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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Handlungen ähnlicher Art, mit denen der Eintritt in die Bauhütten der
mittelalterlichen Werkmaurer verbunden war.

Noch in unserm Jahrhundert wurden in der sächsischen Armee die
"Steppchen", d. h. die Knaben, welche die Regimenter als Gehülfen des
Profoßes begleiteten, ihm die Spießruthen schnitten und zutrugen, bei Hin¬
richtungen fungirten u. d., wenn sie herangewachsen waren und Einreihung
unter die eigentlichen Soldaten verlangten, unter erniedrigenden Ceremo¬
nien, bei denen sie unter anderm auf allen Vieren in den zu ihrer Aus¬
nahme gebildeten Kreis der Mannschaften zu kriechen hatten, "ehrlich ge¬
sprochen."

Ferner gehört in diesen Zusammenhang die Taufe der Matrosen, die
zum ersten Male die Linie passiren, ein Act, der noch heute gebräuchlich ist,
und bei dem außer reichlichem Begießen der zu Seeleuten von langer Fahrt
zu Weihenden mit Sal°zwasser ebenfalls Mißhandlungen, Abschaben mit einem
ungeheuren hölzernen Rasirmesser, heimliches Ausspannen oder Vorhalten von
Tauen, über welche die vom Wassersturz Geblendeten fallen u. d. sowie ver¬
schiedene Reden nach feststehender Form vorkommen, welche den Vorgang als
* eine Erhöhung erscheinen lassen.

Noth oder Zweckmäßigkeit ließ früher die Kaufleute nach den Stapel¬
plätzen und Messen in Karavanen reisen, und wer sich einer solchen anschloß,
mußte sich, wenn es zum ersten Male geschah, säuseln lassen, gleichviel, ob
er zur Kaufmannschaft gehörte oder einen andern Beruf hatte. Dafür waren
bei der Regelmäßigkeit der Reiserouten gewisse Stationen bestimmt, für die
z. B., welche von Nürnberg und südlicheren Orten auf die Leipziger Messe
zogen, Neustadt bei Koburg, für die, welche von Norden oder Osten nach der
Messe in Frankfurt a. M. reisten, Hersfeld bei Fulda und für die, welche
aus Deutschland nach Italien wollten, Brixen in Tyrol. Mannichfache
Quälereien wurden dabei vorgenommen, doch konnte sich der Täufling --
der Act wurde, wie ursprünglich bei den Handwerkern, als "Taufe" bezeichnet
und bestand vermuthlich vorzugsweise in tüchtigem Naßmachen der zu Hän¬
selnden -- mit einer gewissen Summe loskaufen, die dann im Quartier ge¬
meinschaftlich vertrunken wurde. Eine ähnliche Hänselstation befand sich in
Siebenbürgen am Wasser Keres, wo der Fürst Stephan Bathory, später
König von Polen, "durch selbsteignes höchst ansehnliches Exempel das daselbst
eingeführte löbliche Herkommen bestätigte."

Ungemein grausam war das Häufeln auf den Comptoiren der Hanseaten
im Auslande, besonders aus dem in Bergen, da es hier den Nebenzweck hatte,
die Söhne der Wohlhabenden von den sehr einträglichen Stellen der Handels¬
niederlassung fern zu halten und dieselben den Aermeren zu bewahren. Von
den dreizehn "Spielen", denen sich der Candidat dabei zu unterwerfen hatte


Handlungen ähnlicher Art, mit denen der Eintritt in die Bauhütten der
mittelalterlichen Werkmaurer verbunden war.

Noch in unserm Jahrhundert wurden in der sächsischen Armee die
„Steppchen", d. h. die Knaben, welche die Regimenter als Gehülfen des
Profoßes begleiteten, ihm die Spießruthen schnitten und zutrugen, bei Hin¬
richtungen fungirten u. d., wenn sie herangewachsen waren und Einreihung
unter die eigentlichen Soldaten verlangten, unter erniedrigenden Ceremo¬
nien, bei denen sie unter anderm auf allen Vieren in den zu ihrer Aus¬
nahme gebildeten Kreis der Mannschaften zu kriechen hatten, „ehrlich ge¬
sprochen."

Ferner gehört in diesen Zusammenhang die Taufe der Matrosen, die
zum ersten Male die Linie passiren, ein Act, der noch heute gebräuchlich ist,
und bei dem außer reichlichem Begießen der zu Seeleuten von langer Fahrt
zu Weihenden mit Sal°zwasser ebenfalls Mißhandlungen, Abschaben mit einem
ungeheuren hölzernen Rasirmesser, heimliches Ausspannen oder Vorhalten von
Tauen, über welche die vom Wassersturz Geblendeten fallen u. d. sowie ver¬
schiedene Reden nach feststehender Form vorkommen, welche den Vorgang als
* eine Erhöhung erscheinen lassen.

