Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mehrere Reichsschlusse des vorigen Jahrhunderts bezeichnen diese Cere¬
monien als "Unfug," die Ansprachen der Schleifpsaffen als "lächerliche" oder
"läppische Redensarten." Wären sie alle von der Beschaffenheit, wie das hier
von den Faßbindern Mitgetheilte gewesen, so würde ich jene Ausdrücke nicht
verstehen, die Hänselung vielmehr von gutem Gefüge, sinnreich, poetisch und
nützlich finden. Indeß wird sie zuletzt vielfach ausgeartet, unfläthig und grau¬
sam geworden sein, und so ist's erklärlich, daß das Reich wie die Einzel¬
regierungen gegen den zur Unsitte gewordenen Gebrauch einschritten und ihn
unter Androhung empfindlicher Strafen verboten. Aber es dauerte geraume
Zeit, bevor man der Sache völlig Herr wurde, und noch im Jahre 1810 er¬
gingen Erlasse, in welchen die Fortdauer derselben trotz aller Bedrohungen
gerügt wird.

Derartige, später in bloße Neckerei und Mißhandlung ausgeartete Auf¬
nahmefeierlichkeiten waren übrigens, wie zu Anfang dieses Aufsatzes hervor¬
gehoben wurde, nicht blos in der Sphäre der Handwerker üblich, sondern er¬
streckten sich über alle Berufsarten, die sich zu Körperschaften zusammenschlossen,
und bei allen wird der Sache anfänglich derselbe Gedanke zu Grunde gelegen
haben, der nämlich, daß der Candidat aus niedrigen und rohen Verhältnissen
in höhere und feinere, daß er aus Unehren zu Ehren und Rechten erhoben
werde, und daß ihm dies recht deutlich zum Bewußtsein gebracht und recht
fest eingeprägt werden müsse. Dazu kam die Lust der alten Zeit an sym¬
bolischem Spiel, und damit verband sich wieder ihr Gefallen am Necken,
Foppen und Schrauben, an Schwanken und Possen, die bisweilen etwas
ungeschlachter ausfielen, als den damit Heimgesuchten lieb sein konnte. Bei
den Handwerkern trat hierzu, wie oben bemerkt, noch das Bedürfniß, dem
Betreffenden die Regeln und Bräuche mitzutheilen, die er beim Wandern zu
beobachten hatte. Bei andern Berufszweigen und Verbänden spielte auch
die Absicht eine Rolle, die Concurrenz und den Zudrang durch die Grau¬
samkeit der Prüfung zu schwächen, der sich die Candidaten zu unterziehen
hatten.

Der Bewerber um den Rang eines Faßbindergesellen wurde, wie wir
gesehen haben, durch "Schleifen", das heißt, durch wiederholtes Ziehen bei
den Haaren, Umwerfen und Begießen mit Wasser und Bier, aus einem
"Reifenmörder und Holzverderber", einem unnützen "Pflastertreter" , einem
"Meister- und Gesellenverräther" zu einem "ehrlichen Gesellen" gemacht.
Aehnlich verfuhr man bei den andern Handwerken mit alleiniger Aus¬
nahme der Schuster, die auffallender Weise den Brauch des Hänselns nicht
kannten.

Die Aufnahmen in die Freimaurerlogen und die Beförderungen in den¬
selben bewahren in ihrem Ceremonial deutliche Anklänge an symbolische


Mehrere Reichsschlusse des vorigen Jahrhunderts bezeichnen diese Cere¬
monien als „Unfug," die Ansprachen der Schleifpsaffen als „lächerliche" oder
„läppische Redensarten." Wären sie alle von der Beschaffenheit, wie das hier
von den Faßbindern Mitgetheilte gewesen, so würde ich jene Ausdrücke nicht
verstehen, die Hänselung vielmehr von gutem Gefüge, sinnreich, poetisch und
nützlich finden. Indeß wird sie zuletzt vielfach ausgeartet, unfläthig und grau¬
sam geworden sein, und so ist's erklärlich, daß das Reich wie die Einzel¬
regierungen gegen den zur Unsitte gewordenen Gebrauch einschritten und ihn
unter Androhung empfindlicher Strafen verboten. Aber es dauerte geraume
Zeit, bevor man der Sache völlig Herr wurde, und noch im Jahre 1810 er¬
gingen Erlasse, in welchen die Fortdauer derselben trotz aller Bedrohungen
gerügt wird.

