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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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nisters, der sich mit den Mitteln unumschränkter Verwaltung eine kirchliche
Generation heranziehen soll, wäre so undankbar wie aussichtslos. Der Ver¬
fasser der Correspondenz erinnert selbst an die Niederlage des absoluten
Staates gegen die päpstliche Hierarchie in den dreißiger Jahren und an die
fast spielenden Siege des durch das Parlament die öffentliche Meinung len¬
kenden Staates über denselben Gegner. Alle bloß ministeriellen Entscheidun¬
gen über Lehrfreiheit, Cultus u. s. w. würden, und wären sie aus der Weisheit
echtesten Born geschöpft, formell den Stempel unerträglich subjectiver Willkür
tragen. Dagegen scheint uns die Furcht des Verfassers vor den Beschlüssen
orthodoxer Majoritäten unbegründet. Solche Majoritäten mögen auf der
Synode erscheinen, obwohl auch das nicht einmal gewiß ist. Aber wenn sie
vorhanden sind, werden diese Majoritäten dennoch schwerlich auch nur in einem
einzigen Falle den Geist der ernsten, die Religion umfassenden und bewah¬
renden Bildung zu verletzen wagen. Denn jede solche Majorität wird die
Verantwortung scheuen, den Bestand der evangelischen Kirche selbst auf das
Spiel zu setzen, der in jedem Augenblick gefährdet ist, wo die ernste Bildung
der in sich unsichern Masse mit dem Beispiel des Austritts vorangeht. Und
würde jemals ein solcher Beschluß gefaßt, so ist er doch wirkungslos, so lange
das landesherrliche Kirchenregiment ihn nicht bestätigt. Die Befürchtung
aber, welche der Verfasser auch vorbringt, der geistliche Stand könne seine
Zahl auf den Synoden namentlich zu Gunsten seiner materiellen Lage mi߬
brauchen, diese Befürchtung, wünschten wir, hätte er Herrn Eugen Richter
überlassen, der sie ja mit Trompetenstößen ausruft.

Wir behaupten mit voller Ueberzeugung, daß die Entscheidung über die
evangelische Kirchenverfassung die wichtigste ist, welche noch in den Händen
der nationalliberalen Partei gelegen hat, und daß sie die folgenreichste sein
wird für die Stellung der Partei zu den Kreisen der Nation, auf welche
immerdar das Meiste ankommt, wo es sich um den letzten Ausschlag dau¬
L! -- r. ernder Entscheidungen handelt.




Die Aegel'ung des Landarmenwesens in Sachsen.*)
Von Theodor Landgraf f.

Während die Neugestaltung der preußischen höheren Verwaltung die
Provinzen zu Landarmenverbänden werden läßt, soll die umgekehrte Entwicke-



*) Grenzboten. 1870. IV. S. S86.

nisters, der sich mit den Mitteln unumschränkter Verwaltung eine kirchliche
Generation heranziehen soll, wäre so undankbar wie aussichtslos. Der Ver¬
fasser der Correspondenz erinnert selbst an die Niederlage des absoluten
Staates gegen die päpstliche Hierarchie in den dreißiger Jahren und an die
fast spielenden Siege des durch das Parlament die öffentliche Meinung len¬
kenden Staates über denselben Gegner. Alle bloß ministeriellen Entscheidun¬
gen über Lehrfreiheit, Cultus u. s. w. würden, und wären sie aus der Weisheit
echtesten Born geschöpft, formell den Stempel unerträglich subjectiver Willkür
tragen. Dagegen scheint uns die Furcht des Verfassers vor den Beschlüssen
orthodoxer Majoritäten unbegründet. Solche Majoritäten mögen auf der
Synode erscheinen, obwohl auch das nicht einmal gewiß ist. Aber wenn sie
vorhanden sind, werden diese Majoritäten dennoch schwerlich auch nur in einem
einzigen Falle den Geist der ernsten, die Religion umfassenden und bewah¬
renden Bildung zu verletzen wagen. Denn jede solche Majorität wird die
Verantwortung scheuen, den Bestand der evangelischen Kirche selbst auf das
Spiel zu setzen, der in jedem Augenblick gefährdet ist, wo die ernste Bildung
der in sich unsichern Masse mit dem Beispiel des Austritts vorangeht. Und
würde jemals ein solcher Beschluß gefaßt, so ist er doch wirkungslos, so lange
das landesherrliche Kirchenregiment ihn nicht bestätigt. Die Befürchtung
aber, welche der Verfasser auch vorbringt, der geistliche Stand könne seine
Zahl auf den Synoden namentlich zu Gunsten seiner materiellen Lage mi߬
brauchen, diese Befürchtung, wünschten wir, hätte er Herrn Eugen Richter
überlassen, der sie ja mit Trompetenstößen ausruft.