Noth oder Zweckmäßigkeit ließ früher die Kaufleute nach den Stapel¬
plätzen und Messen in Karavanen reisen, und wer sich einer solchen anschloß,
mußte sich, wenn es zum ersten Male geschah, säuseln lassen, gleichviel, ob
er zur Kaufmannschaft gehörte oder einen andern Beruf hatte. Dafür waren
bei der Regelmäßigkeit der Reiserouten gewisse Stationen bestimmt, für die
z. B., welche von Nürnberg und südlicheren Orten auf die Leipziger Messe
zogen, Neustadt bei Koburg, für die, welche von Norden oder Osten nach der
Messe in Frankfurt a. M. reisten, Hersfeld bei Fulda und für die, welche
aus Deutschland nach Italien wollten, Brixen in Tyrol. Mannichfache
Quälereien wurden dabei vorgenommen, doch konnte sich der Täufling —
der Act wurde, wie ursprünglich bei den Handwerkern, als „Taufe" bezeichnet
und bestand vermuthlich vorzugsweise in tüchtigem Naßmachen der zu Hän¬
selnden — mit einer gewissen Summe loskaufen, die dann im Quartier ge¬
meinschaftlich vertrunken wurde. Eine ähnliche Hänselstation befand sich in
Siebenbürgen am Wasser Keres, wo der Fürst Stephan Bathory, später
König von Polen, „durch selbsteignes höchst ansehnliches Exempel das daselbst
eingeführte löbliche Herkommen bestätigte."

Ungemein grausam war das Häufeln auf den Comptoiren der Hanseaten
im Auslande, besonders aus dem in Bergen, da es hier den Nebenzweck hatte,
die Söhne der Wohlhabenden von den sehr einträglichen Stellen der Handels¬
niederlassung fern zu halten und dieselben den Aermeren zu bewahren. Von
den dreizehn „Spielen", denen sich der Candidat dabei zu unterwerfen hatte


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[0099] Handlungen ähnlicher Art, mit denen der Eintritt in die Bauhütten der mittelalterlichen Werkmaurer verbunden war. Noch in unserm Jahrhundert wurden in der sächsischen Armee die „Steppchen", d. h. die Knaben, welche die Regimenter als Gehülfen des Profoßes begleiteten, ihm die Spießruthen schnitten und zutrugen, bei Hin¬ richtungen fungirten u. d., wenn sie herangewachsen waren und Einreihung unter die eigentlichen Soldaten verlangten, unter erniedrigenden Ceremo¬ nien, bei denen sie unter anderm auf allen Vieren in den zu ihrer Aus¬ nahme gebildeten Kreis der Mannschaften zu kriechen hatten, „ehrlich ge¬ sprochen." Ferner gehört in diesen Zusammenhang die Taufe der Matrosen, die zum ersten Male die Linie passiren, ein Act, der noch heute gebräuchlich ist, und bei dem außer reichlichem Begießen der zu Seeleuten von langer Fahrt zu Weihenden mit Sal°zwasser ebenfalls Mißhandlungen, Abschaben mit einem ungeheuren hölzernen Rasirmesser, heimliches Ausspannen oder Vorhalten von Tauen, über welche die vom Wassersturz Geblendeten fallen u. d. sowie ver¬ schiedene Reden nach feststehender Form vorkommen, welche den Vorgang als * eine Erhöhung erscheinen lassen. Noth oder Zweckmäßigkeit ließ früher die Kaufleute nach den Stapel¬ plätzen und Messen in Karavanen reisen, und wer sich einer solchen anschloß, mußte sich, wenn es zum ersten Male geschah, säuseln lassen, gleichviel, ob er zur Kaufmannschaft gehörte oder einen andern Beruf hatte. Dafür waren bei der Regelmäßigkeit der Reiserouten gewisse Stationen bestimmt, für die z. B., welche von Nürnberg und südlicheren Orten auf die Leipziger Messe zogen, Neustadt bei Koburg, für die, welche von Norden oder Osten nach der Messe in Frankfurt a. M. reisten, Hersfeld bei Fulda und für die, welche aus Deutschland nach Italien wollten, Brixen in Tyrol. Mannichfache Quälereien wurden dabei vorgenommen, doch konnte sich der Täufling — der Act wurde, wie ursprünglich bei den Handwerkern, als „Taufe" bezeichnet und bestand vermuthlich vorzugsweise in tüchtigem Naßmachen der zu Hän¬ selnden — mit einer gewissen Summe loskaufen, die dann im Quartier ge¬ meinschaftlich vertrunken wurde. Eine ähnliche Hänselstation befand sich in Siebenbürgen am Wasser Keres, wo der Fürst Stephan Bathory, später König von Polen, „durch selbsteignes höchst ansehnliches Exempel das daselbst eingeführte löbliche Herkommen bestätigte." Ungemein grausam war das Häufeln auf den Comptoiren der Hanseaten im Auslande, besonders aus dem in Bergen, da es hier den Nebenzweck hatte, die Söhne der Wohlhabenden von den sehr einträglichen Stellen der Handels¬ niederlassung fern zu halten und dieselben den Aermeren zu bewahren. Von den dreizehn „Spielen", denen sich der Candidat dabei zu unterwerfen hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/99>, abgerufen am 29.06.2024.