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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Schulden rasch bezahlt. Glaubst Du, es genügt, wenn man einen Mann
von Ehre beschimpft hat, zuzugeben, daß man Unrecht gehabt? Nein, Du
mußt Dich dem Rechte der Wiedervergeltung unterwerfen. Der Schwache von
gestern ist zum Starken von heute geworden, der Wurm hat sich in eine
Schlange verwandelt. Du wirst meiner Justiz nicht wie der des Amtmanns
entschlüpfen, es giebt keine Protection, die Dich gegen mich vertheidigt. Ich
habe Dich geküßt, jetzt mußt Du mich küssen. -- Bedienten, schrie der Mar¬
quis, den der Zorn die Gefahr, in der er vorgeblich schwebte, vergessen ließ,
führt diesen Menschen in den Hof, man gebe ihm hundert Peitschenhiebe, ich
will ihn hier schreien hören. -- Gut, sagte mein Onkel; aber in zehn Minu¬
ten ist die Operation unmöglich geworden, und in einer Stunde sind Sie
todt. -- El kann ich denn nicht durch meinen Läufer einen Chirurgen in
Varzy holen lassen? -- Wenn Ihr Läufer den Chirurgen zu Hause trifft, so
kommt dieser gerade recht, um Sie sterben zu sehen und der Frau Marquise
seinen Betstand zu widmen. -- Aber Sie können unmöglich so unbeugsam
bleiben, sagte die Marquise. Gewährt es nicht ein größeres Vergnügen, zu
verzeihen, als sich zu rächen? -- O Madame, erwiderte Benjamin, indem er
sich mit Anmuth verbeugte, ich bitte Sie zu glauben, daß ich, wenn mir von
Ihnen eine solche Beleidigung zugefügt worden wäre, keine Rachegedanken
gegen Sie hegen würde. -- Frau von Kambyses lächelte, und da sie einsah,
daß mit meinem Onkel nichts anzufangen war, redete sie selbst ihrem Gemahl
zu, sich der Nothwendigkeit zu fügen. Der Marquis, von der Angst über¬
wältigt, winkte zwei Bedienten, die im Zimmer waren, zu, sich zu entfernen.
-- Bei Leibe nicht, sagte der unerbittliche Benjamin. So haben wir nicht
gewettet. Bedienten, ihr sagt im Gegentheil den Leuten des Herrn von Kam¬
byses in seinem Namen, daß sie sich stracks hierher zu verfügen haben. Sie
waren Zeugen der Beleidigung, sie müssen Zeugen auch der Genugthuung
sein. Die Frau Marquise allein hat das Recht, sich zu entfernen. -- Der
Marquis warf einen Blick auf die Uhr und sah, daß er nur noch drei Minu-
ten habe. Da keiner der Bedienten sich näherte, sagte er: Geht doch rasch
und vollführt die Befehle des Herrn Rathery. Seht Ihr denn nicht, daß er
allein hier für den Augenblick Gebieter ist? -- Die Bedienten erschienen, einer
nach dem anderen. Nur der Haushofmeister fehlte noch. Aber Benjamin
wollte mit unerschütterlicher Strenge nicht eher anfangen, bis auch dieser zu¬
gegen war. Dann---- Gut, sagte Benjamin, jetzt sind wir quitt, und
Alles ist vergessen. Nun will ich mich gewissenhaft Ihres Halses annehmen.
Er zog die Gräte flink heraus und gab sie dem Marquis in die Hand. Wäh¬
rend dieser sie neugierig betrachtete, sagte Benjamin: Ich muß Ihnen frische
Luft geben. Er öffnete ein Fenster, sprang in den Hof und war mit zwei
oder drei Sätzen seiner langen Beine am Schloßthor. Während er den Berg


Schulden rasch bezahlt. Glaubst Du, es genügt, wenn man einen Mann
von Ehre beschimpft hat, zuzugeben, daß man Unrecht gehabt? Nein, Du
mußt Dich dem Rechte der Wiedervergeltung unterwerfen. Der Schwache von
gestern ist zum Starken von heute geworden, der Wurm hat sich in eine
Schlange verwandelt. Du wirst meiner Justiz nicht wie der des Amtmanns
entschlüpfen, es giebt keine Protection, die Dich gegen mich vertheidigt. Ich
habe Dich geküßt, jetzt mußt Du mich küssen. — Bedienten, schrie der Mar¬
quis, den der Zorn die Gefahr, in der er vorgeblich schwebte, vergessen ließ,
führt diesen Menschen in den Hof, man gebe ihm hundert Peitschenhiebe, ich
will ihn hier schreien hören. — Gut, sagte mein Onkel; aber in zehn Minu¬
ten ist die Operation unmöglich geworden, und in einer Stunde sind Sie
todt. — El kann ich denn nicht durch meinen Läufer einen Chirurgen in
Varzy holen lassen? — Wenn Ihr Läufer den Chirurgen zu Hause trifft, so
kommt dieser gerade recht, um Sie sterben zu sehen und der Frau Marquise
seinen Betstand zu widmen. — Aber Sie können unmöglich so unbeugsam
bleiben, sagte die Marquise. Gewährt es nicht ein größeres Vergnügen, zu
verzeihen, als sich zu rächen? — O Madame, erwiderte Benjamin, indem er
sich mit Anmuth verbeugte, ich bitte Sie zu glauben, daß ich, wenn mir von
Ihnen eine solche Beleidigung zugefügt worden wäre, keine Rachegedanken
gegen Sie hegen würde. — Frau von Kambyses lächelte, und da sie einsah,
daß mit meinem Onkel nichts anzufangen war, redete sie selbst ihrem Gemahl
zu, sich der Nothwendigkeit zu fügen. Der Marquis, von der Angst über¬
wältigt, winkte zwei Bedienten, die im Zimmer waren, zu, sich zu entfernen.
