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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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hinabrannte, rief ihm der Marquis vom Fenster her nach: Halten Sie an.
Herr Rathery, haben Sie die Güte, meine Danksagungen und die der Frau
Marquise in Empfang zu nehmen; ich muß Sie doch für Ihre Operation be¬
zahlen. -- Aber Benjamin war nicht der Mann, der sich mit schönen Worten
fangen ließ. Am Fuße des Berges angelangt, begegnete er dem Läufer des
Marquis. -- Landry, sagte er zu ihm, meine Empfehlungen an die Frau
Marquise, und beruhigen Sie den Herrn von Kambyses in Betreff der Sal¬
mengräten, sie sind so unschuldig wie Hechtgräten, nur muß man sie nicht
verschlucken. -- Benjamin nahm seinen Weg nach Corvol zu Doctor Minxit.
Er sah ihn schon von weitem vor seiner Thür, und indem er das Schnupf¬
tuch zum Zeichen seines Triumphes schwang, rief er: Wir sind gerächt! Der
gute Alte sprang ihm entgegen mit der ganzen Schnelligkeit seiner kurzen
dicken Beine. Er wußte sich vor Vergnügen nicht zu fassen. Zu Hause an¬
gekommen, ließ er seine Musikanten Tusch blasen bis zum Abend, und hier¬
auf gebot er ihnen, sich zu betrinken, ein Befehl, der aufs Pünktlichste be¬
folgt wurde."

Nicht so ganz ruhig über die Folgen seiner Keckheit kommt Benjamin
nach Clamecy zurück. Aber am nächsten Tage übergiebt ihm der Läufer des
Schlosses einen Sack voll Geld mit einem Briefe, in welchem der Marquis
ihn bittet, den Vorfall zu vergessen und das Geld als Preis für die geschickt
vollführte Operation anzunehmen. "Oho!" sagt Benjamin, "der wackre Herr
möchte meine Verschwiegenheit erkaufen. Wenn ich ihm in herkömmlicher
Weise ohne Umschweife die Gräte aus dem Halse gezogen hätte, so hätte er
mir zwei Thaler in die Hand gedrückt und mich in die Bedientenstube ge¬
schickt, damit ich dort eine Erfrischung zu mir nehme. Jetzt schickt er, Kukuck!
fünfzig Thaler. Das heiß' ich Freigebigkeit. Für das Ausziehen dieser Gräte
hätte Herr Minxit dreißig Thaler verlangt; aber er treibt die Heilkunst mit
vollständig besetztem Orchester, er hat vier Gäule und zwölf Musikanten zu
unterhalten. Ich, der ich nur für mein Besteck und meinen Leichnam zu
sorgen habe -- für einen Leichnam freilich von sechs Fuß drei Zoll -- kann
höchstens sechs Thaler beanspruchen. Also muß ich dem Marquis vierund¬
vierzig Thaler zurückschicken, und noch noch dazu hab'ich schier Gewissensbisse,
daß ich ihm überhaupt Geld abnehme. Wie that der Adel in seiner Person
Buße vor dem Volke vertreten von der meinigen! Wenn irgend ein Porträt
seiner Ahnen in seinem Salon hing, so muß es roth geworden sein vor Scham.
Ich wollte, daß man mir nach meinem Tode das kleine Fleckchen ausschnitte,
auf das er mich geküßt hat, und daß man es im Pantheon bestattete" u, f. w.
Verschiedene Umstände treten der Rücksendung der vterundvierzig Thaler hin¬
dernd in den Weg. Benjamin's Schwester hat billige Leinwand zu Hemden
für ihn gekauft, die er von dem Gelve bezahlen könnte, Pagina bietet ihm


hinabrannte, rief ihm der Marquis vom Fenster her nach: Halten Sie an.
Herr Rathery, haben Sie die Güte, meine Danksagungen und die der Frau
Marquise in Empfang zu nehmen; ich muß Sie doch für Ihre Operation be¬
zahlen. — Aber Benjamin war nicht der Mann, der sich mit schönen Worten
fangen ließ. Am Fuße des Berges angelangt, begegnete er dem Läufer des
Marquis. — Landry, sagte er zu ihm, meine Empfehlungen an die Frau
Marquise, und beruhigen Sie den Herrn von Kambyses in Betreff der Sal¬
mengräten, sie sind so unschuldig wie Hechtgräten, nur muß man sie nicht
verschlucken. — Benjamin nahm seinen Weg nach Corvol zu Doctor Minxit.
Er sah ihn schon von weitem vor seiner Thür, und indem er das Schnupf¬
tuch zum Zeichen seines Triumphes schwang, rief er: Wir sind gerächt! Der
gute Alte sprang ihm entgegen mit der ganzen Schnelligkeit seiner kurzen
dicken Beine. Er wußte sich vor Vergnügen nicht zu fassen. Zu Hause an¬
gekommen, ließ er seine Musikanten Tusch blasen bis zum Abend, und hier¬
auf gebot er ihnen, sich zu betrinken, ein Befehl, der aufs Pünktlichste be¬
folgt wurde."

Nicht so ganz ruhig über die Folgen seiner Keckheit kommt Benjamin
nach Clamecy zurück. Aber am nächsten Tage übergiebt ihm der Läufer des
Schlosses einen Sack voll Geld mit einem Briefe, in welchem der Marquis
ihn bittet, den Vorfall zu vergessen und das Geld als Preis für die geschickt
vollführte Operation anzunehmen. „Oho!" sagt Benjamin, „der wackre Herr
möchte meine Verschwiegenheit erkaufen. Wenn ich ihm in herkömmlicher
Weise ohne Umschweife die Gräte aus dem Halse gezogen hätte, so hätte er
mir zwei Thaler in die Hand gedrückt und mich in die Bedientenstube ge¬
schickt, damit ich dort eine Erfrischung zu mir nehme. Jetzt schickt er, Kukuck!
fünfzig Thaler. Das heiß' ich Freigebigkeit. Für das Ausziehen dieser Gräte
hätte Herr Minxit dreißig Thaler verlangt; aber er treibt die Heilkunst mit
vollständig besetztem Orchester, er hat vier Gäule und zwölf Musikanten zu
unterhalten. Ich, der ich nur für mein Besteck und meinen Leichnam zu
sorgen habe — für einen Leichnam freilich von sechs Fuß drei Zoll — kann
höchstens sechs Thaler beanspruchen. Also muß ich dem Marquis vierund¬
vierzig Thaler zurückschicken, und noch noch dazu hab'ich schier Gewissensbisse,
daß ich ihm überhaupt Geld abnehme. Wie that der Adel in seiner Person
Buße vor dem Volke vertreten von der meinigen! Wenn irgend ein Porträt
seiner Ahnen in seinem Salon hing, so muß es roth geworden sein vor Scham.
Ich wollte, daß man mir nach meinem Tode das kleine Fleckchen ausschnitte,
auf das er mich geküßt hat, und daß man es im Pantheon bestattete" u, f. w.
Verschiedene Umstände treten der Rücksendung der vterundvierzig Thaler hin¬
dernd in den Weg. Benjamin's Schwester hat billige Leinwand zu Hemden
für ihn gekauft, die er von dem Gelve bezahlen könnte, Pagina bietet ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/237>, abgerufen am 03.07.2024.