Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

duction zu demselben Ergebnisse, welches vom allgemeinen Rechtsbewußtsein
verlangt wird.

Wäre so in dem Falle, wie er wirklich liegt, dem allgemeinen Rechts¬
bewußtsein genügt worden, so ist freilich noch die Frage zu beantworten: wie
stand es in dem nahe liegenden anderen Falle, daß die Kiste explodirte und
eine Menge Menschen tödtete, ehe Thomas das Uhrwerk aufgezogen hatte?

Viele werden nur eine sog. Vorbereitungshandlung in dem Transportiren -
lassen der Kiste erblicken, und dann bliebe als Verbrechen nur fahrlässige Tö-
dtung oder fahrlässige theilweise Zerstörung eines Schiffes unter Verursachung
des Todes von Menschen übrig. Beide Delicte haben im Strafgesetzbuchs den
selben Maximalstrafsatz (3 Jahr Gefängniß), und dieser allerdings dürfte dem
Rechtsbewußtsein nicht genügen.

Ist es denn aber wahr, daß nur eine Vorbereitungshandlung nicht schon
eine Ausführungshandlung vorliegt, welche als Mordversuch (oder als Ver¬
such der Zerstörung eines Schiffes) mit Zuchthaus zu bestrafen war? Bor-
bereitungs- und Ausführungs- oder Versuchshandlung sind doch nicht nach
abstracten Merkmalen zu unterscheiden, und nicht erforderlich ist zum Begriffe
der Versuchshandlung, daß der Handelnde nichts mehr zu thun brauchte oder
glaubte, nichts mehr thun zu brauchen, um den Erfolg eintreten zu lassen.
Ein sehr wesentliches Merkmal dagegen der Unterscheidung der Ausführungs¬
handlung (deren begriffliche Feststellung das Gesetzbuch mit gutem Grunde
der Wissenschaft und Praxis überlassen hat) gegenüber der bloßen Vorberei¬
tung dürfte die Gefährlichkeit der Handlung, der Umstand sein, daß die Hand¬
lung, wie sie vorgenommen war, den Thäter compromittiren, verdächtigen
mußte, daß sie eine solche war, die allen Anzeichen nach nur einen verbreche¬
rischen Zweck haben konnte, diesen gleichsam an der Stirn trug. Wer ein¬
mal so weit mit seinem verbrecherischen Plane gekommen ist, von Dem kann
man sagen, er habe den festen Willen das Verbrechen auch zum Ende zu
bringen, er denke sich die vorgenommene Handlung in continuirlichem Zu¬
sammenhange mit der Vollendung. Dies trifft aber in dem supponirten Falle
entschieden zu. Das Anbordbringen einer so gefüllten und künstlich präpa-
rirten Kiste konnte nicht wohl einen anderen als einen verbrecherischen Zweck
haben. Wir glauben also in der That einen Mordversuch annehmen zu
müssen zusammentreffend mit fahrlässiger Tödtung.

Nehmen wird endlich an, die Kiste sei in Bremerhaven exvlodirt, als
Thomas noch an derselben arbeitete, oder die Polizei habe zu diesem letzteren
Zeitpunkte bereits, also bevor noch ein Unglück geschah, die Kiste mit Be¬
schlag belegt.



") Vgl. §z. 222; SOS, 311.

duction zu demselben Ergebnisse, welches vom allgemeinen Rechtsbewußtsein
verlangt wird.

Wäre so in dem Falle, wie er wirklich liegt, dem allgemeinen Rechts¬
bewußtsein genügt worden, so ist freilich noch die Frage zu beantworten: wie
stand es in dem nahe liegenden anderen Falle, daß die Kiste explodirte und
eine Menge Menschen tödtete, ehe Thomas das Uhrwerk aufgezogen hatte?

Viele werden nur eine sog. Vorbereitungshandlung in dem Transportiren -
lassen der Kiste erblicken, und dann bliebe als Verbrechen nur fahrlässige Tö-
dtung oder fahrlässige theilweise Zerstörung eines Schiffes unter Verursachung
des Todes von Menschen übrig. Beide Delicte haben im Strafgesetzbuchs den
selben Maximalstrafsatz (3 Jahr Gefängniß), und dieser allerdings dürfte dem
Rechtsbewußtsein nicht genügen.

