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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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so suchte er sich dadurch zu helfen, daß er beim Anfange der Herbstferien sich
ins väterliche Haus nach Neuses flüchtete, woselbst er in der Regel eine Er¬
leichterung seiner Beschwerden fand. Bei dieser Gelegenheit pflegte er dann
auch bei seinen Verwandten in Jena eine Zeit lang zuzubringen. Seine alte
Anhänglichkeit an Jena verlor sich überhaupt in Breslau eben so wenig, als
die an Kovurg und Erlangen. Dieses waren die Orte, wohin sich sein Herz
immer am meisten gezogen fühlte. In dieser Weise fuhr er zu leben fort bis
ein Jahr nach seines Vaters Tode.

Der Vater starb im Januar 1866. Heinrich eilte auf die Nachricht, daß
sein Tod herannahe, von Breslau herbei, traf ihn aber nicht mehr am Leben.
Nach dem Tode des Vaters besorgte er die Gesammtausgabe seiner Werke,
Welche in Frankfurt im Verlage von I. D. Sauerländer erschienen ist. Außer¬
dem übergab er der Oeffentlichkeit einen Band Lieder und Sprüche aus des
Baders letzten Lebensjahren, dazu drei Uebersetzungen, welche sich als voll¬
ständig vollendete Manuscripte im väterlichen Nachlasse vorfanden: die Idyl¬
len des Theokrit, die Sakuntala des Kalidasa und die Vögel des Aristo-
phanes. Nachdem er später noch eine Herausgabe der überaus zarten Kinder-
Todtenlieder seines Vaters besorgt hatte, gelang es ihm auch noch zu seiner
großen Befriedigung, den reichen Nachlaß väterlicher Bücher und Manuscripte
in einen Verwahrsam zu bringen, wo sie der Benutzung Sprachgelehrter zum
wissenschaftlichen Gebrauche am besten zugänglich geworden sind. Zu einem
solchen Zwecke gab es keinen besseren Platz, als die königliche Bibliothek in
Berlin, welche dieselben als einen werthvollen Schatz angekauft und ihren
übrigen Schätzen einverleibt hat. Rückert brachte schon den Sommer nach
des Vaters Tode auf Urlaub in Neuses zu, um die Bibliothek und die Manu¬
skripte zu ordnen. Aber erst wenige Tage vor seinem eigenen Hinscheiden ge¬
schah die Uebersiedelung, nachdem er das Jahr zuvor Alles fertig zum Ein¬
packen hergerichtet hatte.

Von nun an fand er zur Kräftigung seiner Gesundheit es gerathen, den
Ferienaufenthalt in Neuses mit einem solchen in näher bet Breslau gelegenen
Orten von gesundem Klima zu vertauschen. So fand er eine Reihe von
Jahren hindurch einen stillen und gemüthlichen Herbstaufenthalt in Gnaden-
srei. dem Wohnort einer Herrenhutischen Brüdergemeinde. Außer der ihm
zusagenden Höhenluft fühlte er sich hier zugleich angezogen von dem harmo¬
nischen Stillleben dieser Kreise. welches sich dadurch so geschickt vor Verdum-
pfung und Verknöcherung zu bewahren weiß, daß die verschiedenen Gemein¬
den beständig mit einander in einem lebhaften überseeischen Verkehr stehen,
und dabei die ganze bei ihnen eingeführte Lebensart dazu beiträgt, daß die
Schroffheit der Ständeunterschiede hier in sehr gemilderter Form auftritt, und


Grenzboten I. 1876. 28

so suchte er sich dadurch zu helfen, daß er beim Anfange der Herbstferien sich
ins väterliche Haus nach Neuses flüchtete, woselbst er in der Regel eine Er¬
leichterung seiner Beschwerden fand. Bei dieser Gelegenheit pflegte er dann
auch bei seinen Verwandten in Jena eine Zeit lang zuzubringen. Seine alte
Anhänglichkeit an Jena verlor sich überhaupt in Breslau eben so wenig, als
die an Kovurg und Erlangen. Dieses waren die Orte, wohin sich sein Herz
immer am meisten gezogen fühlte. In dieser Weise fuhr er zu leben fort bis
ein Jahr nach seines Vaters Tode.

Der Vater starb im Januar 1866. Heinrich eilte auf die Nachricht, daß
sein Tod herannahe, von Breslau herbei, traf ihn aber nicht mehr am Leben.
Nach dem Tode des Vaters besorgte er die Gesammtausgabe seiner Werke,
Welche in Frankfurt im Verlage von I. D. Sauerländer erschienen ist. Außer¬
dem übergab er der Oeffentlichkeit einen Band Lieder und Sprüche aus des
Baders letzten Lebensjahren, dazu drei Uebersetzungen, welche sich als voll¬
ständig vollendete Manuscripte im väterlichen Nachlasse vorfanden: die Idyl¬
len des Theokrit, die Sakuntala des Kalidasa und die Vögel des Aristo-
phanes. Nachdem er später noch eine Herausgabe der überaus zarten Kinder-
Todtenlieder seines Vaters besorgt hatte, gelang es ihm auch noch zu seiner
großen Befriedigung, den reichen Nachlaß väterlicher Bücher und Manuscripte
in einen Verwahrsam zu bringen, wo sie der Benutzung Sprachgelehrter zum
wissenschaftlichen Gebrauche am besten zugänglich geworden sind. Zu einem
solchen Zwecke gab es keinen besseren Platz, als die königliche Bibliothek in
Berlin, welche dieselben als einen werthvollen Schatz angekauft und ihren
übrigen Schätzen einverleibt hat. Rückert brachte schon den Sommer nach
des Vaters Tode auf Urlaub in Neuses zu, um die Bibliothek und die Manu¬
skripte zu ordnen. Aber erst wenige Tage vor seinem eigenen Hinscheiden ge¬
schah die Uebersiedelung, nachdem er das Jahr zuvor Alles fertig zum Ein¬
packen hergerichtet hatte.

Von nun an fand er zur Kräftigung seiner Gesundheit es gerathen, den
Ferienaufenthalt in Neuses mit einem solchen in näher bet Breslau gelegenen
Orten von gesundem Klima zu vertauschen. So fand er eine Reihe von
Jahren hindurch einen stillen und gemüthlichen Herbstaufenthalt in Gnaden-
srei. dem Wohnort einer Herrenhutischen Brüdergemeinde. Außer der ihm
zusagenden Höhenluft fühlte er sich hier zugleich angezogen von dem harmo¬
nischen Stillleben dieser Kreise. welches sich dadurch so geschickt vor Verdum-
pfung und Verknöcherung zu bewahren weiß, daß die verschiedenen Gemein¬
den beständig mit einander in einem lebhaften überseeischen Verkehr stehen,
und dabei die ganze bei ihnen eingeführte Lebensart dazu beiträgt, daß die
Schroffheit der Ständeunterschiede hier in sehr gemilderter Form auftritt, und


Grenzboten I. 1876. 28
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/225>, abgerufen am 19.10.2024.