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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Agamemnon und Achilles dieser angehenden Ilias begreiflich macht, daß die
Sache Schwierigketten hat, und daß die Erstürmung der Burg des bösen
Kambyses ohne Zweifel eine schöne Waffenthat sein, aber schwerlich mit dem
Kreuz des heiligen Ludwig belohnt werden, vielmehr höchst wahrscheinlich den
Helden ein paar Jahre Galeerenstrafe eintragen werde. Nach einigem
Sträuben, namentlich von Seiten Minxit's, der an dem schlimmen Junker
eine persönliche Beleidigung zu rächen hat, da er ihm einmal Pferdeurin zum
Beschauen geschickt hat, geben die beiden Doctoren dem Lande den Frieden
wieder. Benjamin aber legt sich aus die Lauer nach einer Gelegenheit, dem
Marquis seinen Streich heimzuzahlen. So endigt dieser große Feldzug.
"Er kostete der Menschheit wenig Blut, wohl aber dem Herrn Minrit
viel Wein."

Das folgende Kapitel erzählt uns die Rache Benjamin's. Eines Freitags
verkleidet er sich, läßt seinen Degen schleifen und zieht dann aus, dem Mar¬
quis aufzupassen. Er schlägt sein Hauptquartier in einer Schenke, nicht weit
vom Schlosse des Herrn von Kambyses auf, das er mit einem Fernrohr be¬
obachtet. Mehrere Tage will nichts passiren. Endlich bricht der Wirth das
Bein, und Benjamin richtet es ihm geschickt wieder ein, wobei zwei Lakaien
des Marquis zugegen sind, die eben in der Schenke trinken. Eine Stunde
später kommt ein Bedienter im Galopp vom Schlosse herabgejagt, fragt,
ob der Doctor noch da, wird zu ihm geführt und bittet mit unter-
thänigen Bückling, dem Herrn von Kambyses, der eine Gräte verschluckt,
seinen Beistand zu gewähren. Benjamin folgt dem Diener und wird in
das Zimmer des Marquis geführt. "Herr von Kambyses saß in einem Lehn¬
sessel, die Ellbogen auf den Knien und schien im höchsten Grade beunruhigt.
Die Marquise, eine hübsche Brünette von fünfundzwanzig Jahren, stand
neben ihm und suchte ihn zu trösten. Beim Eintreten meines Onkels hob
der Marquis den Kopf und sagte: Ich habe beim Essen eine Gräte ver¬
schluckt, die mir nun im Gaumen steckt. Ich erfuhr, daß Sie im Dorfe seien,
und ließ sie, obwohl ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, rufen, in der
Ueberzeugung, daß Sie mir Ihre Hülfe nicht versagen werden. -- Benjamin
untersuchte den Hals des Kranken und schüttelte 'den Kopf mit bedenklicher
Miene. Der Marquis erblaßte. Was ist denn? fragte er. Wäre das Uebel
noch schlimmer, als wir glaubten? -- Ich weiß nicht, was Sie geglaubt haben,
antwortete Benjamin mit feierlicher Stimme; aber das Uebel wäre in der
That sehr schlimm, wenn man nicht alsbald die nöthigen Mittel ergriffe, um
es zu bewältigen. Sie haben eine Salmengräte verschluckt, und zwar eine
vom Schwänze, da, wo sie am giftigsten sind. -- Das ist wahr, sagte die
Marquise verwundert, aber wie haben Sie das entdeckt. -- Durch Besichti¬
gung des Halses, Madame. -- In Wirklichkeit hatte er dieß auf ganz natur-


Agamemnon und Achilles dieser angehenden Ilias begreiflich macht, daß die
Sache Schwierigketten hat, und daß die Erstürmung der Burg des bösen
Kambyses ohne Zweifel eine schöne Waffenthat sein, aber schwerlich mit dem
Kreuz des heiligen Ludwig belohnt werden, vielmehr höchst wahrscheinlich den
Helden ein paar Jahre Galeerenstrafe eintragen werde. Nach einigem
Sträuben, namentlich von Seiten Minxit's, der an dem schlimmen Junker
eine persönliche Beleidigung zu rächen hat, da er ihm einmal Pferdeurin zum
Beschauen geschickt hat, geben die beiden Doctoren dem Lande den Frieden
wieder. Benjamin aber legt sich aus die Lauer nach einer Gelegenheit, dem
Marquis seinen Streich heimzuzahlen. So endigt dieser große Feldzug.
„Er kostete der Menschheit wenig Blut, wohl aber dem Herrn Minrit
viel Wein."

