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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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nißmäßig erhöht worden waren (von 120,000 Rthlr. auf 800,000), was bei
dem Reichthum der burgundischen Länder jedoch in keiner Weise drückend
sein konnte.

Dies war die Verfassung des burgundischen Heeres, als Karl der Kühne
sich zum Zuge gegen den niederen Verein im Elsaß und gegen die hochdeutsche
Eidgenossenschaft rüstete. --

Wenn man das burgundische und das schweizerische Wehrwesen neben
einander betrachtet, so erblickt man in ihnen zwei von sehr verschiedenen
Wurzeln ausgehende, höchst eigenthümliche Entwickelungen, welche zugleich als
die reifsten und tüchtigsten Kriegsverfassungen des 13. Jahrhunderts erscheinen.
Sie sind es, welche die meisten Keime gestreut haben für die Entwickelung
des modernen Heerwesens, und so feindlich sie sich in der Geschichte gegenüber
stehn, so sehr ergänzen sie sich in der gemeinschaftlichen Wirkung auf die
Folgezeit.

Bei den großartigen Plänen, die Karl der Kühne verfolgte, fand er zu¬
nächst im eigenen Lande eine starke Opposition, welche er aber durch die
wiederholte Niederwerfung des demokratisch gesinnten und vom französischen
Hofe aufgesezten Lüttich auf das Entsetzlichste in ihrem Blut erstickte. Und
indem er den Anstifter jener Lütticher Unruhen, König Louis XI., zwang,
bei der Unterwerfung der Wallonen persönlich mitzuwirken, entehrte und
schändete er diesen Fürsten und steigerte die von Jugend auf zwischen ihnen
bestehende Feindschaft zu tödtlichem Hasse. Die französischen Stände achteten
den Herzog als Majestätsverbrecher und wüthende Heereszüge verwüsteten
während der Jahre 1470 bis 73 die Grenzgebiete von Frankreich und Bur¬
gund. Endlich wurde ein Waffenstillstand geschlossen, welchen Karl der
Kühne sofort zu neuen Versuchen benutzte, seine Herrschaft auszubreiten. Die
Hoffnung, seine niederländischen Staaten durch Erwerbung Ostfrieslands nach
der Nordsee hin auszubreiten, scheiterte zwar, wohl aber gelang es ihm,
durch einen Pfandvertrag mit dem geldbedürftigen Herzog Sigmund von
Oesterreich im Elsaß festen Fuß zu fassen. -- Wichtiger noch als durch diese
Unternehmungen wurde jedoch der mit Louis XI. geschlossene Waffenstillstand
dadurch, daß sowohl Frankreich als Burgund ihn benutzten, um sich durch
Bundesgenossen zu verstärken. Als solche boten sich für Burgund der englische
König, die Herzogin Wittwe Jolantha von Savoyen und der Herzog Sforza
von Mailand, für Louis XI. naturgemäß die bedrohten Lothringer, Elsässer
und Schweizer dar.

Der Wortlaut des Bündnisses zwischen Burgund und England versprach
dem Könige Eduard IV. zur Wiedererlangung aller seinem Hause in Frank¬
reich entrissenen Provinzen, ja zur Krone dieses Reiches selbst zu verhelfen.
Das englische Parlament bewilligte die nöthigen Mittel zu einem Feldzuge


nißmäßig erhöht worden waren (von 120,000 Rthlr. auf 800,000), was bei
dem Reichthum der burgundischen Länder jedoch in keiner Weise drückend
sein konnte.

Dies war die Verfassung des burgundischen Heeres, als Karl der Kühne
sich zum Zuge gegen den niederen Verein im Elsaß und gegen die hochdeutsche
Eidgenossenschaft rüstete. —

Wenn man das burgundische und das schweizerische Wehrwesen neben
einander betrachtet, so erblickt man in ihnen zwei von sehr verschiedenen
Wurzeln ausgehende, höchst eigenthümliche Entwickelungen, welche zugleich als
die reifsten und tüchtigsten Kriegsverfassungen des 13. Jahrhunderts erscheinen.
Sie sind es, welche die meisten Keime gestreut haben für die Entwickelung
des modernen Heerwesens, und so feindlich sie sich in der Geschichte gegenüber
stehn, so sehr ergänzen sie sich in der gemeinschaftlichen Wirkung auf die
Folgezeit.

Bei den großartigen Plänen, die Karl der Kühne verfolgte, fand er zu¬
nächst im eigenen Lande eine starke Opposition, welche er aber durch die
wiederholte Niederwerfung des demokratisch gesinnten und vom französischen
Hofe aufgesezten Lüttich auf das Entsetzlichste in ihrem Blut erstickte. Und
indem er den Anstifter jener Lütticher Unruhen, König Louis XI., zwang,
bei der Unterwerfung der Wallonen persönlich mitzuwirken, entehrte und
schändete er diesen Fürsten und steigerte die von Jugend auf zwischen ihnen
bestehende Feindschaft zu tödtlichem Hasse. Die französischen Stände achteten
den Herzog als Majestätsverbrecher und wüthende Heereszüge verwüsteten
während der Jahre 1470 bis 73 die Grenzgebiete von Frankreich und Bur¬
gund. Endlich wurde ein Waffenstillstand geschlossen, welchen Karl der
Kühne sofort zu neuen Versuchen benutzte, seine Herrschaft auszubreiten. Die
Hoffnung, seine niederländischen Staaten durch Erwerbung Ostfrieslands nach
der Nordsee hin auszubreiten, scheiterte zwar, wohl aber gelang es ihm,
durch einen Pfandvertrag mit dem geldbedürftigen Herzog Sigmund von
Oesterreich im Elsaß festen Fuß zu fassen. — Wichtiger noch als durch diese
Unternehmungen wurde jedoch der mit Louis XI. geschlossene Waffenstillstand
dadurch, daß sowohl Frankreich als Burgund ihn benutzten, um sich durch
Bundesgenossen zu verstärken. Als solche boten sich für Burgund der englische
König, die Herzogin Wittwe Jolantha von Savoyen und der Herzog Sforza
von Mailand, für Louis XI. naturgemäß die bedrohten Lothringer, Elsässer
und Schweizer dar.

Der Wortlaut des Bündnisses zwischen Burgund und England versprach
dem Könige Eduard IV. zur Wiedererlangung aller seinem Hause in Frank¬
reich entrissenen Provinzen, ja zur Krone dieses Reiches selbst zu verhelfen.
Das englische Parlament bewilligte die nöthigen Mittel zu einem Feldzuge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/21>, abgerufen am 26.09.2024.