Wir behaupten mit voller Ueberzeugung, daß die Entscheidung über die
evangelische Kirchenverfassung die wichtigste ist, welche noch in den Händen
der nationalliberalen Partei gelegen hat, und daß sie die folgenreichste sein
wird für die Stellung der Partei zu den Kreisen der Nation, auf welche
immerdar das Meiste ankommt, wo es sich um den letzten Ausschlag dau¬
L! — r. ernder Entscheidungen handelt.




Die Aegel'ung des Landarmenwesens in Sachsen.*)
Von Theodor Landgraf f.

Während die Neugestaltung der preußischen höheren Verwaltung die
Provinzen zu Landarmenverbänden werden läßt, soll die umgekehrte Entwicke-



*) Grenzboten. 1870. IV. S. S86.
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[0204] nisters, der sich mit den Mitteln unumschränkter Verwaltung eine kirchliche Generation heranziehen soll, wäre so undankbar wie aussichtslos. Der Ver¬ fasser der Correspondenz erinnert selbst an die Niederlage des absoluten Staates gegen die päpstliche Hierarchie in den dreißiger Jahren und an die fast spielenden Siege des durch das Parlament die öffentliche Meinung len¬ kenden Staates über denselben Gegner. Alle bloß ministeriellen Entscheidun¬ gen über Lehrfreiheit, Cultus u. s. w. würden, und wären sie aus der Weisheit echtesten Born geschöpft, formell den Stempel unerträglich subjectiver Willkür tragen. Dagegen scheint uns die Furcht des Verfassers vor den Beschlüssen orthodoxer Majoritäten unbegründet. Solche Majoritäten mögen auf der Synode erscheinen, obwohl auch das nicht einmal gewiß ist. Aber wenn sie vorhanden sind, werden diese Majoritäten dennoch schwerlich auch nur in einem einzigen Falle den Geist der ernsten, die Religion umfassenden und bewah¬ renden Bildung zu verletzen wagen. Denn jede solche Majorität wird die Verantwortung scheuen, den Bestand der evangelischen Kirche selbst auf das Spiel zu setzen, der in jedem Augenblick gefährdet ist, wo die ernste Bildung der in sich unsichern Masse mit dem Beispiel des Austritts vorangeht. Und würde jemals ein solcher Beschluß gefaßt, so ist er doch wirkungslos, so lange das landesherrliche Kirchenregiment ihn nicht bestätigt. Die Befürchtung aber, welche der Verfasser auch vorbringt, der geistliche Stand könne seine Zahl auf den Synoden namentlich zu Gunsten seiner materiellen Lage mi߬ brauchen, diese Befürchtung, wünschten wir, hätte er Herrn Eugen Richter überlassen, der sie ja mit Trompetenstößen ausruft. Wir behaupten mit voller Ueberzeugung, daß die Entscheidung über die evangelische Kirchenverfassung die wichtigste ist, welche noch in den Händen der nationalliberalen Partei gelegen hat, und daß sie die folgenreichste sein wird für die Stellung der Partei zu den Kreisen der Nation, auf welche immerdar das Meiste ankommt, wo es sich um den letzten Ausschlag dau¬ L! — r. ernder Entscheidungen handelt. Die Aegel'ung des Landarmenwesens in Sachsen.*) Von Theodor Landgraf f. Während die Neugestaltung der preußischen höheren Verwaltung die Provinzen zu Landarmenverbänden werden läßt, soll die umgekehrte Entwicke- *) Grenzboten. 1870. IV. S. S86.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/204>, abgerufen am 02.10.2024.