Ist es denn aber wahr, daß nur eine Vorbereitungshandlung nicht schon
eine Ausführungshandlung vorliegt, welche als Mordversuch (oder als Ver¬
such der Zerstörung eines Schiffes) mit Zuchthaus zu bestrafen war? Bor-
bereitungs- und Ausführungs- oder Versuchshandlung sind doch nicht nach
abstracten Merkmalen zu unterscheiden, und nicht erforderlich ist zum Begriffe
der Versuchshandlung, daß der Handelnde nichts mehr zu thun brauchte oder
glaubte, nichts mehr thun zu brauchen, um den Erfolg eintreten zu lassen.
Ein sehr wesentliches Merkmal dagegen der Unterscheidung der Ausführungs¬
handlung (deren begriffliche Feststellung das Gesetzbuch mit gutem Grunde
der Wissenschaft und Praxis überlassen hat) gegenüber der bloßen Vorberei¬
tung dürfte die Gefährlichkeit der Handlung, der Umstand sein, daß die Hand¬
lung, wie sie vorgenommen war, den Thäter compromittiren, verdächtigen
mußte, daß sie eine solche war, die allen Anzeichen nach nur einen verbreche¬
rischen Zweck haben konnte, diesen gleichsam an der Stirn trug. Wer ein¬
mal so weit mit seinem verbrecherischen Plane gekommen ist, von Dem kann
man sagen, er habe den festen Willen das Verbrechen auch zum Ende zu
bringen, er denke sich die vorgenommene Handlung in continuirlichem Zu¬
sammenhange mit der Vollendung. Dies trifft aber in dem supponirten Falle
entschieden zu. Das Anbordbringen einer so gefüllten und künstlich präpa-
rirten Kiste konnte nicht wohl einen anderen als einen verbrecherischen Zweck
haben. Wir glauben also in der That einen Mordversuch annehmen zu
müssen zusammentreffend mit fahrlässiger Tödtung.

Nehmen wird endlich an, die Kiste sei in Bremerhaven exvlodirt, als
Thomas noch an derselben arbeitete, oder die Polizei habe zu diesem letzteren
Zeitpunkte bereits, also bevor noch ein Unglück geschah, die Kiste mit Be¬
schlag belegt.



