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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Soldes, ein Verfahren. das bei dem Mangel an Verpflegungsanstalten, ja
überhaupt an Lebensmitteln doppelt verderblich wirken mußte. In des Her¬
zogs Haltung und Stimmung bemerkte man große Veränderung. Er war
voll leidenschaftlicher Heftigkeit und Mißtrauens; überall glaubte er sich von
Verräthern und Feinden umgeben; die frühere Sicherheit im Beherrschen des
Kriegsvolkes war verschwunden; zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich
krank. -- Der bedenkliche Zustand des Heeres und Karl's Benehmen dabei
Schmälerten sein Ansehn außerordentlich, und um ebensoviel stieg das des
Königs von Frankreich. Die französischen Feudalherren hatten, den Tag von
Granson zu empfinden, als seien sie selbst geschlagen worden. Der greise
König Rene' von Anjou suchte Louis in Lyon auf, und während er früher
den Herzog Karl von Burgund für den Fall, daß sein Erbe und Enkel,
der Graf von Maine, kinderlos sterben sollte, für den Erben der Provence
und aller Besitzungen des Hauses Anjou angenommen hatte, erklärte er als
solchen jetzt den König von Frankreich. Dieser stattete unter der Hand den
jungen vertriebenen Herzog von Lothringen mit Geld aus und ließ ihn nach
Straßburg geleiten. Hier fanden sich viele deutsche Herren bei ihm ein: Gra¬
fen von Nassau, von Bieses. von Fenestrelles und von Richebourg. und von
ihnen begleitet begab sich der Fürst in den Schutz der Eidgenossen, welche
ihn ehrten, als ob er ihr Führer sei.

Alle dem Herzoge von Burgund bisher befreundeten Fürsten riethen ihm,
von dem Unternehmen gegen die Eidgenossen abzustehn. Der Herzog von
Mailand. Galeazzo Maria Sforza, machte ihn, während er gleichzeitig seinem
Bündnisse entsagte, darauf aufmerksam, welchen Gefahren Karl sowol Bur¬
gund als Savoyen aussetze im Kampfe mit den Schweizern, "diesen grau¬
samen, rasenden Wölfen, zum höchsten Wohlgefallen des Königs von Frank-
reich, der nichts anderes wünsche als beider Häuser Verderben. Matthias
Corvinus. der in hohem Ansehn stehende König von Ungarn, verwies ihn
ebenfalls auf die Arglist Louis' XI. "Was konnte er wohl" so schreibt
Matthias "Euer Liebden Gefährlicheres und Schwierigeres zufügen, was
Erwünschteres für ihn, als Dieselben in einen Krieg zu verwickeln mit jenem
ungezähnten. unüberwindlichen Volke, von dem er wußte, daß es siegen könne,
nicht fürchtete, daß es überwunden werde. Wie kann man letzteres auch
glauben von diesen Schweizern, die schon ihres Landes Lage vertheidigt,
denen aber auch gewiß das Reich noch Hilfe senden wird... Wir ernähren
Euer Liebden, sich wohl vorzusehn und versichert zu sein, daß, sollte auch
das Kriegsglück jenen Völkern widerwärtig sein. Ihr dann zuverlässig das
ganze Reich gegen Euch haben würdet. Geschähe aber, was Gott verhüte,
das Gegentheil -- was wäre das dann für ein Schauspiel, einen so großen
Fürsten durch Bauern überwunden zu sehn, deren Besiegung keine oder doch


Soldes, ein Verfahren. das bei dem Mangel an Verpflegungsanstalten, ja
überhaupt an Lebensmitteln doppelt verderblich wirken mußte. In des Her¬
zogs Haltung und Stimmung bemerkte man große Veränderung. Er war
voll leidenschaftlicher Heftigkeit und Mißtrauens; überall glaubte er sich von
Verräthern und Feinden umgeben; die frühere Sicherheit im Beherrschen des
Kriegsvolkes war verschwunden; zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich
krank. — Der bedenkliche Zustand des Heeres und Karl's Benehmen dabei
Schmälerten sein Ansehn außerordentlich, und um ebensoviel stieg das des
Königs von Frankreich. Die französischen Feudalherren hatten, den Tag von
Granson zu empfinden, als seien sie selbst geschlagen worden. Der greise
König Rene' von Anjou suchte Louis in Lyon auf, und während er früher
den Herzog Karl von Burgund für den Fall, daß sein Erbe und Enkel,
der Graf von Maine, kinderlos sterben sollte, für den Erben der Provence
und aller Besitzungen des Hauses Anjou angenommen hatte, erklärte er als
solchen jetzt den König von Frankreich. Dieser stattete unter der Hand den
jungen vertriebenen Herzog von Lothringen mit Geld aus und ließ ihn nach
Straßburg geleiten. Hier fanden sich viele deutsche Herren bei ihm ein: Gra¬
fen von Nassau, von Bieses. von Fenestrelles und von Richebourg. und von
ihnen begleitet begab sich der Fürst in den Schutz der Eidgenossen, welche
ihn ehrten, als ob er ihr Führer sei.

Alle dem Herzoge von Burgund bisher befreundeten Fürsten riethen ihm,
von dem Unternehmen gegen die Eidgenossen abzustehn. Der Herzog von
Mailand. Galeazzo Maria Sforza, machte ihn, während er gleichzeitig seinem
Bündnisse entsagte, darauf aufmerksam, welchen Gefahren Karl sowol Bur¬
gund als Savoyen aussetze im Kampfe mit den Schweizern, „diesen grau¬
samen, rasenden Wölfen, zum höchsten Wohlgefallen des Königs von Frank-
reich, der nichts anderes wünsche als beider Häuser Verderben. Matthias
Corvinus. der in hohem Ansehn stehende König von Ungarn, verwies ihn
ebenfalls auf die Arglist Louis' XI. „Was konnte er wohl" so schreibt
Matthias „Euer Liebden Gefährlicheres und Schwierigeres zufügen, was
Erwünschteres für ihn, als Dieselben in einen Krieg zu verwickeln mit jenem
ungezähnten. unüberwindlichen Volke, von dem er wußte, daß es siegen könne,
nicht fürchtete, daß es überwunden werde. Wie kann man letzteres auch
glauben von diesen Schweizern, die schon ihres Landes Lage vertheidigt,
denen aber auch gewiß das Reich noch Hilfe senden wird... Wir ernähren
Euer Liebden, sich wohl vorzusehn und versichert zu sein, daß, sollte auch
das Kriegsglück jenen Völkern widerwärtig sein. Ihr dann zuverlässig das
ganze Reich gegen Euch haben würdet. Geschähe aber, was Gott verhüte,
das Gegentheil — was wäre das dann für ein Schauspiel, einen so großen
Fürsten durch Bauern überwunden zu sehn, deren Besiegung keine oder doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/106>, abgerufen am 23.07.2024.