Derartige, später in bloße Neckerei und Mißhandlung ausgeartete Auf¬
nahmefeierlichkeiten waren übrigens, wie zu Anfang dieses Aufsatzes hervor¬
gehoben wurde, nicht blos in der Sphäre der Handwerker üblich, sondern er¬
streckten sich über alle Berufsarten, die sich zu Körperschaften zusammenschlossen,
und bei allen wird der Sache anfänglich derselbe Gedanke zu Grunde gelegen
haben, der nämlich, daß der Candidat aus niedrigen und rohen Verhältnissen
in höhere und feinere, daß er aus Unehren zu Ehren und Rechten erhoben
werde, und daß ihm dies recht deutlich zum Bewußtsein gebracht und recht
fest eingeprägt werden müsse. Dazu kam die Lust der alten Zeit an sym¬
bolischem Spiel, und damit verband sich wieder ihr Gefallen am Necken,
Foppen und Schrauben, an Schwanken und Possen, die bisweilen etwas
ungeschlachter ausfielen, als den damit Heimgesuchten lieb sein konnte. Bei
den Handwerkern trat hierzu, wie oben bemerkt, noch das Bedürfniß, dem
Betreffenden die Regeln und Bräuche mitzutheilen, die er beim Wandern zu
beobachten hatte. Bei andern Berufszweigen und Verbänden spielte auch
die Absicht eine Rolle, die Concurrenz und den Zudrang durch die Grau¬
samkeit der Prüfung zu schwächen, der sich die Candidaten zu unterziehen
hatten.

Der Bewerber um den Rang eines Faßbindergesellen wurde, wie wir
gesehen haben, durch „Schleifen", das heißt, durch wiederholtes Ziehen bei
den Haaren, Umwerfen und Begießen mit Wasser und Bier, aus einem
„Reifenmörder und Holzverderber", einem unnützen „Pflastertreter" , einem
„Meister- und Gesellenverräther" zu einem „ehrlichen Gesellen" gemacht.
Aehnlich verfuhr man bei den andern Handwerken mit alleiniger Aus¬
nahme der Schuster, die auffallender Weise den Brauch des Hänselns nicht
kannten.