") Vgl. §z. 222; SOS, 311.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135232"/>
          <p xml:id="ID_484" prev="#ID_483"> duction zu demselben Ergebnisse, welches vom allgemeinen Rechtsbewußtsein<lb/>
verlangt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485"> Wäre so in dem Falle, wie er wirklich liegt, dem allgemeinen Rechts¬<lb/>
bewußtsein genügt worden, so ist freilich noch die Frage zu beantworten: wie<lb/>
stand es in dem nahe liegenden anderen Falle, daß die Kiste explodirte und<lb/>
eine Menge Menschen tödtete, ehe Thomas das Uhrwerk aufgezogen hatte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_486"> Viele werden nur eine sog. Vorbereitungshandlung in dem Transportiren -<lb/>
lassen der Kiste erblicken, und dann bliebe als Verbrechen nur fahrlässige Tö-<lb/>
dtung oder fahrlässige theilweise Zerstörung eines Schiffes unter Verursachung<lb/>
des Todes von Menschen übrig. Beide Delicte haben im Strafgesetzbuchs den<lb/>
selben Maximalstrafsatz (3 Jahr Gefängniß), und dieser allerdings dürfte dem<lb/>
Rechtsbewußtsein nicht genügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_487"> Ist es denn aber wahr, daß nur eine Vorbereitungshandlung nicht schon<lb/>
eine Ausführungshandlung vorliegt, welche als Mordversuch (oder als Ver¬<lb/>
such der Zerstörung eines Schiffes) mit Zuchthaus zu bestrafen war? Bor-<lb/>
bereitungs- und Ausführungs- oder Versuchshandlung sind doch nicht nach<lb/>
abstracten Merkmalen zu unterscheiden, und nicht erforderlich ist zum Begriffe<lb/>
der Versuchshandlung, daß der Handelnde nichts mehr zu thun brauchte oder<lb/>
glaubte, nichts mehr thun zu brauchen, um den Erfolg eintreten zu lassen.<lb/>
Ein sehr wesentliches Merkmal dagegen der Unterscheidung der Ausführungs¬<lb/>
handlung (deren begriffliche Feststellung das Gesetzbuch mit gutem Grunde<lb/>
der Wissenschaft und Praxis überlassen hat) gegenüber der bloßen Vorberei¬<lb/>
tung dürfte die Gefährlichkeit der Handlung, der Umstand sein, daß die Hand¬<lb/>
lung, wie sie vorgenommen war, den Thäter compromittiren, verdächtigen<lb/>
mußte, daß sie eine solche war, die allen Anzeichen nach nur einen verbreche¬<lb/>
rischen Zweck haben konnte, diesen gleichsam an der Stirn trug. Wer ein¬<lb/>
mal so weit mit seinem verbrecherischen Plane gekommen ist, von Dem kann<lb/>
man sagen, er habe den festen Willen das Verbrechen auch zum Ende zu<lb/>
bringen, er denke sich die vorgenommene Handlung in continuirlichem Zu¬<lb/>
sammenhange mit der Vollendung. Dies trifft aber in dem supponirten Falle<lb/>
entschieden zu. Das Anbordbringen einer so gefüllten und künstlich präpa-<lb/>
rirten Kiste konnte nicht wohl einen anderen als einen verbrecherischen Zweck<lb/>
haben. Wir glauben also in der That einen Mordversuch annehmen zu<lb/>
müssen zusammentreffend mit fahrlässiger Tödtung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> Nehmen wird endlich an, die Kiste sei in Bremerhaven exvlodirt, als<lb/>
Thomas noch an derselben arbeitete, oder die Polizei habe zu diesem letzteren<lb/>
Zeitpunkte bereits, also bevor noch ein Unglück geschah, die Kiste mit Be¬<lb/>
schlag belegt.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_125" place="foot"> ") Vgl. §z. 222; SOS, 311.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] duction zu demselben Ergebnisse, welches vom allgemeinen Rechtsbewußtsein verlangt wird. Wäre so in dem Falle, wie er wirklich liegt, dem allgemeinen Rechts¬ bewußtsein genügt worden, so ist freilich noch die Frage zu beantworten: wie stand es in dem nahe liegenden anderen Falle, daß die Kiste explodirte und eine Menge Menschen tödtete, ehe Thomas das Uhrwerk aufgezogen hatte? Viele werden nur eine sog. Vorbereitungshandlung in dem Transportiren - lassen der Kiste erblicken, und dann bliebe als Verbrechen nur fahrlässige Tö- dtung oder fahrlässige theilweise Zerstörung eines Schiffes unter Verursachung des Todes von Menschen übrig. Beide Delicte haben im Strafgesetzbuchs den selben Maximalstrafsatz (3 Jahr Gefängniß), und dieser allerdings dürfte dem Rechtsbewußtsein nicht genügen. Ist es denn aber wahr, daß nur eine Vorbereitungshandlung nicht schon eine Ausführungshandlung vorliegt, welche als Mordversuch (oder als Ver¬ such der Zerstörung eines Schiffes) mit Zuchthaus zu bestrafen war? Bor- bereitungs- und Ausführungs- oder Versuchshandlung sind doch nicht nach abstracten Merkmalen zu unterscheiden, und nicht erforderlich ist zum Begriffe der Versuchshandlung, daß der Handelnde nichts mehr zu thun brauchte oder glaubte, nichts mehr thun zu brauchen, um den Erfolg eintreten zu lassen. Ein sehr wesentliches Merkmal dagegen der Unterscheidung der Ausführungs¬ handlung (deren begriffliche Feststellung das Gesetzbuch mit gutem Grunde der Wissenschaft und Praxis überlassen hat) gegenüber der bloßen Vorberei¬ tung dürfte die Gefährlichkeit der Handlung, der Umstand sein, daß die Hand¬ lung, wie sie vorgenommen war, den Thäter compromittiren, verdächtigen mußte, daß sie eine solche war, die allen Anzeichen nach nur einen verbreche¬ rischen Zweck haben konnte, diesen gleichsam an der Stirn trug. Wer ein¬ mal so weit mit seinem verbrecherischen Plane gekommen ist, von Dem kann man sagen, er habe den festen Willen das Verbrechen auch zum Ende zu bringen, er denke sich die vorgenommene Handlung in continuirlichem Zu¬ sammenhange mit der Vollendung. Dies trifft aber in dem supponirten Falle entschieden zu. Das Anbordbringen einer so gefüllten und künstlich präpa- rirten Kiste konnte nicht wohl einen anderen als einen verbrecherischen Zweck haben. Wir glauben also in der That einen Mordversuch annehmen zu müssen zusammentreffend mit fahrlässiger Tödtung. Nehmen wird endlich an, die Kiste sei in Bremerhaven exvlodirt, als Thomas noch an derselben arbeitete, oder die Polizei habe zu diesem letzteren Zeitpunkte bereits, also bevor noch ein Unglück geschah, die Kiste mit Be¬ schlag belegt. ") Vgl. §z. 222; SOS, 311.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/179>, abgerufen am 25.08.2024.