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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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geladene Pistole mit gespanntem Hahne erhebt, und nun X mit der Hand die
Pistole von sich abwendend deren Entladung und durch diese seine eigene
Tödtung herbeiführt. Anders dagegen verhält es sich, wenn der Handelnde
den Entschluß nicht mehr sich vorbehalten hat, der Naturcausalismus, so¬
wie er ihn hergestellt hat, der berechnete Lauf der Dinge, ohne sein, des Thä¬
ters, weiteres Eingreifen den verbrecherischen Erfolg herbeiführen soll. Der
Thäter, der in solcher Weise den Erfolg den äußeren Mächten des Gesche¬
hens überweist, muß ihn eben deshalb, wie er auch herbeigeführt werden
wöge, gegen sich gelten lassen, und nur in dem Falle ist hier eine Ausnahme
anzuerkennen, wenn die Vorbereitungen des Thäters so unvollkommen waren,
daß nur ein ganz außerordentliches Ereigniß, auf welches zu rechnen reine
Unvernunft war, den Erfolg wirklich mitherbeiführte. Wenn Jemand in
einem Hause Brand gelegt hat in der Erwartung, daß das Feuer um Mitter¬
nacht erst zum vollständigen Ausbruch gelangen werde, ein ihm nicht bekannter
Umstand aber, z. B. das Vorhandensein eines besonders brennbaren Stoffes,
die Zugluft, welche durch einige zertrümmerte Fensterscheiben einströmt, den
früheren Ausbruch des Feuers gegen seine Erwartung und gegen seinen
Wunsch herbeiführt, will man da etwa den Thäter als der vollendeten Brand¬
stiftung nicht schuldig betrachten?

Machen wir jetzt die Anwendung auf den Fall Thomas. Thomas hatte,
wenn wir recht berichtet sind, das Uhrwerk, welches dem Dampfer Mosel Ver¬
derben bringen sollte, aufgezogen und aus der Hand gegeben. Er hatte jetzt
nichts mehr zu thun, um den, wie wir ausgeführt haben, von ihm beab¬
sichtigten Tod von Hunderten von Menschen, unbestimmt, welche Individuen
dies waren, herbeizuführen. Ein Zufall (wahrlich kein ganz außerordent¬
licher, wie das Einschlagen eines Blitzes), das Herabfallen der Kiste von
Transportwagen läßt dieses früher explodiren, als er erwartet hatte. Ist
dieser Fall nicht ganz derselbe, wie der des Brandstifters, den wir erwähn¬
ten? Thomas war allerdings durch diesen Zufall um die Früchte seiner
That gebracht, ebenso wie der Brandstifter, der, wenn das Feuer früher aus¬
brach, seine Habseligkeiten nicht erst in Sicherheit bringen, sich genügend vor
Entdeckung schützen konnte. Der Verbrecher mag in solchen Fällen von sei¬
nem lediglich subjectiven Standpunkte aus sagen: Das habe ich nicht ge¬
wollt. Allein wenn man diesen subjectiven Standpunkte ausschließlich
gelten lassen wollte, dann hat fast nie Jemand Etwas gewollt, was wirklich ge¬
schah. Denn fast nie entspricht die Wirklichkeit der Idee, welche der Han¬
delnde sich ausmalt, photographisch genau. Da brauchte Jeder, um die Ver¬
antwortlichkeit für ein Geschehenes von sich abzuwälzen, nur das. was er will,
sich recht genau vorher auszumalen; eine Differenz zwischen dieser Willens¬
phantasie und der nachherigen Wirklichkeit würde fast immer sich finden. Der


Grenzboten I. 1870. 22

geladene Pistole mit gespanntem Hahne erhebt, und nun X mit der Hand die
Pistole von sich abwendend deren Entladung und durch diese seine eigene
Tödtung herbeiführt. Anders dagegen verhält es sich, wenn der Handelnde
den Entschluß nicht mehr sich vorbehalten hat, der Naturcausalismus, so¬
wie er ihn hergestellt hat, der berechnete Lauf der Dinge, ohne sein, des Thä¬
ters, weiteres Eingreifen den verbrecherischen Erfolg herbeiführen soll. Der
Thäter, der in solcher Weise den Erfolg den äußeren Mächten des Gesche¬
hens überweist, muß ihn eben deshalb, wie er auch herbeigeführt werden
wöge, gegen sich gelten lassen, und nur in dem Falle ist hier eine Ausnahme
anzuerkennen, wenn die Vorbereitungen des Thäters so unvollkommen waren,
daß nur ein ganz außerordentliches Ereigniß, auf welches zu rechnen reine
Unvernunft war, den Erfolg wirklich mitherbeiführte. Wenn Jemand in
einem Hause Brand gelegt hat in der Erwartung, daß das Feuer um Mitter¬
nacht erst zum vollständigen Ausbruch gelangen werde, ein ihm nicht bekannter
Umstand aber, z. B. das Vorhandensein eines besonders brennbaren Stoffes,
die Zugluft, welche durch einige zertrümmerte Fensterscheiben einströmt, den
früheren Ausbruch des Feuers gegen seine Erwartung und gegen seinen
Wunsch herbeiführt, will man da etwa den Thäter als der vollendeten Brand¬
stiftung nicht schuldig betrachten?

Machen wir jetzt die Anwendung auf den Fall Thomas. Thomas hatte,
wenn wir recht berichtet sind, das Uhrwerk, welches dem Dampfer Mosel Ver¬
derben bringen sollte, aufgezogen und aus der Hand gegeben. Er hatte jetzt
nichts mehr zu thun, um den, wie wir ausgeführt haben, von ihm beab¬
sichtigten Tod von Hunderten von Menschen, unbestimmt, welche Individuen
dies waren, herbeizuführen. Ein Zufall (wahrlich kein ganz außerordent¬
licher, wie das Einschlagen eines Blitzes), das Herabfallen der Kiste von
Transportwagen läßt dieses früher explodiren, als er erwartet hatte. Ist
dieser Fall nicht ganz derselbe, wie der des Brandstifters, den wir erwähn¬
ten? Thomas war allerdings durch diesen Zufall um die Früchte seiner
That gebracht, ebenso wie der Brandstifter, der, wenn das Feuer früher aus¬
brach, seine Habseligkeiten nicht erst in Sicherheit bringen, sich genügend vor
Entdeckung schützen konnte. Der Verbrecher mag in solchen Fällen von sei¬
nem lediglich subjectiven Standpunkte aus sagen: Das habe ich nicht ge¬
wollt. Allein wenn man diesen subjectiven Standpunkte ausschließlich
gelten lassen wollte, dann hat fast nie Jemand Etwas gewollt, was wirklich ge¬
schah. Denn fast nie entspricht die Wirklichkeit der Idee, welche der Han¬
delnde sich ausmalt, photographisch genau. Da brauchte Jeder, um die Ver¬
antwortlichkeit für ein Geschehenes von sich abzuwälzen, nur das. was er will,
sich recht genau vorher auszumalen; eine Differenz zwischen dieser Willens¬
phantasie und der nachherigen Wirklichkeit würde fast immer sich finden. Der


Grenzboten I. 1870. 22
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/177>, abgerufen am 25.08.2024.