— Bei Leibe nicht, sagte der unerbittliche Benjamin. So haben wir nicht
gewettet. Bedienten, ihr sagt im Gegentheil den Leuten des Herrn von Kam¬
byses in seinem Namen, daß sie sich stracks hierher zu verfügen haben. Sie
waren Zeugen der Beleidigung, sie müssen Zeugen auch der Genugthuung
sein. Die Frau Marquise allein hat das Recht, sich zu entfernen. — Der
Marquis warf einen Blick auf die Uhr und sah, daß er nur noch drei Minu-
ten habe. Da keiner der Bedienten sich näherte, sagte er: Geht doch rasch
und vollführt die Befehle des Herrn Rathery. Seht Ihr denn nicht, daß er
allein hier für den Augenblick Gebieter ist? — Die Bedienten erschienen, einer
nach dem anderen. Nur der Haushofmeister fehlte noch. Aber Benjamin
wollte mit unerschütterlicher Strenge nicht eher anfangen, bis auch dieser zu¬
gegen war. Dann--— Gut, sagte Benjamin, jetzt sind wir quitt, und
Alles ist vergessen. Nun will ich mich gewissenhaft Ihres Halses annehmen.
Er zog die Gräte flink heraus und gab sie dem Marquis in die Hand. Wäh¬
rend dieser sie neugierig betrachtete, sagte Benjamin: Ich muß Ihnen frische
Luft geben. Er öffnete ein Fenster, sprang in den Hof und war mit zwei
oder drei Sätzen seiner langen Beine am Schloßthor. Während er den Berg


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[0236] Schulden rasch bezahlt. Glaubst Du, es genügt, wenn man einen Mann von Ehre beschimpft hat, zuzugeben, daß man Unrecht gehabt? Nein, Du mußt Dich dem Rechte der Wiedervergeltung unterwerfen. Der Schwache von gestern ist zum Starken von heute geworden, der Wurm hat sich in eine Schlange verwandelt. Du wirst meiner Justiz nicht wie der des Amtmanns entschlüpfen, es giebt keine Protection, die Dich gegen mich vertheidigt. Ich habe Dich geküßt, jetzt mußt Du mich küssen. — Bedienten, schrie der Mar¬ quis, den der Zorn die Gefahr, in der er vorgeblich schwebte, vergessen ließ, führt diesen Menschen in den Hof, man gebe ihm hundert Peitschenhiebe, ich will ihn hier schreien hören. — Gut, sagte mein Onkel; aber in zehn Minu¬ ten ist die Operation unmöglich geworden, und in einer Stunde sind Sie todt. — El kann ich denn nicht durch meinen Läufer einen Chirurgen in Varzy holen lassen? — Wenn Ihr Läufer den Chirurgen zu Hause trifft, so kommt dieser gerade recht, um Sie sterben zu sehen und der Frau Marquise seinen Betstand zu widmen. — Aber Sie können unmöglich so unbeugsam bleiben, sagte die Marquise. Gewährt es nicht ein größeres Vergnügen, zu verzeihen, als sich zu rächen? — O Madame, erwiderte Benjamin, indem er sich mit Anmuth verbeugte, ich bitte Sie zu glauben, daß ich, wenn mir von Ihnen eine solche Beleidigung zugefügt worden wäre, keine Rachegedanken gegen Sie hegen würde. — Frau von Kambyses lächelte, und da sie einsah, daß mit meinem Onkel nichts anzufangen war, redete sie selbst ihrem Gemahl zu, sich der Nothwendigkeit zu fügen. Der Marquis, von der Angst über¬ wältigt, winkte zwei Bedienten, die im Zimmer waren, zu, sich zu entfernen. — Bei Leibe nicht, sagte der unerbittliche Benjamin. So haben wir nicht gewettet. Bedienten, ihr sagt im Gegentheil den Leuten des Herrn von Kam¬ byses in seinem Namen, daß sie sich stracks hierher zu verfügen haben. Sie waren Zeugen der Beleidigung, sie müssen Zeugen auch der Genugthuung sein. Die Frau Marquise allein hat das Recht, sich zu entfernen. — Der Marquis warf einen Blick auf die Uhr und sah, daß er nur noch drei Minu- ten habe. Da keiner der Bedienten sich näherte, sagte er: Geht doch rasch und vollführt die Befehle des Herrn Rathery. Seht Ihr denn nicht, daß er allein hier für den Augenblick Gebieter ist? — Die Bedienten erschienen, einer nach dem anderen. Nur der Haushofmeister fehlte noch. Aber Benjamin wollte mit unerschütterlicher Strenge nicht eher anfangen, bis auch dieser zu¬ gegen war. Dann--— Gut, sagte Benjamin, jetzt sind wir quitt, und Alles ist vergessen. Nun will ich mich gewissenhaft Ihres Halses annehmen. Er zog die Gräte flink heraus und gab sie dem Marquis in die Hand. Wäh¬ rend dieser sie neugierig betrachtete, sagte Benjamin: Ich muß Ihnen frische Luft geben. Er öffnete ein Fenster, sprang in den Hof und war mit zwei oder drei Sätzen seiner langen Beine am Schloßthor. Während er den Berg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/236>, abgerufen am 24.08.2024.