Das folgende Kapitel erzählt uns die Rache Benjamin's. Eines Freitags
verkleidet er sich, läßt seinen Degen schleifen und zieht dann aus, dem Mar¬
quis aufzupassen. Er schlägt sein Hauptquartier in einer Schenke, nicht weit
vom Schlosse des Herrn von Kambyses auf, das er mit einem Fernrohr be¬
obachtet. Mehrere Tage will nichts passiren. Endlich bricht der Wirth das
Bein, und Benjamin richtet es ihm geschickt wieder ein, wobei zwei Lakaien
des Marquis zugegen sind, die eben in der Schenke trinken. Eine Stunde
später kommt ein Bedienter im Galopp vom Schlosse herabgejagt, fragt,
ob der Doctor noch da, wird zu ihm geführt und bittet mit unter-
thänigen Bückling, dem Herrn von Kambyses, der eine Gräte verschluckt,
seinen Beistand zu gewähren. Benjamin folgt dem Diener und wird in
das Zimmer des Marquis geführt. „Herr von Kambyses saß in einem Lehn¬
sessel, die Ellbogen auf den Knien und schien im höchsten Grade beunruhigt.
Die Marquise, eine hübsche Brünette von fünfundzwanzig Jahren, stand
neben ihm und suchte ihn zu trösten. Beim Eintreten meines Onkels hob
der Marquis den Kopf und sagte: Ich habe beim Essen eine Gräte ver¬
schluckt, die mir nun im Gaumen steckt. Ich erfuhr, daß Sie im Dorfe seien,
und ließ sie, obwohl ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, rufen, in der
Ueberzeugung, daß Sie mir Ihre Hülfe nicht versagen werden. — Benjamin
untersuchte den Hals des Kranken und schüttelte 'den Kopf mit bedenklicher
Miene. Der Marquis erblaßte. Was ist denn? fragte er. Wäre das Uebel
noch schlimmer, als wir glaubten? — Ich weiß nicht, was Sie geglaubt haben,
antwortete Benjamin mit feierlicher Stimme; aber das Uebel wäre in der
That sehr schlimm, wenn man nicht alsbald die nöthigen Mittel ergriffe, um
es zu bewältigen. Sie haben eine Salmengräte verschluckt, und zwar eine
vom Schwänze, da, wo sie am giftigsten sind. — Das ist wahr, sagte die
Marquise verwundert, aber wie haben Sie das entdeckt. — Durch Besichti¬
gung des Halses, Madame. — In Wirklichkeit hatte er dieß auf ganz natur-


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[0234] Agamemnon und Achilles dieser angehenden Ilias begreiflich macht, daß die Sache Schwierigketten hat, und daß die Erstürmung der Burg des bösen Kambyses ohne Zweifel eine schöne Waffenthat sein, aber schwerlich mit dem Kreuz des heiligen Ludwig belohnt werden, vielmehr höchst wahrscheinlich den Helden ein paar Jahre Galeerenstrafe eintragen werde. Nach einigem Sträuben, namentlich von Seiten Minxit's, der an dem schlimmen Junker eine persönliche Beleidigung zu rächen hat, da er ihm einmal Pferdeurin zum Beschauen geschickt hat, geben die beiden Doctoren dem Lande den Frieden wieder. Benjamin aber legt sich aus die Lauer nach einer Gelegenheit, dem Marquis seinen Streich heimzuzahlen. So endigt dieser große Feldzug. „Er kostete der Menschheit wenig Blut, wohl aber dem Herrn Minrit viel Wein." Das folgende Kapitel erzählt uns die Rache Benjamin's. Eines Freitags verkleidet er sich, läßt seinen Degen schleifen und zieht dann aus, dem Mar¬ quis aufzupassen. Er schlägt sein Hauptquartier in einer Schenke, nicht weit vom Schlosse des Herrn von Kambyses auf, das er mit einem Fernrohr be¬ obachtet. Mehrere Tage will nichts passiren. Endlich bricht der Wirth das Bein, und Benjamin richtet es ihm geschickt wieder ein, wobei zwei Lakaien des Marquis zugegen sind, die eben in der Schenke trinken. Eine Stunde später kommt ein Bedienter im Galopp vom Schlosse herabgejagt, fragt, ob der Doctor noch da, wird zu ihm geführt und bittet mit unter- thänigen Bückling, dem Herrn von Kambyses, der eine Gräte verschluckt, seinen Beistand zu gewähren. Benjamin folgt dem Diener und wird in das Zimmer des Marquis geführt. „Herr von Kambyses saß in einem Lehn¬ sessel, die Ellbogen auf den Knien und schien im höchsten Grade beunruhigt. Die Marquise, eine hübsche Brünette von fünfundzwanzig Jahren, stand neben ihm und suchte ihn zu trösten. Beim Eintreten meines Onkels hob der Marquis den Kopf und sagte: Ich habe beim Essen eine Gräte ver¬ schluckt, die mir nun im Gaumen steckt. Ich erfuhr, daß Sie im Dorfe seien, und ließ sie, obwohl ich nicht die Ehre habe, Sie zu kennen, rufen, in der Ueberzeugung, daß Sie mir Ihre Hülfe nicht versagen werden. — Benjamin untersuchte den Hals des Kranken und schüttelte 'den Kopf mit bedenklicher Miene. Der Marquis erblaßte. Was ist denn? fragte er. Wäre das Uebel noch schlimmer, als wir glaubten? — Ich weiß nicht, was Sie geglaubt haben, antwortete Benjamin mit feierlicher Stimme; aber das Uebel wäre in der That sehr schlimm, wenn man nicht alsbald die nöthigen Mittel ergriffe, um es zu bewältigen. Sie haben eine Salmengräte verschluckt, und zwar eine vom Schwänze, da, wo sie am giftigsten sind. — Das ist wahr, sagte die Marquise verwundert, aber wie haben Sie das entdeckt. — Durch Besichti¬ gung des Halses, Madame. — In Wirklichkeit hatte er dieß auf ganz natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/234>, abgerufen am 27.09.2024.