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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Raubmörder würde z. B. sagen: Freilich habe ich den X erschlagen, aber ich
wollte nur Jemanden erschlagen, der 5 Goldstücke und nicht, wie sich nachher
zeigte, nur einige Pfennige im Besitze hatte! Nur eine objectiv-vernünftige
Betrachtung, nicht die subjective Auffassung des Handelnden kann hier be¬
stimmen, inwieweit das wirklich Geschehene der Absicht des Thäters zuzurech¬
nen ist, und das muß ebenso gut für den Zielpunkt des Geschehens, wie für
dessen übrige Nebenumstände gelten. Oder wäre Thomas etwa auch dann anders
zu beurtheilen gewesen, wenn nicht durch das Herabfallen der Kiste, sondern
durch den von ihm in dieser Art nicht vorausgesehenen beschleunigten Gang
des Uhrwerkes die Explosion erfolgt wäre?

Könnte aber nicht etwa noch eingewendet werden, daß Thomas, wäre
die Explosion nicht vorzeitig erfolgt, doch seinen Plan noch hätte aufgeben,
die Kiste z. B. ins Meer hätte versenken lassen können u. s. w.? Diese Mög¬
lichkeit besteht freilich; allein juristisch kann sie nicht in Betracht kommen.
Auch der Brandstifter hatte in dem oben gegebenen Beispiele die Möglichkeit,
den Brand noch zu verhindern; doch wird man nicht daran denken, ihn de߬
halb weniger verantwortlich machen zu wollen. Nach unserem Strafrechte
kann der Verbrecher, so lange er sich noch im Stadium des bloßen Versuchs
befindet, straflos zurücktreten von seinem verbrecherischen Vorhaben, doch nur,
wenn dies freiwillig geschieht; ist der Thäter noch im Stadium des Versuchs
gefaßt worden, so kann er in dieser Weise sich Straflosigkeit nicht mehr sichern.
Gleichwohl könnte er sagen, er habe, wäre er nicht entdeckt worden, noch die
Möglichkeit gehabt, straflos von seinem Vorhaben abzustehen. Ebensowenig
aber kann endlich eingewendet werden, daß ja das Schiff, wäre die Explosion
nicht vorzeitig erfolgt, vorher noch hätte scheitern, untergehen können. Auch
das ist eine ganz unbestimmte Möglichkeit, auf welche das Recht keine Rück¬
sicht nehmen darf. A will den B mittelst eines Giftes umbringen das, was
er meint, erst in drei Tagen den Tod bringen wird; nun aber wirkt das
Gift in wenigen Stunden. Soll A zur Ablehnung seiner Verantwortlichkeit
darauf sich berufen können, daß B in der berechneten Zwischenzeit noch den
Hals hätte brechen können, von Räubern u. s. w. hätte umgebracht werden
können?

Resümiren wir. Thomas war unzweifelhaft die Ursache, daß eine Menge
Menschen getödtet sind. Die That, so wie sie geschehen ist. entspricht aller¬
dings seinem Plane durchaus nicht. Allein so wesentlich diese Differenz nach
dem rein subjectiven Standpunkt des Thäters erscheint, so unwesentlich ist
sie nach dem objectiven Standpunkte, welchen das Strafrecht, soll es über¬
haupt sich behaupten, einnehmen muß. Es ist juristisch so, als hätte
Thomas diejenigen Opfer, die in Bremerhaven wirklich seinem Plane gefallen
sind, direct ums Leben bringen wollen, und somit kommt die juristische De-


Raubmörder würde z. B. sagen: Freilich habe ich den X erschlagen, aber ich
wollte nur Jemanden erschlagen, der 5 Goldstücke und nicht, wie sich nachher
zeigte, nur einige Pfennige im Besitze hatte! Nur eine objectiv-vernünftige
Betrachtung, nicht die subjective Auffassung des Handelnden kann hier be¬
stimmen, inwieweit das wirklich Geschehene der Absicht des Thäters zuzurech¬
nen ist, und das muß ebenso gut für den Zielpunkt des Geschehens, wie für
dessen übrige Nebenumstände gelten. Oder wäre Thomas etwa auch dann anders
zu beurtheilen gewesen, wenn nicht durch das Herabfallen der Kiste, sondern
durch den von ihm in dieser Art nicht vorausgesehenen beschleunigten Gang
des Uhrwerkes die Explosion erfolgt wäre?

Könnte aber nicht etwa noch eingewendet werden, daß Thomas, wäre
die Explosion nicht vorzeitig erfolgt, doch seinen Plan noch hätte aufgeben,
die Kiste z. B. ins Meer hätte versenken lassen können u. s. w.? Diese Mög¬
lichkeit besteht freilich; allein juristisch kann sie nicht in Betracht kommen.
Auch der Brandstifter hatte in dem oben gegebenen Beispiele die Möglichkeit,
den Brand noch zu verhindern; doch wird man nicht daran denken, ihn de߬
halb weniger verantwortlich machen zu wollen. Nach unserem Strafrechte
kann der Verbrecher, so lange er sich noch im Stadium des bloßen Versuchs
befindet, straflos zurücktreten von seinem verbrecherischen Vorhaben, doch nur,
wenn dies freiwillig geschieht; ist der Thäter noch im Stadium des Versuchs
gefaßt worden, so kann er in dieser Weise sich Straflosigkeit nicht mehr sichern.
Gleichwohl könnte er sagen, er habe, wäre er nicht entdeckt worden, noch die
Möglichkeit gehabt, straflos von seinem Vorhaben abzustehen. Ebensowenig
aber kann endlich eingewendet werden, daß ja das Schiff, wäre die Explosion
nicht vorzeitig erfolgt, vorher noch hätte scheitern, untergehen können. Auch
das ist eine ganz unbestimmte Möglichkeit, auf welche das Recht keine Rück¬
sicht nehmen darf. A will den B mittelst eines Giftes umbringen das, was
er meint, erst in drei Tagen den Tod bringen wird; nun aber wirkt das
Gift in wenigen Stunden. Soll A zur Ablehnung seiner Verantwortlichkeit
darauf sich berufen können, daß B in der berechneten Zwischenzeit noch den
Hals hätte brechen können, von Räubern u. s. w. hätte umgebracht werden
können?

Resümiren wir. Thomas war unzweifelhaft die Ursache, daß eine Menge
Menschen getödtet sind. Die That, so wie sie geschehen ist. entspricht aller¬
dings seinem Plane durchaus nicht. Allein so wesentlich diese Differenz nach
dem rein subjectiven Standpunkt des Thäters erscheint, so unwesentlich ist
sie nach dem objectiven Standpunkte, welchen das Strafrecht, soll es über¬
haupt sich behaupten, einnehmen muß. Es ist juristisch so, als hätte
Thomas diejenigen Opfer, die in Bremerhaven wirklich seinem Plane gefallen
sind, direct ums Leben bringen wollen, und somit kommt die juristische De-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/178>, abgerufen am 25.08.2024.