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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Und dazu kam noch ein anderer Umstand. Der Graf von Tirol, Herzog
Sigismund von Vorderöfterreich, hatte früher das Bündniß Karl des Kühnen
gegen die Schweizer gesucht und ihm, wie schon erwähnt, um geringe Summen
die österreichischen Besitzungen im Elsaß und in Helvetien verpfändet. Aber
seit auf der Zusammenkunft des Herzogs von Burgund mit dem deutschen
Kaiser zu Trier der beleidigende Uebermuth Karl's ihn in ein unfreundliches
Verhältniß zum Hause Habsburg gebracht und er durch seinen Statthalter
Peter von Hagenbach das Elsaß in wahrhaft empörender Weise knechten
ließ, da war keine Aussicht mehr, daß Burgund jemals freiwillig das Elsaß
herausgeben werde. Die österreichischen Lande in Schwaben und Elsaß und
die schweizerischen Eidgenossen mußten unter solchen Umständen in Karl dem
Kühnen einen gemeinsamen Feind erkennen, und die alten Erbfeinde
sahen sich plötzlich durch gleiches Interesse verbunden. Diese Sachlage benutzte
der kluge französische König, indem er im April 1474 zu Constanz einen
Vergleich zwischen Oesterreich und der Eidgenossenschaft herbeiführte, welcher
unter dem Namen der "ewigen Richtung" alle Streitigkeiten schlichtete und
die alten Gegner untereinander, sowie mit dem sogenannten "Niedern Ver¬
eine" verband, welchen Basel, Straßburg, Colmar und Schlettstadt bildeten*).
Louis selbst aber schloß ebenfalls mit den acht Schweizerorten sammt den
Städten Freiburg und Solothurn ein Schutz- und Trutzbündniß, welches in
der französischen Geschichte unter dem Namen des ersten Substdientractateö
bekannt ist.**) Der König verpflichtete sich darin, den Eidgenossen in allen
Kriegen gegen Karl den Kühnen auf seine Kosten beizustehn und jährlich zu
Lyon die Summe von 20,000 Francs an seine Bundesgenossen auszuzahlen,
um sie unter sich zu vertheilen ; dagegen machten sich die Schweizer anheischig,
so viel Mannschaft, als sie könnten, zur Verfügung des Königs zu stellen,
jedoch stets auf dessen Kosten. Später ward die Stärke des Corps, welches
zur Disposition Frankreichs sein sollte, auf 6000 Mann festgesetzt.

Seltsamerweise beging nun Karl der Kühne den Fehler, statt seine ge¬
sammelten bedeutenden Streitkräfte auf die gemeinschaftliche große Unter¬
nehmung mit England zu "ersparen, dieselben vielmehr in den Streitigkeiten
des Kölner Erzstifts zu paralystren und sich dadurch nicht nur die Heeresmacht
des deutschen Reiches auf den Hals zu ziehn, sondern in einem Augenblick
sehr bedenklicher politischer Umstände auch seine südlichen Provinzen fast ganz
zu entblößen. -- Der Papst nämlich hatte den Pfalzgrafen Ruprecht zum




-) Ich erinnere an dieser Stelle an den früher in den "Grenzboten" (1874. III.) erschienene"
interessanten Aufsatz von H. Schmölle: "Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte
zeitgenössischer Dichtung", welcher die wichtigsten histor. Volkslieder von dem Abschluß der
"ewigen Richtung" ein in belehrender Weise aneinanderreiht.
'
) Der geheime Abschluß erfolgte schon am 2. Jan. 1474,

Und dazu kam noch ein anderer Umstand. Der Graf von Tirol, Herzog
Sigismund von Vorderöfterreich, hatte früher das Bündniß Karl des Kühnen
gegen die Schweizer gesucht und ihm, wie schon erwähnt, um geringe Summen
die österreichischen Besitzungen im Elsaß und in Helvetien verpfändet. Aber
seit auf der Zusammenkunft des Herzogs von Burgund mit dem deutschen
Kaiser zu Trier der beleidigende Uebermuth Karl's ihn in ein unfreundliches
Verhältniß zum Hause Habsburg gebracht und er durch seinen Statthalter
Peter von Hagenbach das Elsaß in wahrhaft empörender Weise knechten
ließ, da war keine Aussicht mehr, daß Burgund jemals freiwillig das Elsaß
herausgeben werde. Die österreichischen Lande in Schwaben und Elsaß und
die schweizerischen Eidgenossen mußten unter solchen Umständen in Karl dem
Kühnen einen gemeinsamen Feind erkennen, und die alten Erbfeinde
sahen sich plötzlich durch gleiches Interesse verbunden. Diese Sachlage benutzte
der kluge französische König, indem er im April 1474 zu Constanz einen
Vergleich zwischen Oesterreich und der Eidgenossenschaft herbeiführte, welcher
unter dem Namen der „ewigen Richtung" alle Streitigkeiten schlichtete und
die alten Gegner untereinander, sowie mit dem sogenannten „Niedern Ver¬
eine" verband, welchen Basel, Straßburg, Colmar und Schlettstadt bildeten*).
Louis selbst aber schloß ebenfalls mit den acht Schweizerorten sammt den
Städten Freiburg und Solothurn ein Schutz- und Trutzbündniß, welches in
der französischen Geschichte unter dem Namen des ersten Substdientractateö
bekannt ist.**) Der König verpflichtete sich darin, den Eidgenossen in allen
Kriegen gegen Karl den Kühnen auf seine Kosten beizustehn und jährlich zu
Lyon die Summe von 20,000 Francs an seine Bundesgenossen auszuzahlen,
um sie unter sich zu vertheilen ; dagegen machten sich die Schweizer anheischig,
so viel Mannschaft, als sie könnten, zur Verfügung des Königs zu stellen,
jedoch stets auf dessen Kosten. Später ward die Stärke des Corps, welches
zur Disposition Frankreichs sein sollte, auf 6000 Mann festgesetzt.

