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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Ache Weise erkannt-, als er am Speisesaale vorbeiging, dessen Thür offen stand,
sah er auf dem Tische einen Salmen, dem nur das Schwanzstück fehlte. --
Wir haben nie gehört, stotterte der Marquis mit einer vor Schreck zitternden
Stimme, daß die Salmengräten giftig seien. -- Das hindert nicht, daß sie es
sind, und zwar sehr giftig, sagte Benjamin, und es sollte mir leid thun, wenn
die Frau Marquise daran zweifelte, weil ich genöthigt wäre, ihr zu wider¬
sprechen. Die Gräten des Salmen enthalten wie die Blätter des Manzanil-
lenbaums einen so scharfen und ätzenden Saft, daß diese Gräte, wenn sie eine
halbe Stunde länger im Schlunde des Herrn Marquis bliebe, eine Entzün¬
dung verursachen würde, deren ich nicht Herr werden könnte. -- Nun dann
"Periren Sie doch unverzüglich, Doctor, ich bitte Sie, sagte der Marquis mehr
und mehr erschrocken. -- Einen Augenblick, erwiderte mein Onkel, die Sache
geht nicht so schnell, als Sie wünschen. Es ist vorher eine kleine Formalität
in erfüllen. -- Nun so erfüllen Sie sie schnell, und fangen Sie an. -- Diese
Formalität geht Sie an, Sie allein können sie erfüllen. -- So sag mir wenig¬
stens, Du Unglückschirurg, worin sie besteht. Willst Du mich hier aus
Mangel an Beistand umkommen lassen? -- Ich nehme Anstand, fuhr Ben¬
jamin langsam fort. Wie soll ich einen solchen Antrag einem Marquis stel¬
len, einem Mann, der in gerader Linie von Kambyses, König von Aegypten
abstammt? -- Ich glaube, Elender, daß Du meine Lage benutzest, um Dich
über mich lustig zu machen! -- Nicht im Geringsten, antwortete Benjamin
kalt. Erinnern Sie sich eines Mannes, den Sie vor drei Monaten von
Ihren Schergen auf Ihr Schloß schleifen ließen, weil er Sie nicht gegrüßt
hatte, und dem Sie den blutigsten Schimpf zufügten, den ein Mensch dem
andern zufügen kann? -- Ein Mann, von dem ich mich -- küssen ließ. Wahr¬
haftig, das bist Du. Ich erkenne Dich in Deinen sechs Fuß drei Zoll. --
Nun denn, dieser Mann von sechs Fuß drei Zoll, dieser Mensch, den Sie
für ein Jnsect ansahen, für ein Ständchen unter Ihren Füßen, verlangt jetzt
Genugthuung für die Beleidigung, die Sie ihm angethan. -- Mein Gott,
^es bin ja gern bereit; sag nur, wie hoch Du Deine Ehre anschlägst, ve-
stimme die Summe, und ich lasse Dir sie sogleich auszahlen. -- Glaubst Du
denn, Marquis von Kambyses. Du seiest reich genug, um die Ehre eines
rechtschaffenen Mannes zu bezahlen? Hältst Du mich für einen Rechtsver¬
dreher, meinst Du, ich lasse mich für Geld beschimpfen? Nein, eine Ehren¬
genugthuung muß ich haben, hörst Du. Marquis von Kambyses, eine Ehren¬
genugthuung. -- Gut, es soll geschehen, sagte der Marquis, dessen Blicke an
den Zeigern der Uhr hingen, und der mit Schrecken die verhängnißvolle halbe
Stunde enteilen sah. Ich will vor der Frau Marquise erklären, ich will
wenn Sie wünschen, schriftlich erklären, daß Sie ein Ehrenmann sind, und
daß ich Unrecht hatte, Sie zu beleidigen. -- Der Tausend, Du hast Deine


Ache Weise erkannt-, als er am Speisesaale vorbeiging, dessen Thür offen stand,
sah er auf dem Tische einen Salmen, dem nur das Schwanzstück fehlte. —
Wir haben nie gehört, stotterte der Marquis mit einer vor Schreck zitternden
Stimme, daß die Salmengräten giftig seien. — Das hindert nicht, daß sie es
sind, und zwar sehr giftig, sagte Benjamin, und es sollte mir leid thun, wenn
die Frau Marquise daran zweifelte, weil ich genöthigt wäre, ihr zu wider¬
sprechen. Die Gräten des Salmen enthalten wie die Blätter des Manzanil-
lenbaums einen so scharfen und ätzenden Saft, daß diese Gräte, wenn sie eine
halbe Stunde länger im Schlunde des Herrn Marquis bliebe, eine Entzün¬
dung verursachen würde, deren ich nicht Herr werden könnte. — Nun dann
«Periren Sie doch unverzüglich, Doctor, ich bitte Sie, sagte der Marquis mehr
und mehr erschrocken. — Einen Augenblick, erwiderte mein Onkel, die Sache
geht nicht so schnell, als Sie wünschen. Es ist vorher eine kleine Formalität
in erfüllen. — Nun so erfüllen Sie sie schnell, und fangen Sie an. — Diese
Formalität geht Sie an, Sie allein können sie erfüllen. — So sag mir wenig¬
stens, Du Unglückschirurg, worin sie besteht. Willst Du mich hier aus
Mangel an Beistand umkommen lassen? — Ich nehme Anstand, fuhr Ben¬
jamin langsam fort. Wie soll ich einen solchen Antrag einem Marquis stel¬
len, einem Mann, der in gerader Linie von Kambyses, König von Aegypten
abstammt? — Ich glaube, Elender, daß Du meine Lage benutzest, um Dich
über mich lustig zu machen! — Nicht im Geringsten, antwortete Benjamin
kalt. Erinnern Sie sich eines Mannes, den Sie vor drei Monaten von
Ihren Schergen auf Ihr Schloß schleifen ließen, weil er Sie nicht gegrüßt
hatte, und dem Sie den blutigsten Schimpf zufügten, den ein Mensch dem
andern zufügen kann? — Ein Mann, von dem ich mich — küssen ließ. Wahr¬
haftig, das bist Du. Ich erkenne Dich in Deinen sechs Fuß drei Zoll. —
Nun denn, dieser Mann von sechs Fuß drei Zoll, dieser Mensch, den Sie
für ein Jnsect ansahen, für ein Ständchen unter Ihren Füßen, verlangt jetzt
Genugthuung für die Beleidigung, die Sie ihm angethan. — Mein Gott,
^es bin ja gern bereit; sag nur, wie hoch Du Deine Ehre anschlägst, ve-
stimme die Summe, und ich lasse Dir sie sogleich auszahlen. — Glaubst Du
denn, Marquis von Kambyses. Du seiest reich genug, um die Ehre eines
rechtschaffenen Mannes zu bezahlen? Hältst Du mich für einen Rechtsver¬
dreher, meinst Du, ich lasse mich für Geld beschimpfen? Nein, eine Ehren¬
genugthuung muß ich haben, hörst Du. Marquis von Kambyses, eine Ehren¬
genugthuung. — Gut, es soll geschehen, sagte der Marquis, dessen Blicke an
den Zeigern der Uhr hingen, und der mit Schrecken die verhängnißvolle halbe
Stunde enteilen sah. Ich will vor der Frau Marquise erklären, ich will
wenn Sie wünschen, schriftlich erklären, daß Sie ein Ehrenmann sind, und
daß ich Unrecht hatte, Sie zu beleidigen. — Der Tausend, Du hast Deine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/235>, abgerufen am 02.10.2024.