller Glocken der
Hunderte von Glockenthürmen, das Hinabsinken der Sonne begleitet hat,
und der eben im stillen Frieden aufsteigende Mond den von der Menge von
colossalen Säulen umzirkten Platz von Se. Peter, mit seinem egyptischen
Obelisk, und bis zum Wunderwerk emporschäumenden beyden Fontaine" zur
magischen Wirkung zu beleuchten angefangen hat, treten Sie in diesem Augen¬
blick vor die sich öffnenden Pforten des Doms und Sie sehen wie ein Ge¬
bild aus einer andern Welt das zu einer einzigen Sternenmasse gewordene
Kreutz, aus dem ungeheuern, dunkeln Raum der Kuppel vorleuchten -- kann
man schöner im Bilde die Worte Christi ausdrücken, "Kommt alle zu mir,
ich bin das Leben und das Licht"... --

Dieses waren meine vorzüglichsten Genüsse in der vor. Char-Woche.
Möchte meine eingeschränkte Schilderung Bilder vor Ihre Seele führen kön¬
nen, die mir nur einigermaßen Ihren Mirgenuß gewährt seyn laßen könnten.
Gerne möchte ich mich länger und öfter von ähnlichen Ereignissen mit Ihnen
unterhalten, denn ich weiß daß auch Sie in ihnen unendlich inniger genießen,
als in denen, die die profane Welt uns bietet.

Rom, 22. May.

Es sind über drei Wochen verstoßen, wo ich in meiner Unterhaltung
mit Ihnen, hochverehrte Freundinn, durch Störung abbrechen mußte, und da
ich so gerne fortgefahren hätte, Ihnen noch einige Schilderungen von meinen
hiesigen Genüßen zu machen, so wollte ich so abgebrochen, meinen Brief nicht
abschicken. Ich habe unterdeßen in Gesellschaft mehrerer Künstler einige Tage
lang einen Streifzug ins alte Latium gemacht, wovon ich gestern Abend zu¬
rückgekommen bin.

Die Tendenz unserer Reise war mehr uns eine angenehme Bewe¬
gung im Freien zu machen, als die Schönheiten der Natur ruhig zu genießen,
da wir alle durch strenges Arbeiten in unsern Studien, unsere Körper einer
Strapaze aussetzen mußten. Ich kann Ihnen daher von den Schönheiten
jener Gegenden nur im Allgemeinen sagen, daß sie paradiesisch sind. Der¬
jenige Theil der Lateiner Gebirge den wir durchzogen, hat wohl schwerlich
seines gleichen, in der Vereinigung seiner reitzendsten Parthien zu einem herr¬
lichen Ganzen, das sich in der Ferne wie in der Nähe durch die schönsten
Formen ausspricht. Es wird zusammen unter dem Namen des Albaner Ge¬
birges begriffen, das von Rom aus gesehen, mir immer erneut hohen Ge¬
nuß giebt. Es ist ein vulcanisches Gebirge, und man erkennt in den Seen
von Albano und Nemi, die auf ihm liegen, ganz deutlich, daß sie seine


wärts erheben, währenddem in der entferntesten Kapelle das Miserere, von
Allegri, Pergolese oder Singarelli wie ein Gesang von himmlischen Heerschaa-
ren angestimmt tönt, und aller Herzen zur frömmsten Andacht rührt — oder
tretten Sie, nachdem das zum Ave Maria ertönte Geläute aller Glocken der
Hunderte von Glockenthürmen, das Hinabsinken der Sonne begleitet hat,
und der eben im stillen Frieden aufsteigende Mond den von der Menge von
colossalen Säulen umzirkten Platz von Se. Peter, mit seinem egyptischen
Obelisk, und bis zum Wunderwerk emporschäumenden beyden Fontaine» zur
magischen Wirkung zu beleuchten angefangen hat, treten Sie in diesem Augen¬
blick vor die sich öffnenden Pforten des Doms und Sie sehen wie ein Ge¬
bild aus einer andern Welt das zu einer einzigen Sternenmasse gewordene
Kreutz, aus dem ungeheuern, dunkeln Raum der Kuppel vorleuchten — kann
man schöner im Bilde die Worte Christi ausdrücken, „Kommt alle zu mir,
ich bin das Leben und das Licht"... —

Dieses waren meine vorzüglichsten Genüsse in der vor. Char-Woche.
Möchte meine eingeschränkte Schilderung Bilder vor Ihre Seele führen kön¬
nen, die mir nur einigermaßen Ihren Mirgenuß gewährt seyn laßen könnten.
Gerne möchte ich mich länger und öfter von ähnlichen Ereignissen mit Ihnen
unterhalten, denn ich weiß daß auch Sie in ihnen unendlich inniger genießen,
als in denen, die die profane Welt uns bietet.

Rom, 22. May.

Es sind über drei Wochen verstoßen, wo ich in meiner Unterhaltung
mit Ihnen, hochverehrte Freundinn, durch Störung abbrechen mußte, und da
ich so gerne fortgefahren hätte, Ihnen noch einige Schilderungen von meinen
hiesigen Genüßen zu machen, so wollte ich so abgebrochen, meinen Brief nicht
abschicken. Ich habe unterdeßen in Gesellschaft mehrerer Künstler einige Tage
lang einen Streifzug ins alte Latium gemacht, wovon ich gestern Abend zu¬
rückgekommen bin.

Die Tendenz unserer Reise war mehr uns eine angenehme Bewe¬
gung im Freien zu machen, als die Schönheiten der Natur ruhig zu genießen,
da wir alle durch strenges Arbeiten in unsern Studien, unsere Körper einer
Strapaze aussetzen mußten. Ich kann Ihnen daher von den Schönheiten
jener Gegenden nur im Allgemeinen sagen, daß sie paradiesisch sind. Der¬
jenige Theil der Lateiner Gebirge den wir durchzogen, hat wohl schwerlich
seines gleichen, in der Vereinigung seiner reitzendsten Parthien zu einem herr¬
lichen Ganzen, das sich in der Ferne wie in der Nähe durch die schönsten
Formen ausspricht. Es wird zusammen unter dem Namen des Albaner Ge¬
birges begriffen, das von Rom aus gesehen, mir immer erneut hohen Ge¬
nuß giebt. Es ist ein vulcanisches Gebirge, und man erkennt in den Seen
von Albano und Nemi, die auf ihm liegen, ganz deutlich, daß sie seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/255>, abgerufen am 24.08.2024.