Die Aufnahmen in die Freimaurerlogen und die Beförderungen in den¬
selben bewahren in ihrem Ceremonial deutliche Anklänge an symbolische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133916"/>
          <p xml:id="ID_346"> Mehrere Reichsschlusse des vorigen Jahrhunderts bezeichnen diese Cere¬<lb/>
monien als &#x201E;Unfug," die Ansprachen der Schleifpsaffen als &#x201E;lächerliche" oder<lb/>
&#x201E;läppische Redensarten." Wären sie alle von der Beschaffenheit, wie das hier<lb/>
von den Faßbindern Mitgetheilte gewesen, so würde ich jene Ausdrücke nicht<lb/>
verstehen, die Hänselung vielmehr von gutem Gefüge, sinnreich, poetisch und<lb/>
nützlich finden. Indeß wird sie zuletzt vielfach ausgeartet, unfläthig und grau¬<lb/>
sam geworden sein, und so ist's erklärlich, daß das Reich wie die Einzel¬<lb/>
regierungen gegen den zur Unsitte gewordenen Gebrauch einschritten und ihn<lb/>
unter Androhung empfindlicher Strafen verboten. Aber es dauerte geraume<lb/>
Zeit, bevor man der Sache völlig Herr wurde, und noch im Jahre 1810 er¬<lb/>
gingen Erlasse, in welchen die Fortdauer derselben trotz aller Bedrohungen<lb/>
gerügt wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> Derartige, später in bloße Neckerei und Mißhandlung ausgeartete Auf¬<lb/>
nahmefeierlichkeiten waren übrigens, wie zu Anfang dieses Aufsatzes hervor¬<lb/>
gehoben wurde, nicht blos in der Sphäre der Handwerker üblich, sondern er¬<lb/>
streckten sich über alle Berufsarten, die sich zu Körperschaften zusammenschlossen,<lb/>
und bei allen wird der Sache anfänglich derselbe Gedanke zu Grunde gelegen<lb/>
haben, der nämlich, daß der Candidat aus niedrigen und rohen Verhältnissen<lb/>
in höhere und feinere, daß er aus Unehren zu Ehren und Rechten erhoben<lb/>
werde, und daß ihm dies recht deutlich zum Bewußtsein gebracht und recht<lb/>
fest eingeprägt werden müsse. Dazu kam die Lust der alten Zeit an sym¬<lb/>
bolischem Spiel, und damit verband sich wieder ihr Gefallen am Necken,<lb/>
Foppen und Schrauben, an Schwanken und Possen, die bisweilen etwas<lb/>
ungeschlachter ausfielen, als den damit Heimgesuchten lieb sein konnte. Bei<lb/>
den Handwerkern trat hierzu, wie oben bemerkt, noch das Bedürfniß, dem<lb/>
Betreffenden die Regeln und Bräuche mitzutheilen, die er beim Wandern zu<lb/>
beobachten hatte. Bei andern Berufszweigen und Verbänden spielte auch<lb/>
die Absicht eine Rolle, die Concurrenz und den Zudrang durch die Grau¬<lb/>
samkeit der Prüfung zu schwächen, der sich die Candidaten zu unterziehen<lb/>
hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> Der Bewerber um den Rang eines Faßbindergesellen wurde, wie wir<lb/>
gesehen haben, durch &#x201E;Schleifen", das heißt, durch wiederholtes Ziehen bei<lb/>
den Haaren, Umwerfen und Begießen mit Wasser und Bier, aus einem<lb/>
&#x201E;Reifenmörder und Holzverderber", einem unnützen &#x201E;Pflastertreter" , einem<lb/>
&#x201E;Meister- und Gesellenverräther" zu einem &#x201E;ehrlichen Gesellen" gemacht.<lb/>
Aehnlich verfuhr man bei den andern Handwerken mit alleiniger Aus¬<lb/>
nahme der Schuster, die auffallender Weise den Brauch des Hänselns nicht<lb/>
kannten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_349" next="#ID_350"> Die Aufnahmen in die Freimaurerlogen und die Beförderungen in den¬<lb/>
selben bewahren in ihrem Ceremonial deutliche Anklänge an symbolische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] Mehrere Reichsschlusse des vorigen Jahrhunderts bezeichnen diese Cere¬ monien als „Unfug," die Ansprachen der Schleifpsaffen als „lächerliche" oder „läppische Redensarten." Wären sie alle von der Beschaffenheit, wie das hier von den Faßbindern Mitgetheilte gewesen, so würde ich jene Ausdrücke nicht verstehen, die Hänselung vielmehr von gutem Gefüge, sinnreich, poetisch und nützlich finden. Indeß wird sie zuletzt vielfach ausgeartet, unfläthig und grau¬ sam geworden sein, und so ist's erklärlich, daß das Reich wie die Einzel¬ regierungen gegen den zur Unsitte gewordenen Gebrauch einschritten und ihn unter Androhung empfindlicher Strafen verboten. Aber es dauerte geraume Zeit, bevor man der Sache völlig Herr wurde, und noch im Jahre 1810 er¬ gingen Erlasse, in welchen die Fortdauer derselben trotz aller Bedrohungen gerügt wird. Derartige, später in bloße Neckerei und Mißhandlung ausgeartete Auf¬ nahmefeierlichkeiten waren übrigens, wie zu Anfang dieses Aufsatzes hervor¬ gehoben wurde, nicht blos in der Sphäre der Handwerker üblich, sondern er¬ streckten sich über alle Berufsarten, die sich zu Körperschaften zusammenschlossen, und bei allen wird der Sache anfänglich derselbe Gedanke zu Grunde gelegen haben, der nämlich, daß der Candidat aus niedrigen und rohen Verhältnissen in höhere und feinere, daß er aus Unehren zu Ehren und Rechten erhoben werde, und daß ihm dies recht deutlich zum Bewußtsein gebracht und recht fest eingeprägt werden müsse. Dazu kam die Lust der alten Zeit an sym¬ bolischem Spiel, und damit verband sich wieder ihr Gefallen am Necken, Foppen und Schrauben, an Schwanken und Possen, die bisweilen etwas ungeschlachter ausfielen, als den damit Heimgesuchten lieb sein konnte. Bei den Handwerkern trat hierzu, wie oben bemerkt, noch das Bedürfniß, dem Betreffenden die Regeln und Bräuche mitzutheilen, die er beim Wandern zu beobachten hatte. Bei andern Berufszweigen und Verbänden spielte auch die Absicht eine Rolle, die Concurrenz und den Zudrang durch die Grau¬ samkeit der Prüfung zu schwächen, der sich die Candidaten zu unterziehen hatten. Der Bewerber um den Rang eines Faßbindergesellen wurde, wie wir gesehen haben, durch „Schleifen", das heißt, durch wiederholtes Ziehen bei den Haaren, Umwerfen und Begießen mit Wasser und Bier, aus einem „Reifenmörder und Holzverderber", einem unnützen „Pflastertreter" , einem „Meister- und Gesellenverräther" zu einem „ehrlichen Gesellen" gemacht. Aehnlich verfuhr man bei den andern Handwerken mit alleiniger Aus¬ nahme der Schuster, die auffallender Weise den Brauch des Hänselns nicht kannten. Die Aufnahmen in die Freimaurerlogen und die Beförderungen in den¬ selben bewahren in ihrem Ceremonial deutliche Anklänge an symbolische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/98>, abgerufen am 29.06.2024.