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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ein Fäßchen trefflichen Burgunders an, der wichtiger als die Hemden zu sein
scheint, der Tuchhändler drängt mit einer langen Rechnung. Benjamin bleibt
fest, das Geld geht zurück, die Leinwand und der Wein bleiben umgetauft,
und der Tuchhändler läßt den Herrn Doctor Rathery in den Schuldthurm
bringen, gerade als er sich mit Jungfer Minxit in die Kirche begeben will,
um Nummer Sechs der Kinder seiner lieben Schwester, die inzwischen nieder¬
gekommen ist, aus der Taufe zu heben.

Wir können diese Vorgänge nicht im Einzelnen verfolgen, obwohl sie
größtentheils nicht weniger komisch sind als die vorherigen, und obwohl
namentlich die Schnurren, wie Kaspar einen Frack aus einem Kirchenpanier
bekommt, wie Benjamin den Krämer Sursurrans foppt, wie er die nachtun
Gebete für die glückliche Niederkunft seiner Schwester verbringt, wie er den
Amtmann verhöhnt, endlich sein Frühstück im Gefängniß, vielleicht zu dem
Besten gehören, was das Buch uns bietet.

Es genüge, daß Minxit unsern lustigen Heiden aus seiner Haft loskauft
und mit sich nach Corvol nimmt. Hier stößt derselbe zum zweiten Mal mit
der Anmaßung des Adels zusammen und zwar in Gestalt jenes rothen Mus-
ketierofficiers von Brückenbruch, der ebenfalls um Jungfer Minxit freit
und sich der Liebe derselben erfreut. Von Schraubereien, bei denen Onkel
Benjamin selbstverständlich jederzeit die erste Geige spielt, kommt es von
Seiten des Officiers zu Drohungen, die der Doctor damit beantwortet, daß
er den Droher vor die Thür setzt, und das Ende ist eine Herausforderung
zum Duell, bei welchem der Musketier sich im Voraus als Sieger weiß, aber
von Benjamin, nachdem derselbe ihn vorher spöttisch aufgefordert, die Sache
durch Schach- statt durch Degenspiel zur Entscheidung zu bringen, dreimal
entwaffnet und schmählich heimgeschickt wird -- eine Episode, die abermals
von derber und feiner Komik förmlich funkelt.

Jetzt aber nimmt die Geschichte, wenigstens was den wackern Papa
Minxit angeht, eine traurige Wendung. Arabella hat sich von Brücken¬
bruch überreden lassen, mit ihm nach Paris zu entfliehen. Außer sich kommt
der alte Herr mitten in der Nacht bei Benjamin an, um ihm sein Unglück
zu erzählen und um seinen Beistand bei der Verfolgung der Flüchtlinge zu
bitten. Die Beiden brechen dazu auf, und holen jene wirklich im Wirths¬
hause zum Windhunde in Courson ein. Aber der Entführer ist bereits eine
Leiche, die Entführte, im Schreck über seinen plötzlichen Tod von Wehen be¬
fallen, liegt im Sterben. Jener hat mit einem Reisenden wegen eines Zim¬
mers Händel und, als er sich darauf mit ihm im Garten geschossen, eine Kugel
durch den Kopf bekommen. Arabella aber flackert nur noch wie eine er¬
löschende Lampe. Ihr Vater fällt über diese Nachrichten in Ohnmacht, und


ein Fäßchen trefflichen Burgunders an, der wichtiger als die Hemden zu sein
scheint, der Tuchhändler drängt mit einer langen Rechnung. Benjamin bleibt
fest, das Geld geht zurück, die Leinwand und der Wein bleiben umgetauft,
und der Tuchhändler läßt den Herrn Doctor Rathery in den Schuldthurm
bringen, gerade als er sich mit Jungfer Minxit in die Kirche begeben will,
um Nummer Sechs der Kinder seiner lieben Schwester, die inzwischen nieder¬
gekommen ist, aus der Taufe zu heben.

Wir können diese Vorgänge nicht im Einzelnen verfolgen, obwohl sie
größtentheils nicht weniger komisch sind als die vorherigen, und obwohl
namentlich die Schnurren, wie Kaspar einen Frack aus einem Kirchenpanier
bekommt, wie Benjamin den Krämer Sursurrans foppt, wie er die nachtun
Gebete für die glückliche Niederkunft seiner Schwester verbringt, wie er den
Amtmann verhöhnt, endlich sein Frühstück im Gefängniß, vielleicht zu dem
Besten gehören, was das Buch uns bietet.

Es genüge, daß Minxit unsern lustigen Heiden aus seiner Haft loskauft
und mit sich nach Corvol nimmt. Hier stößt derselbe zum zweiten Mal mit
der Anmaßung des Adels zusammen und zwar in Gestalt jenes rothen Mus-
ketierofficiers von Brückenbruch, der ebenfalls um Jungfer Minxit freit
und sich der Liebe derselben erfreut. Von Schraubereien, bei denen Onkel
Benjamin selbstverständlich jederzeit die erste Geige spielt, kommt es von
Seiten des Officiers zu Drohungen, die der Doctor damit beantwortet, daß
er den Droher vor die Thür setzt, und das Ende ist eine Herausforderung
zum Duell, bei welchem der Musketier sich im Voraus als Sieger weiß, aber
von Benjamin, nachdem derselbe ihn vorher spöttisch aufgefordert, die Sache
durch Schach- statt durch Degenspiel zur Entscheidung zu bringen, dreimal
entwaffnet und schmählich heimgeschickt wird — eine Episode, die abermals
von derber und feiner Komik förmlich funkelt.

Jetzt aber nimmt die Geschichte, wenigstens was den wackern Papa
Minxit angeht, eine traurige Wendung. Arabella hat sich von Brücken¬
bruch überreden lassen, mit ihm nach Paris zu entfliehen. Außer sich kommt
der alte Herr mitten in der Nacht bei Benjamin an, um ihm sein Unglück
zu erzählen und um seinen Beistand bei der Verfolgung der Flüchtlinge zu
bitten. Die Beiden brechen dazu auf, und holen jene wirklich im Wirths¬
hause zum Windhunde in Courson ein. Aber der Entführer ist bereits eine
Leiche, die Entführte, im Schreck über seinen plötzlichen Tod von Wehen be¬
fallen, liegt im Sterben. Jener hat mit einem Reisenden wegen eines Zim¬
mers Händel und, als er sich darauf mit ihm im Garten geschossen, eine Kugel
durch den Kopf bekommen. Arabella aber flackert nur noch wie eine er¬
löschende Lampe. Ihr Vater fällt über diese Nachrichten in Ohnmacht, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/238>, abgerufen am 02.07.2024.