Seltsamerweise beging nun Karl der Kühne den Fehler, statt seine ge¬
sammelten bedeutenden Streitkräfte auf die gemeinschaftliche große Unter¬
nehmung mit England zu »ersparen, dieselben vielmehr in den Streitigkeiten
des Kölner Erzstifts zu paralystren und sich dadurch nicht nur die Heeresmacht
des deutschen Reiches auf den Hals zu ziehn, sondern in einem Augenblick
sehr bedenklicher politischer Umstände auch seine südlichen Provinzen fast ganz
zu entblößen. — Der Papst nämlich hatte den Pfalzgrafen Ruprecht zum




-) Ich erinnere an dieser Stelle an den früher in den „Grenzboten" (1874. III.) erschienene»
interessanten Aufsatz von H. Schmölle: „Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte
zeitgenössischer Dichtung", welcher die wichtigsten histor. Volkslieder von dem Abschluß der
„ewigen Richtung" ein in belehrender Weise aneinanderreiht.
'
) Der geheime Abschluß erfolgte schon am 2. Jan. 1474,
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[0023] Und dazu kam noch ein anderer Umstand. Der Graf von Tirol, Herzog Sigismund von Vorderöfterreich, hatte früher das Bündniß Karl des Kühnen gegen die Schweizer gesucht und ihm, wie schon erwähnt, um geringe Summen die österreichischen Besitzungen im Elsaß und in Helvetien verpfändet. Aber seit auf der Zusammenkunft des Herzogs von Burgund mit dem deutschen Kaiser zu Trier der beleidigende Uebermuth Karl's ihn in ein unfreundliches Verhältniß zum Hause Habsburg gebracht und er durch seinen Statthalter Peter von Hagenbach das Elsaß in wahrhaft empörender Weise knechten ließ, da war keine Aussicht mehr, daß Burgund jemals freiwillig das Elsaß herausgeben werde. Die österreichischen Lande in Schwaben und Elsaß und die schweizerischen Eidgenossen mußten unter solchen Umständen in Karl dem Kühnen einen gemeinsamen Feind erkennen, und die alten Erbfeinde sahen sich plötzlich durch gleiches Interesse verbunden. Diese Sachlage benutzte der kluge französische König, indem er im April 1474 zu Constanz einen Vergleich zwischen Oesterreich und der Eidgenossenschaft herbeiführte, welcher unter dem Namen der „ewigen Richtung" alle Streitigkeiten schlichtete und die alten Gegner untereinander, sowie mit dem sogenannten „Niedern Ver¬ eine" verband, welchen Basel, Straßburg, Colmar und Schlettstadt bildeten*). Louis selbst aber schloß ebenfalls mit den acht Schweizerorten sammt den Städten Freiburg und Solothurn ein Schutz- und Trutzbündniß, welches in der französischen Geschichte unter dem Namen des ersten Substdientractateö bekannt ist.**) Der König verpflichtete sich darin, den Eidgenossen in allen Kriegen gegen Karl den Kühnen auf seine Kosten beizustehn und jährlich zu Lyon die Summe von 20,000 Francs an seine Bundesgenossen auszuzahlen, um sie unter sich zu vertheilen ; dagegen machten sich die Schweizer anheischig, so viel Mannschaft, als sie könnten, zur Verfügung des Königs zu stellen, jedoch stets auf dessen Kosten. Später ward die Stärke des Corps, welches zur Disposition Frankreichs sein sollte, auf 6000 Mann festgesetzt. Seltsamerweise beging nun Karl der Kühne den Fehler, statt seine ge¬ sammelten bedeutenden Streitkräfte auf die gemeinschaftliche große Unter¬ nehmung mit England zu »ersparen, dieselben vielmehr in den Streitigkeiten des Kölner Erzstifts zu paralystren und sich dadurch nicht nur die Heeresmacht des deutschen Reiches auf den Hals zu ziehn, sondern in einem Augenblick sehr bedenklicher politischer Umstände auch seine südlichen Provinzen fast ganz zu entblößen. — Der Papst nämlich hatte den Pfalzgrafen Ruprecht zum -) Ich erinnere an dieser Stelle an den früher in den „Grenzboten" (1874. III.) erschienene» interessanten Aufsatz von H. Schmölle: „Die Kämpfe der Schweizer gegen Burgund im Lichte zeitgenössischer Dichtung", welcher die wichtigsten histor. Volkslieder von dem Abschluß der „ewigen Richtung" ein in belehrender Weise aneinanderreiht. ' ) Der geheime Abschluß erfolgte schon am 2. Jan. 1474,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/23>, abgerufen am 26.09.2024.