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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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als sie während derselben wirklich stirbt, versinkt der gute Alte in unheilbare
Schwermuth, aus der er später nur auflebt, um, nachdem er Benjamin zu
seinem Erben eingesetzt, im Kreise seiner alten Tafel- und Zechgenossen seinen
eignen Sterbetag zu feiern, den sein Freund Benjamin ihm hat diagnosticiren
müssen. Unter allerlei Scherzreden vergeht das Mahl, bei dem Minxit ge¬
pudert und in seinem schönsten Kleide erschienen ist. Benjamin muß ihm
seine Leichenrede vortragen, die Minxit kritisirt. Dann wird der Abschieds-
trunk getrunken, und nachdem man ihm eine glückliche Reise gewünscht, ent¬
fernt sich der Sterbende, vom Sergeanten in sein Bett geschafft. Eine Stunde
später läßt er Benjamin rufen, er hat gerade noch fo viel Zeit, um ihm die
Hand zu drücken, dann stirbt er.

Papa Minxit hat verlangt, nicht auf dem Friedhof der Gemeinde be¬
graben zu werden, da sich "der Schatten der Kirche wie ein Trauerflor über
seine ganze Oberfläche breitet". Er hat gewünscht, auf selner Wiese am
Rande eines murmelnden Baches zu ruhen. Die Kirche thut Einspruch da¬
gegen, aber vergeblich.

"Am nächsten Morgen, als der Sarg des Herrn Minxit, umgeben von
seinen Freunden und gefolgt von einem langen Zuge Bauern, eben im Be¬
griffe war, das Haus zu verlassen, erschien der Pfarrer an der Thür und
befahl den Trägern, die Leiche auf den Kirchhof zu bringen. -- Aber, sagte
mein Onkel, Herr Minxit hat nicht im Sinne, auf den Kirchhof zu gehen,
er geht auf seine Wiese, und Niemand hat das Recht, ihm das zu verwehren.
~- Der Pfarrer wandte ein, daß die Reste eines Christen nur in geweihter
Erde ruhen könnten. -- Ist denn die Erde, in die wir Herrn Minxit tragen,
weniger geweiht als die Ihrige? Wachsen nicht Gras und Blumen darauf
wie auf dem Kirchhof der Gemeinde? -- Wollen Sie denn, daß Ihr Freund
verdammt sei? fragte der Pfarrer. -- Erlauben Sie, erwiderte mein Onkel,
Herr Minxit ist seit gestern vor Gott und hat jetzt, sofern die Sache nicht
vertagt worden ist, sein Urtheil empfangen. Falls er verdammt wäre, könnte
Ihre Leichenfeier den Richterspruch nicht aufheben, und wenn er gerettet ist,
zu was wäre da Ihre Feier gut?

Der Pfarrer schrie, Benjamin sei ein Gottloser, und befahl den Bauern,
sich zu entfernen. Alle gehorchten, und sogar die Träger schienen Willens,
dasselbe zu thun. Aber mein Onkel zog den Degen und sagte: Die Träger
sind bezahlt, um den Körper an seine letzte Ruhestätte zu tragen, und sie
müssen ihr Geld verdienen. Wenn sie ihr Geschäft gut verrichten, erhält jeder
einen Thaler. Wenn sich dagegen einer oder der andere sträuben sollte, werde
ich ihn mit der flachen Klinge solange bearbeiten bis er am Boden liegt. -- Die
Träger, welchen die Drohungen Benjamin's noch mehr Furcht einflößten, als


als sie während derselben wirklich stirbt, versinkt der gute Alte in unheilbare
Schwermuth, aus der er später nur auflebt, um, nachdem er Benjamin zu
seinem Erben eingesetzt, im Kreise seiner alten Tafel- und Zechgenossen seinen
eignen Sterbetag zu feiern, den sein Freund Benjamin ihm hat diagnosticiren
müssen. Unter allerlei Scherzreden vergeht das Mahl, bei dem Minxit ge¬
pudert und in seinem schönsten Kleide erschienen ist. Benjamin muß ihm
seine Leichenrede vortragen, die Minxit kritisirt. Dann wird der Abschieds-
trunk getrunken, und nachdem man ihm eine glückliche Reise gewünscht, ent¬
fernt sich der Sterbende, vom Sergeanten in sein Bett geschafft. Eine Stunde
später läßt er Benjamin rufen, er hat gerade noch fo viel Zeit, um ihm die
Hand zu drücken, dann stirbt er.

Papa Minxit hat verlangt, nicht auf dem Friedhof der Gemeinde be¬
graben zu werden, da sich „der Schatten der Kirche wie ein Trauerflor über
seine ganze Oberfläche breitet". Er hat gewünscht, auf selner Wiese am
Rande eines murmelnden Baches zu ruhen. Die Kirche thut Einspruch da¬
gegen, aber vergeblich.

„Am nächsten Morgen, als der Sarg des Herrn Minxit, umgeben von
seinen Freunden und gefolgt von einem langen Zuge Bauern, eben im Be¬
griffe war, das Haus zu verlassen, erschien der Pfarrer an der Thür und
befahl den Trägern, die Leiche auf den Kirchhof zu bringen. — Aber, sagte
mein Onkel, Herr Minxit hat nicht im Sinne, auf den Kirchhof zu gehen,
er geht auf seine Wiese, und Niemand hat das Recht, ihm das zu verwehren.
~- Der Pfarrer wandte ein, daß die Reste eines Christen nur in geweihter
Erde ruhen könnten. — Ist denn die Erde, in die wir Herrn Minxit tragen,
weniger geweiht als die Ihrige? Wachsen nicht Gras und Blumen darauf
wie auf dem Kirchhof der Gemeinde? — Wollen Sie denn, daß Ihr Freund
verdammt sei? fragte der Pfarrer. — Erlauben Sie, erwiderte mein Onkel,
Herr Minxit ist seit gestern vor Gott und hat jetzt, sofern die Sache nicht
vertagt worden ist, sein Urtheil empfangen. Falls er verdammt wäre, könnte
Ihre Leichenfeier den Richterspruch nicht aufheben, und wenn er gerettet ist,
zu was wäre da Ihre Feier gut?

Der Pfarrer schrie, Benjamin sei ein Gottloser, und befahl den Bauern,
sich zu entfernen. Alle gehorchten, und sogar die Träger schienen Willens,
dasselbe zu thun. Aber mein Onkel zog den Degen und sagte: Die Träger
sind bezahlt, um den Körper an seine letzte Ruhestätte zu tragen, und sie
müssen ihr Geld verdienen. Wenn sie ihr Geschäft gut verrichten, erhält jeder
einen Thaler. Wenn sich dagegen einer oder der andere sträuben sollte, werde
ich ihn mit der flachen Klinge solange bearbeiten bis er am Boden liegt. — Die
Träger, welchen die Drohungen Benjamin's noch mehr Furcht einflößten, als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/239>, abgerufen am 01.07.2024.